Scriba, Florian, „Legale Revolution“? Zu den Grenzen verfassungsändernder Rechtssetzung und der Haltbarkeit eines umstrittenen Begriffs (= Schriften zur Verfassungsgeschichte 80). Duncker & Humblot, Berlin 2008 380 S. Besprochen von Stefan Danz.

 

Unter einer Revolution versteht man im rechtlichen Sinn gemeinhin die gewaltsame Staatsumwälzung, die entgegen der geltenden Staats- und Rechtsordnung im Erfolgsfall eine neue Staatsform hervorbringt. Als ein Widerspruch in sich erscheint dagegen das seit 1933 verbreitet Paradigma von der legalen Revolution, wird doch damit ein Gefühl von Legalität vermittelt und dem vermeintlichen Rechtsbruch sein Makel genommen. Die vorzustellende Dissertation greift nun diesen schillernden Begriff auf und ergründet seine dogmatische Haltbarkeit im verfassungshistorischen Rückblick auf die Weimarer Reichsverfassung und den Übergang in den nationalsozialistischen Staat. Im Mittelpunkt der ausführlich im Fußnotenteil kommentierten Darstellung stehen die Einordnung und das Verhältnis von verfassunggebender und verfassungsändernder Gewalt, von originärer und derivativer Rechtserzeugung sowie der Legalität von Verfassungsänderungen im Lichte der Verfassunggebung, vornehmlich wenn der Verfassungstext hierzu schweigt. Die Arbeit selbst gliedert sich in drei Haupteile. Im ersten Teil werden die wesentlichen verfassungstheoretischen Begriffe erläutert, im zweiten wird die Bewertung der Errichtung des Dritten Reichs als legale Revolution aus zeitgenössischer Sicht nachgezeichnet und im letzten Teil werden die Grenzen und Möglichkeiten verfassungsändernder Gesetzgebung untersucht und angewendet.

 

Der allein materiell zu verstehende Revolutionsbegriff ist für den Verfasser zunächst nicht nur im überkommenen engen Sinne der Wechsel des Trägers der – verfassunggebenden – Staatsgewalt, sondern er zieht den Kreis weiter und fasst hierunter den fundamentalen, auch die Trägerschaft der verfassunggebenden Gewalt betreffenden, Wandel der der Verfasstheit eines Staates zugrundeliegenden Legitimitätsanschauungen (S. 83). Um nun eine Revolution als legal bezeichnen zu können, dürfe eine Verfassung einem Wechsel der Staatsform verfassungsnormativ keine Schranke entgegenhalten. Die Grenzen zulässiger Verfassungsänderungen ließen sich aber, selbst wenn die Verfassung keine ausdrückliche Schranke enthält, nur unmittelbar aus dem positiven (Verfassungs-)Recht mit den Methoden der Rechtsfindung gewinnen (S. 189f.). Dies ergebe sich aus dem Begriff „Ändern der Verfassung“, da „Ändern“ zugleich die Bewahrung einer Restidentität der Verfassung umfasse (S. 208). Damit wird auch der Verfassungslehre Carl Schmitts, der von der Irrevisibilität politischer Grundprinzipien auch ohne verfassungstextliche Anknüpfung ausgeht, aus rechts- und verfassungstheoretischer Sicht eine vehemente Absage erteilt. Schmitt, der beim Wort genommen werden soll (S. 106), argumentiere letztlich nur politisch und ergebnisorientiert aus dem Begriff der Verfassung. Mit der von ihm vorgenommenen künstlichen Trennung von Verfassung und Verfassungsgesetz habe er ein über dem Verfassungstext stehendes „quasi-normatives“ Konstrukt geschaffen, das – dogmatisch zweifelhaft – die änderungsresistenten verfassungspolitischen Grundprinzipen enthalte. Schmitt verkenne jedoch, dass diese Grundprinzipien die normativen Leitsätze der rechtlichen Grundordnung seien und die Verfassung in Gestalt der Urkunde eben diese Grundordnung darstelle (S. 191ff.).

 

In der verfassungshistorischen Situation von 1933 sei nach der Genese und aufgrund des für Verfassungsänderungen in jeder Hinsicht offenen Wortlauts ein nationalsozialistischer Staatsaufbau dem Anschein nach möglich gewesen. Dieser mehrheitlich vertretenen Meinung in der zeitgenössischen Verfassungslehre hält der Verfasser aber nun entgegen, dass trotz der gewollten hohen Flexibilität der Weimarer Reichsverfassung ihr dennoch eine materielle Beschränktheit innegewohnt habe, denn es könne nicht angenommen werden, dass der Verfassunggeber Nationalversammlung die demokratische Legitimität der eigenen Verfassung in Frage stellen und die Abschaffung der Demokratie, die sich unmittelbar aus den Verfassungsnormen ergebe, dem verfassungsändernden Gesetzgeber als verfassungsmäßiges „ändern der Verfassung“ zubilligen wollte. Zumindest die „demokratische Identität“ der verfassungsändernden Gesetzgebung bilde für die Weimarer Reichsverfassung die Schranke für Verfassungsänderungen (S. 237). Das Ermächtigungsgesetz vom März 1933, womit der Reichsregierung die legislative Gewalt einschließlich verfassungsändernder Gesetze übertragen wurde, sei an der so verstandenen Reichsverfassung zu messen. Damit ist das ex post zu fällende verfassungsrechtliche Negativ-Urteil über das „Grundgesetz“ des Dritten Reichs (Walter Jellinek) vorgegeben und die propagandistisch als legaler Akt apostrophierte Machtergreifung Hitlers wird als politische Strategie entzaubert. Auch Schmitts Billigung der Verfassungsmäßigkeit (S. 157f.) erweise sich, gemessen an seiner eigenen Lehre, lediglich als opportunistischer Akt.

 

Scriba geht aber in seiner verfassungshistorischen Prüfung über den Weimarer Präzedenzfall hinaus und untersucht, ob auch die Bismarcksche Kaiserreichsverfassung mit der vergleichbaren Regelung in Art. 78 ebenso Verfassungsänderungen entgegenstanden hätte. Da dieser Verfassung mit dem monarchischen Fürstenbund und der Einbeziehung des Reichstages eine doppelte Legitimität zugrunde gelegen habe, präferiere sie jedoch keine Staatsform, sondern sei vielmehr schon von Verfassung wegen offen und flexibel hinsichtlich des monarchischen und des demokratischen Prinzips und insofern von höherer Flexibilität als ihre Weimarer Nachfolgerin. Allein eine auf Führerprinzip ausgerichtete nationalsozialistische Staatsform hätte aber auch diese Verfassung – hypothetisch betrachtet – nicht gestattet (S. 263ff.). Schließlich wird unter dem Topos der legalen Revolution auch die friedliche Revolution von 1989 auf ihre Verfassungsmäßigkeit überprüft. Mit dem Verfassungsgrundsätzegesetz vom Juni 1990 sei eine illegale Verfassungsänderung auszumachen, da dem Gesetz – trotz des Bestrebens nach Gewinnung eines demokratischen Rechtsstaates – mit der in der Verfassung der DDR verankerten sozialistischen Staatsdoktrin, insbesondere dem Führungsanspruch einer Partei, der Bindung der Grundrechte an sozialistische Grundsätze oder der Souveränität des werktätigen Volkes, eine sozialistische Identität als materielle Änderungsgrenze entgegengestanden habe (S. 337ff.).

 

Für 1933 bleibt vom Schlagwort der „legalen Revolution“ damit allenfalls eine politisch inspirierte Scheinlegalität übrig, die wohl rechtssoziologisch aus der von Schmitt attestierten „rührenden Legalitätsbedürftigkeit“ der Deutschen herrühre (S. 350). Zwar habe auch der Rechtspositivismus dem nationalsozialistischen Staat nicht die Steigbügel gehalten, aber dessen verfassungsdogmatisches Konzept sei gegenüber solchen Angriffen schlicht wehrlos gewesen. Scriba, der es nach eigenem Bekunden besser wissen will als die Zeitgenossen (S. 318), legt zwar ein normativ-formales Konzept vor, dessen Anspruch es ist, die Grenzen von Verfassungsänderungen aus der Verfassung selbst heraus abzuleiten. Ob es aber danach aus verfassungsrechtlicher Sicht identitätswahrende legale Revolutionen geben kann, bleibt dennoch offen. Bemerkenswert ist immerhin, dass der Verfasser eine sozialistische Staatsform im Kern für demokratisch möglich hält, so dass hypothetische Verfassungsänderungen in den untersuchten Verfassungen, die einen sozialistischen Staatsumbau zum Ziel hätten, in seinen Augen eine verfassungsrechtlich zulässige „legale Revolution“ darstellen könnten (S. 261, 269f.). Letztlich bleibt von der lesenswerten Arbeit aber auch der Eindruck zurück, dass die als Identität einer Verfassung bezeichnete Änderungsschranke die Verfassung im Schmittschen Sinne ist.

 

Jena                                                                                                                           Stefan Danz