Pest, Folter und Schandsäule. Der Mailänder Prozess wegen „Pestschmierereien“ in Rechtskritik und Literatur, hg. v. Vormbaum, Thomas, redig. v. Dagasan, Zekai (= Juristische Zeitgeschichte, Abteilung 6 Recht in der Kunst - Kunst im Recht 35). BWV Berliner Wissenschafts-Verlag, Berlin 2008. 252 S., 2 Abb. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Im Vorwort zeigt der sehr erfolgreiche Herausgeber die verschiedenen Möglichkeiten des formellen Zusammentreffens von Jurisprudenz und Literaturwissenschaft auf. Darunter befindet sich auch der Fall, dass ein und derselbe Vorgang von einem Juristen zum Gegenstand rechtsdogmatischer oder rechtskritischer Überlegungen, von einem Schriftsteller dagegen zum Sujet einer literarischen Bearbeitung gemacht ist. Ein solcher Glücksfall wird im vorliegenden Band dokumentiert und kommentiert.

 

Dementsprechend beginnt der Band nach einem einführenden Vorwort des Herausgebers mit Pietro Verris (1728-1797) Osservazioni sulla tortura von 1777, die der Herausgeber unter Berücksichtigung einer anonymen Übersetzung des Jahres 1840 selbst als Betrachtungen über die Folter übersetzt hat. Es folgt Allessandro Manzonis (1785-1872) Storia della colonna infame, deren anonyme Übersetzung des Jahres 1840 der Herausgeber überarbeitete. Von beiden Verfassern enthalten Einband und Titelei beeindruckende Abbildungen.

 

Verris Studie kommentiert Ezequiel Malarino in dem Beitrag „Pietro Verris Betrachtungen über die Folter und die Debatte über die Abschaffung der Folter in der österreichischen Lombardei“. Mit Manzoni befasst sich Helmut C. Jacobs in seinem Kommentar über Alessandro „Manzonis Storia della colonna infame - Wahrheitssuche zwischen Faktizität und Fiktion“. Kern des Geschehens ist der Prozess gegen den Sanitätskommissär Guglielmo Piazza in Mailand als Folge der Pest des Jahres 1630, bei der zahllose Bürger Mailands - nach Verri der Unwissenheit - zum Opfer fielen.

 

Im Vordergrund von Verris Beitrag steht die menschliche Empörung über das den Inquisiten auf Grund der Beschuldigung, Pestschmierereien vorgenommen zu haben, zugefügte Leid, für welches das herrschende System des Strafverfahrens ursächlich ist. Von hier aus entsteht ein klassisches Werk aufklärerischer Justizkritik. Dieses und die literarische Behandlung desselben Rechtsfalls in etwas jüngerer Sicht der Gegenwart in ansprechender Gestaltung wieder leicht zugänglich gemacht zu haben, ist ein sehr begrüßenswertes Unterfangen Thomas Vormbaums.

 

Innsbruck                                                                                           Gerhard Köbler