Schröder, Jan,
Rechtswissenschaft in der Neuzeit. Geschichte, Theorie, Methode. Ausgewählte
Aufsätze 1976-2009, hg. v. Finkenauer, Thomas/Peterson, Claes/Stolleis, Michael.
Mohr (Siebeck), Tübingen 2010. XI, 694 S. Besprochen von Georg Cavallar.
Jan Schröder
ist Kennern der Rechtsgeschichte vor allem durch sein beeindruckendes Werk
„Recht als Wissenschaft“ (2001) bekannt, das die Zeit von 1500 bis in die Mitte
des 19. Jahrhunderts abdeckt. Der vorliegende Band ergänzt nun in sinnvoller
Weise jene ältere Arbeit, setzt neue Schwerpunkte, geht noch mehr in die Tiefe
und bietet auch Studien, die das 20. Jahrhundert behandeln. Wie das
Schriftenverzeichnis am Ende zeigt (vgl. S. 661-672), beinhaltet der Band nur
einen Teil der Aufsätze Schröders, die im Laufe einer fruchtbaren
Schaffensperiode von 40 Jahren entstanden sind.
Die Vielfalt der Themen ist beträchtlich. Sie reichen
von der Methodenlehre über die Rechtsquellenlehre, den modernen
Völkerrechtsbegriff, der communis opinio,
dem Privatrecht, dem Naturrecht und dem Gesetzespositivismus bis zur
Genossenschaftstheorie und zwei Aufsätzen zu Savigny. Ich kann aus
Platzgründen daher nur einzelne Beiträge herausgreifen, die ich für besonders bedeutsam
halte bzw. die mich besonders angesprochen haben.
Schröder
richtet sein Hauptaugenmerk auf deutschsprachige Universitäten, Wissenschaftler,
Rechtsschulen und Gerichte und dabei vor allem auf Territorien, die heute zur
Bundesrepublik gehören. So lautet ein Titel: „Zur Entwicklung der juristischen
Fakultäten im nachfriderizianischen Preußen (1786-1806) am Beispiel von Halle
im Vergleich mit Göttingen“ (327-374). Sein Blick reicht aber auch weit über
diese Grenzen hinaus, wenn es darum geht, gesamteuropäische Entwicklungslinien
nachzuzeichnen. In einem Aufsatz über den Wandel der juristischen Methodenlehre
der frühen Neuzeit (179-189) schildert Schröder die sich ändernden
Anforderungen an juristische Definitionen, die im Kielwasser der neuen
philosophischen Definitionslehre seit Hobbes erforderlich geworden
waren. Die metaphorische Definition der Humanisten wurde von der strengen
Definition im Rahmen der demonstrativen Beweisführung abgelöst. Federführend
war Hobbes, dann auch Philosophen wie Christian Wolff; die
Juristen konnten und wollten sich dieser neuen Methode nicht entziehen.
Der nächste Beitrag geht der Frage nach, wieso in der
frühen Neuzeit die communis opinio
doctorum, die „herrschende Meinung der Gelehrten“, allmählich in Misskredit
geriet (191-205). Der Wandel wurde auch hier wieder von Philosophen, diesmal
von Locke und Thomasius, um 1700 ausgelöst. „Nur das
Faktenzeugnis begründet Wahrscheinlichkeit, nicht aber die Autoritätsmeinung.
In Fragen des Denkens bedeuten menschliche Zeugnisse und Autoritäten nichts“
(198). In Folge revidierte auch die Jurisprudenz die Theorie der communis opinio, wohl auch unter dem
Einfluss des absolutistischen Gesetzgebers, der den Anspruch erhob, allein
Recht zu schaffen und den Einfluss der Expertenmeinungen minimieren bzw.
ausschalten wollte.
Mehrere Aufsätze widmen sich dem Schicksal des
Naturrechts vor allem im 18. Jahrhundert, drei davon möchte ich kurz erwähnen.
Einer weist überzeugend nach, dass „ein allgemein
anerkanntes Prinzip ‚Naturrecht bricht positives Recht’ im 18. Jahrhundert
nicht existiert hat“ (296). Die Staatslehre sei weitgehend Pufendorf
gefolgt, der die Interpretation des Naturrechts mit Blick auf Staatszweck und
Staatsnotwendigkeit im Grunde dem positiven Gesetzgeber überließ. Daran habe
auch die jüngere Naturrechtslehre gegen Ende des Jahrhunderts trotz ihrer
Betonung der natürlichen Freiheit nichts geändert. Generell meldet Schröder
Bedenken an, Naturrecht und Rechtspositivismus schroff einander gegenüber zu
stellen, da sich beide „historisch betrachtet keineswegs ausschließen“ (296).
Ein weiterer Aufsatz schildert, auch mit Hilfe statistischen Materials, das
„Überleben“ des Naturrechts bis weit in das 19. Jahrhundert hinein, die
Bedeutung so genannter „zweitrangiger“ Autoren wie Achenwall oder Darjes
(im Vergleich zu Wolff oder Kant), und die unterschiedliche
Rezeption bei Juristen und Philosophen. Der dritte Aufsatz schließlich erörtert
die „Entstehung des modernen Völkerrechtsbegriffs im Naturrecht der frühen
Neuzeit“ (259-282). Zwei Entwicklungen waren entscheidend: Erstens die
Eliminierung des alten Begriffs von ius
gentium als Recht, das (fast) allen Völkern gemeinsam sei, vor allem durch Hobbes
und Pufendorf. Beide ersetzten die römischrechtliche Systematik durch
einen Dualismus von (vernünftigem) Naturrecht und (auf dem Willen des
Gesetzgebers basierenden) positivem Recht. Schröder bezeichnet das als
„rechtstheoretische Revolution“ (265). Hobbes und Pufendorf
sorgten – zweitens – auch dafür, dass der Staat – bzw. zunächst der souveräne
Fürst – zum Rechtssubjekt des Völkerrechts werden konnte; die
Völkerrechtssubjektivität des Volkes oder Staates ist erst eine Errungenschaft
des jüngeren Naturrechts.
Die letzten beiden Studien widmen sich den rechtlichen
Aspekten zweier literarischer Werke, der Morgengabe-Szene im „Rosenkavalier“
von Hugo von Hofmannsthal und dem Staats- und Fürstenrecht in Thomas
Manns Roman „Königliche Hoheit“. Mit detektivischer Akribie weist Schröder
nach, dass die Notar-Szene in der Oper von Richard Strauss offenbar von Hogarth
und Lichtenberg beeinflusst ist, die Argumentation von Ochs jedoch an Heinrich
Siegel erinnert, dessen Rechtsgeschichte-Vorlesung Hofmannsthal
während seines Wiener Rechtsstudiums besuchte, wo Siegel eine
eigenwillige und seltene Interpretation der Morgengabe als pretium virginitatis vorlegte und „als einziger deutlich aussprach,
dass dieser Gedanke auch die Basis für eine Analogie zugunsten des Mannes sein
könne“ (639).
Schröders ausgewählte Aufsätze beeindrucken durch eine
profunde Quellenkenntnis, faszinieren durch spannende (neue) Fragestellungen und
einen hohen Erkenntnisgewinn und machen durch extreme Lesbarkeit die Lektüre zu
einem Vergnügen. Den Herausgebern und dem Verlag ist für eine fehlerfreie
Edition zu danken. Schröder, der seine Lehrtätigkeit 2009 beendete, überzeugt
auch als Person, etwa mit seiner immer wieder durchscheinenden Bescheidenheit.
So heißt es: „Auch die folgenden Ausführungen sind nicht mehr als ein erster
Versuch, der keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt“ (192). Ein wunderbares
Lebenswerk.
Wien Georg
Cavallar