Reichert, Folker, Gelehrtes Leben. Karl Hampe, das Mittelalter und die Geschichte der Deutschen (= Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 79). Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2009. 459 S. Besprochen von Thomas Vogtherr.

 

Unter den zahlreichen Wissenschaftlerbiographien der vergangenen Jahre nimmt diese Arbeit zu Leben und Wirken des Heidelberger Mediävisten Karl Hampe (1869-1936) eine wichtige Position ein, denn der Verfasser des Bandes bedient sich keiner irgendwie gearteten theoretischen Kunstgriffe (vgl. S. 317), sondern erzählt bemerkenswert geradlinig die Geschichte des Lebens Hampes, seines öffentlichen Wirkens, seiner Stellung innerhalb der Mediävistik seiner Zeit und insbesondere auch seines Nachlebens. Damit ist ein ebenso umfassendes wie konzeptionell zu Recht konservativ gehaltenes Werk entstanden, das – soviel sei vorweggenommen – dem Gegenstand voll gerecht wird und einen der einflussreichsten Mediävisten des Kaiserreichs und der Weimarer Republik eindrucksvoll porträtiert.

 

Hampe wurde in Bremen geboren, in ein „hanseatisch-bildungsbürgerliches, protestantisch eingestimmtes und national bewegtes Umfeld“ hinein (S. 19), das Reichert knapp und sehr treffend charakterisiert. Er absolvierte das humanistische Gymnasium in der Hansestadt und stand als Primaner einem der an solchen Schulen nicht seltenen Prima-Vereine vor, in dem wissenschaftliche Studien getrieben wurden und der Comment der Zeit eingeübt wurde (S. 30-34). In Bonn und Berlin studierte Hampe von 1888 bis zum Abschluss der Promotion 1894. Die Dissertation, eine für damalige Zeiten mit annähernd 400 Seiten exzeptionell umfangreiche Schrift, war eine Biographie des „letzten Staufers“ Konradin, deren Anfertigung der heute zu Unrecht im Schatten der Wissenschaftsgeschichte bleibende Paul Scheffer-Boichorst betreute. Unmittelbar nach Studienende trat Hampe dann bei den Monumenta Germaniae Historica als „Hilfsarbeiter“ ein und wurde mit der Edition stauferzeitlicher Briefe betraut, vor allem aber mit den üblichen Forschungsreisen, die ihn nach England führten (dazu sehr instruktiv S. 57-65).

 

1903 wurde Hampe als Nachfolger Dietrich Schäfers nach Heidelberg berufen (S. 67-101) und damit an eine der geistig in diesen Jahren wohl anregendsten deutschen Universitäten überhaupt. Reichert beschreibt diesen „Heidelberger Geist um 1900“ und „Heidelberg und sein[en] Mythos“ kenntnisreich und anschaulich (S. 86-89, 171-194 u. ö.), so dass ein Bild jener Gelehrtengemeinschaften entsteht, innerhalb derer Ernst Troeltsch und Max Weber womöglich die bekanntesten, aber bei weitem nicht die einzig bedeutenden Wissenschaftler waren; auf den Staats- und Völkerrechtler Georg Jellinek ist an dieser Stelle immerhin hinzuweisen. Hier in Heidelberg schlug Hampe mit Frau und sechs Kindern Wurzeln, führte ein durchaus wohlsituiertes bürgerliches Leben in einem der besseren Viertel der Stadt und erfreute sich der Geselligkeit. Das alles, so idyllisch es klingt, sollte man ernstnehmen als notwendigen Teil professoraler Lebensform im Wilhelminischen Reich, übrigens im vorliegenden Falle durch ausgesprochen instruktive, klug ausgewählte Bilder illustriert (nach S. 80).

 

Hampe, der bei aller nationaler Grundeinstellung anders als manche seiner Zeit- und Zunftgenossen zunächst eher Distanz zur Politik hielt, wurde unter dem Eindruck des Ersten Weltkrieges zum politisch wachen und engagierten Hochschullehrer. Sein 2004 von Wolgast und Reichert ediertes Kriegstagebuch ist eine der bedeutendsten Quellen dieser Art zu diesem Zeitraum überhaupt. Als einer der wenigen Spezialisten arbeitete er sich in die Geschichte Belgiens ein und begründete in seinen Schriften und der zunehmenden Vortragstätigkeit die besondere Bedeutung dieses Landes für Deutschland. In diesen Jahren zwischen 1914 und 1919 (S. 103-138) erhielt Hampe eine politische Prägung, die von bleibender Wirkung sein sollte.

 

Die „Demokratische Erneuerung“ nach dem Ende des Ersten Weltkrieges erlebte der Mediävist als „Herzensmonarchist und Vernunftrepublikaner“ (S. 141) und damit als einer nicht eben vielen, die den bewussten Schritt auf die Republik zu wagten, sich dem politischen und kulturellen Wandel stellten und dadurch nachwiesen, dass es unter deutschen Professoren auch Verfechter des Neuen geben konnte. Das fiel Hampe sichtlich schwer, wie man etwa in einem knappen Abschnitt über „Universitätsreform und Hochschulpolitik“ feststellen kann (S. 161-166), der das Wirken des nationalkonservativ bleibenden Mediävisten in den Jahren um und nach 1920 beschreibt.

 

Hampe wurde zum viel gelesenen Stauferhistoriker, dessen Bücher in kaum einer bildungsbürgerlichen Bibliothek gefehlt haben dürften: Seine „Deutsche Kaisergeschichte in der Zeit der Salier und Staufer“ erlebte zwischen 1909 und 1929 immerhin sechs Auflagen und wurde noch 1937 sowie 1943 nochmals neu aufgelegt. Seine „Herrschergestalten des deutschen Mittelalters“, erstmals 1927 erschienen, avancierten zu einem der Bestseller der nationalsozialistischen Zeit, von dem noch 1945 (!) eine fünfte Auflage erschien. Beide Werke hatten übrigens auch auf das Geschichtsbild der jungen Bundesrepublik nach dem Zweiten Weltkrieg erheblichen Einfluss (S. 312-315), bescherten ihrem Verfasser aber schon zu Lebzeiten ein bemerkenswert hohes Einkommen.

 

In der Zeit des Nationalsozialismus musste sich der 1933 bereits 64jährige Professor den Forderungen des neuen Staates nicht mehr lange stellen. Jedoch trug ihm seine im Laufe der Jahre durchaus gewandelte Position gegenüber dem Judentum – von offen antisemitischen Bemerkungen und Urteilen während des Ersten Weltkrieges bis hin zu der Tatsache, dass sein ältester Sohn im April 1933 eine Tochter aus jüdischem Elternhaus heiratete – zwar keine direkten persönlichen Nachteil ein, bestärkte ihn aber in seiner zunehmenden Distanz vom neuen Staat (S. 247-254). Deutlich verweigerte er sich den Erwartungen der Nationalsozialisten und ließ sich im Frühjahr 1934 emeritieren, auch als ein sehr bewusstes Zeichen deutlichen Abstands vom Umgang der Machthaber in Partei und Universität mit jüdischen und politisch missliebig gewordenen Kollegen.

 

Im Status des Emeritus betrieb Hampe „Wissenschaft zur Selbstbehauptung“ (S. 261), wie es Reichert in einer klugen Formulierung nennt, und betätigte sich in seinen letzten Lebensjahren in der anhaltenden Kontroverse um die Wertung Karls des Großen und seines Verhaltens gegenüber den Sachsen sowie seiner „nationalen“ Zugehörigkeit zu Deutschland (S. 261-284). Freilich handelte Hampe hier schon sehr deutlich vom Standpunkt des innerlich Emigrierten aus, der er bis zu seinem Tode bleiben sollte.

 

Reichert beschließt seine Biographie mit einem essayistischen Kapitel über „Zeitgenossenschaft und Geschichte“ (S. 315-331), das zum Besten gehört, was zur Wissenschaftsgeschichte der Mediävistik der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts seit langem geschrieben wurde. Mehr als manche theoretischen oder gruppenbiographischen Ansätze zeigt sein Weg durch drei unterschiedliche politische Systeme, wie sich dieser Neu-Rankeaner reinsten Wassers an der Wissenschaft als seiner Richtschnur festhielt und wohl gerade dadurch eine so breite Wirkung entfalten konnte. Dass sein Lebensweg deswegen exemplarisch sei, ist nicht nur Reicherts Behauptung, sondern auch das Ergebnis einer rundum gelungenen und noch dazu sehr lesenswerten Studie.

 

Osnabrück                                                                                                            Thomas Vogtherr