Schnyder, Sibylle, Tötung und Diebstahl. Delikt und Strafe in der gelehrten Strafrechtsliteratur des 16. Jahrhunderts (= Konflikt, Verbrechen und Sanktion in der Gesellschaft Alteuropas, Fallstudien 9). Böhlau, Köln 2010. 209 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Die Arbeit ist die von Kurt Seelmann angeregte, während der Tätigkeit als Unterassistentin im Rahmen des Forschungsprojekts Entstehung des öffentlichen Strafrechts geförderte Dissertation der inzwischen als Rechtsanwältin in Zürich wirkenden Verfasserin. Ihr Gegenstand ist die Analyse ausgewählter wissenschaftlicher Texte des 16. Jahrhunderts, die sich mit „strafrechtlicher“ Materie befassen und die damals vorherrschenden Literaturgattungen repräsentieren. Gegliedert ist die Untersuchung außer in Einführung und Zusammenfassung in vier Abschnitte.

 

Nach einem Überblick über die untersuchte Literatur, in der Strafrechtstraktate, juristische Traktatsummen und Kommentare, moraltheologische Kommentare und thomistische Traktatsummen, Beichtliteratur sowie Rechtsquellen und zitierte Autoritäten in der gelehrten Strafrechtsliteratur im Mittelpunkt stehen, beginnt die Verfasserin mit dem Delikt unter Konzentration auf Tötung (homicidium) und Diebstahl (furtum). Es folgt die Betrachtung der Strafe, wobei weltliche Strafen und kirchenrechtliche Strafen getrennt werden. Schließlich wendet sich die Verfasserin der Proportionalität von Delikt und Strafe zu und stellt dabei auch Geldstrafe für homicidium und Todesstrafe für furtum gegenüber.

 

In ihrer knappen und klaren Zusammenfassung hebt sie überzeugend die Lebendigkeit der gelehrten Strafrechtswissenschaft hervor, die sich innerhalb eines religiösen Rahmens durch eine Vielfalt von in eingehender Auseinandersetzung mit der Literatur gewonnenen Einsichten auszeichnet. Anknüpfend an Thomas von Aquin wird dann Strafen als ausschließliche Angelegenheit der Allgemeinheit betrachtet und damit der Rachegedanke allmählich zurückgedrängt. Damit sieht die Verfasserin das Fundament für das moderne Strafrechtsverständnis durch die Moraltheologie des 16. Jahrhunderts gelegt.

 

In der Folge wird der Vergeltungsgedanke zunehmend von dem freilich bei Thomas von Aquin ebenfalls bereits angelegten Abschreckungsgedanken und Besserungsgedanken verdrängt, wobei die Moraltheologie zurückhaltender bleibt als die Jurisprudenz. Wichtige Einzelfragen betreffen dabei Schuldlehre und Zurechnungslehre, wobei das Schuldmoment auch bei der Strafzumessung berücksichtigt wird. Insgesamt dient die mit einem Verzeichnis 35er Personen von Albertus Gandinus bis Francisco de Vitoria abgerundete Studie dem besseren Verständnis der Ausbildung des öffentlichen Strafrechts und kann deshalb eine gute Grundlage für vertiefende Untersuchungen bilden.

 

 

Innsbruck                                                        Gerhard Köbler