Schlinker, Steffen, Litis contestatio. Eine Untersuchung über die Grundlagen des gelehrten Zivilprozesses in der Zeit vom 13. bis zum 19. Jahrhundert (= Studien zur europäischen Rechtsgeschichte 233). Klostermann, Frankfurt am Main 2008. XIV, 699 S. Besprochen von Bernd Schildt.

 

Die hier zu besprechende Würzburger Habilitationsschrift des Autors spannt einen historisch weiteren Bogen, als es der Titel nahe legt. Zur historischen Fundierung seines eigentlichen Themas stellt der Verfasser in einem ersten Teil die litis contestatio in ihrer entwicklungsgeschichtlichen Bedeutung im antiken römischen Recht dar. Sowohl im Legisaktionenverfahren als auch im Formularverfahren – beide Formen existierten immerhin etwa 200 Jahre parallel zueinander – stellte die litis contestatio den Endpunkt des Prozesses in iure und den Beginn des Prozesses apud iudicem dar. Hauptwirkung war, dass sich die Parteien dem Spruch eines privaten Richters unterwarfen und insoweit nach modernem Verständnis die Streitsache rechtshängig wurde. Zu Beginn des Prinzipats entfiel die Verfahrensteilung in iure und apud iudicem, da in dem aus der Gerichtsbarkeit des princeps resultierenden Kognitionsprozess eine Unterwerfung unter einen Schiedsrichter erfolgen konnte und insoweit infolge des Bestreitens des klägerischen Vorbringens durch den Beklagten klar wurde, dass eine streitige Verhandlung vor dem princeps bzw. seinem Beauftragten durchzuführen war. Daran änderte sich auch in der nachklassischen Phase nichts: die litis contestatio wurde vollzogen, indem der Beklagte vor dem Richter den geltend gemachten Anspruch des Klägers bestritt (S. 45). Dieses Bestreiten der Hauptsache diente nicht nur der generellen Streitbefestigung, sondern hatte auch die Funktion, den Prozessgegenstand sachlich einzugrenzen. Die materiellrechtlichen Wirkungen der litis contestatio bestanden im wesentlichen darin, dass durch sie Leistungsumfang und Schadenshaftung sowie auf der prozessualen Seite die Vererblichkeit und Unbefristetheit des Anspruchs fixiert wurden. Eine bereits im Kognitionsverfahren beginnende Entwicklung setzte sich fort, indem der Übergang von einer formal geprägten mitwirkungspflichtigen Abfolge von Rechtsakten der Parteien zu einem Rechtsschutzverfahren für den Kläger fortgeschrieben wurde. Insbesondere erfolgte die Festlegung des Streitgegenstandes nunmehr nicht mehr vor der litis contestatio durch Abfassung einer Formel, sondern vielmehr im Zusammenspiel der Parteien und dem Richter im Verlauf des Verfahrens (S. 47). Die rein prozessual verstandene actio entwickelte sich zu einem aus dem konkreten klägerischen Begehren hergeleiteten Anspruch. Im justianischen Zivilprozessrecht wurde an diese Entwicklung unmittelbar angeknüpft. Die litis contestatio als selbstständiger Rechtsakt wurde nicht wiederbelebt, vielmehr bezeichnete man damit den Zeitpunkt der Rechtshängigkeit eines Streites.

 

Im zweiten und bei weitem umfangreichsten Teil seiner Arbeit (S. 55-288) behandelt Schlinker die litis contestatio als prozessbegründenden Formalakt in der mittelalterlichen Rechtswissenschaft. Sowohl die Glossatoren als auch ihre kanonistischen Kollegen sahen in der litis contestatio eine unabdingbare Voraussetzung für einen gültigen Prozess, deren Fehlen zu einer unheilbaren Nichtigkeit eines bereits durch Urteil beendeten Prozesses führte. Nach den Vorstellungen der mittelalterlichen Jurisprudenz begründete die litis contestatio zwar den Prozess, nicht aber die Zuständigkeit des Gerichts, das als eine herrschaftliche Institution und keineswegs als privates Schiedsgericht verstanden wurde. Die Pflicht des Beklagten erwuchs aus seiner Teilhabe an der allgemeinen Friedensgemeinschaft. Im Gegensatz dazu wurde in den Statuten vieler italienischer Städte ausdrücklich auf den Vollzug der litis contestatio verzichtet. Das Verfahren konnte insoweit auch ohne Einlassung des Beklagten durchgeführt werden – ein Gedanke, der auch dem kanonischen Recht nicht fremd gewesen war. Im Ergebnis tritt neben den ordentlichen, durch Formalakte konstituierten Prozess, das außerordentliche oder summarische Verfahren. Im kanonischen Recht erfolgte eine Weiterentwicklung des Versäumnisverfahrens insoweit, als der Vollzug der litis contestatio im Prozess in Ehesachen, bei der Wahl zu kirchlichen Ämtern bzw. den Status und die Freiheit der Kirche betreffend und schließlich in innerkirchlichen Disziplinarverfahren gegen Geistliche für verzichtbar gehalten wurde. Der gemeinsame Nenner dieser Fallgruppen dürfte darin zu sehen sein, trotz Abwesenheit des Beklagten das Bedürfnis nach Prozessdurchführung und richterlicher Entscheidung durch Urteil zu ermöglichen. Zwar tritt die litis contestatio als eigenständiger Formalakt wieder stärker als in der nachklassischen und justinianischen Periode hervor, indem sie weithin als unverzichtbarer Akt der Prozessbegründung verstanden wird; an ihren Rechtswirkungen ändert sich indes wenig: insbesondere ist der Prozessgegenstand endgültig festgelegt und auch der Haftungsumfang des Beklagten steht weithin fest.

 

Im dritten Teil der Arbeit wird die litis contestatio als Traditionsgut zwischen Prozessbegründung und Einlassung im Zivilprozess des 16. und 17. Jahrhunderts bis zum jüngsten Reichsabschied von 1654 thematisiert. Die Quellen dieser Zeit reflektieren das praktische Nebeneinander von römisch-kanonischem Prozessrecht, Reichskammergerichtprozess und sächsischer Zivilprozesspraxis. Nach gelehrtem Recht ist die litis contestatio Voraussetzung des kontradiktorischen Verfahrens vor dem Richter, was das sächsische Recht in dieser Schärfe nicht kennt. Während einerseits im gelehrten Prozess ein generelles Bestreiten des Klagevorbringens in der Hauptsache ausreichend war, erforderte die litis contestatio im sächsischen Prozess eine exakte Antwort auf die Sachverhaltsdarstellung des Klägers in der Hauptsache. Mit der Integration des sächsischen Prozessmodells in das Verfahren vor dem Reichskammergericht begründet die litis contestatio nicht mehr den Prozess schlechthin, sondern definiert seinen Gegenstand und fixiert die Zuständigkeit des zu Entscheidung berufenen Gerichts. Der Bedeutungsverlust der litis contestatio zeigt sich prägnant darin, dass allein die abstrakte Möglichkeit des Beklagten, am Prozess teilzunehmen und mitzuwirken, ausreichend ist, um im Interesse des Klägers gegen einen säumigen Beklagten eine materiellrechtliche Entscheidung herbeizuführen.

 

Im vierten Teil wendet der Verfasser sich der litis contestatio als Form der Einlassung des Beklagten seit der Entstehung des gemeinen Prozesses bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts zu. Der Form nach bleibt die litis contestatio ein quasi-vertragliches und insoweit im Gegenseitigkeitsverhältnis stehendes Rechtsgeschäft von Kläger und Beklagtem. In der Sache folgt aber eine gravierende Veränderung der Funktion der litis contestatio. Nach römischen Recht wurde sie in der Tat als eine wechselseitige prozessbegründende Vereinbarung bezogen auf den Einzelfall verstanden, der vor den Prätor gebracht und vor dem Iudex verhandelt werden sollte. Nach der Diktion des jüngsten Reichsabschiedes hingegen beinhaltet die litis contestatio die Antwort des Beklagten auf die Klageschrift und musste all das enthalten, was der Beklagte zu seiner Verteidigung gegen die Klage vorzubringen gedachte. Nunmehr beginnt der Prozess bereits mit der Frage nach der Zulässigkeit und nicht erst mit der Verhandlung in der Hauptsache über das materielle Recht des Klägers. Die litis contestatio definiert den Prozessgegenstand und ist nicht mehr konstitutiv für die Prozesseinleitung. Der Bedeutungsverlust der litis contestatio als prozessuales Instrument wird nicht zuletzt daran deutlich, dass der Terminus sowohl in der Literatur als auch in der Gesetzgebung kaum noch verwendet wurde, was selbstverständlich nicht den Untergang dieses prozessualen Instituts bedeutet hat. Zwar folgt aus dem Verzicht auf den Begriff letztlich der Untergang der litis contestatio als eigenständigem Prozessakt; gleichwohl bleibt sie gedanklich als Willenshandlung des Beklagten, das klägerische Vorbringen zu bestreiten oder zuzugestehen, virulent.

 

Den Abschluss der Arbeit bilden im fünften Teil Ausführungen zur litis contestatio und zur Begründung des Zivilprozesses im 19. Jahrhundert bis zur Reichs-Civilprozessordnung. Die Quellengläubigkeit der historischen Rechtsschule führte zunächst zu einer Renaissance der litis contestatio, deren prozessbegründende Funktion wiederbelebt wurde. Diese – modern gesprochen – stärkere Betonung des privaten Charakters des Zivilprozesses wurde maßgeblich durch die Philosophie Kants beeinflusst.

 

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts machte insbesondere Oskar Bülow deutlich, dass ein Zivilprozess auch ohne Mitwirkung des Beklagten begründet werden könne. Maßgeblich sei allein die Zustellung der Klage durch das Gericht, welche die Rechtshängigkeit bewirkte. Das entspricht auch unserem heutigen Verständnis, nach dem die für den Kläger sprechenden materiellrechtlichen prozessualen Folgen der litis contestatio mit der Klagezustellung begründet werden.

 

Steffen Schlinker stellt resümierend fest, dass während aller Phasen der Prozessrechtsgeschichte übergeordnete Zielsetzungen wie Rechtsschutz, Rechtsfrieden und Gerechtigkeit maßgeblich für die Ausgestaltung und das Verständnis des Zivilprozesses gewesen sind. Während insbesondere die spätmittelalterlichen Jurisprudenz in einer strengen Abfolge formaler Prozessakte die Gewähr für effektiven Rechtsschutz und Gerechtigkeit bot, war für den gemeinen Prozess seit dem jüngsten Reichsabschied der Königsweg die Eventual-Maxime, nach der alle entscheidungserheblichen Umstände summarisch vorgebracht und verhandelt werden sollten.

 

Das sorgfältig aus den Quellen gearbeitete und wohl schon als monumental zu bezeichnende Werk Steffen Schlinkers wird durch umfassende und sorgfältig gearbeitete Register sinnvoll ergänzt. Aufgrund seines handbuchartigen Charakters dürfte es für künftige Forschungen zur litis contestatio grundsätzliche Bedeutung erhalten.

 

Bochum                                                                                  Bernd Schildt