Parteien in Thüringen. Ein Handbuch, hg. v. Schmitt, Karl/Oppelland, Torsten (= Handbücher zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien 16). Droste, Düsseldorf, 2008. 493, A 135 S. Besprochen von Karsten Ruppert.

 

Dieses aus einem DFG Projekt hervorgegangene Handbuch behandelt die fünf Parteien Thüringens, die bisher im Landtag gesessen haben (CDU, SPD, PDS/Linke, FDP und Bündnis 90/Grüne) zusammen mit dem rechten Spektrum von DVU, NPD und Republikanern zwischen 1990 und 2007. Die Beiträge werden umrahmt von einer Einleitung wie einer Zusammenfassung. Zunächst muss den Mitarbeitern bescheinigt werden, dass sie die Chancen eines üppig finanzierten DFG-Projekts genutzt und bei der Erschließung von Quellen keine Mühe gescheut haben. Es wurden Forschungen in Archiven betrieben, Parteimaterialien ausgewertet, bei den Geschäftsstellen interne Informationen besorgt und mit deren Unterstützung Mitglieder und schließlich auch noch Zeitzeugen befragt.

 

Die Ergebnisse dieses Fleißes werden in jeweils eigenständigen und gleich aufgebauten Artikeln präsentiert und durch 40 Tabellen und 36 Grafiken illustriert. Sie gehen auf die Vorgeschichte der Parteien ein, deren Formierung während der Wende, bei der die Ausgangslagen (Neugründung, Blockpartei oder gar SED-Staatspartei) ganz unterschiedlich waren. Die Folgen waren nicht gering, allerdings nicht von Dauer, sondern zeigten sich vorwiegend in den ersten Nachwendejahren. Bei der Analyse der Entwicklung seit 1990 dominieren zwar die klassischen Themen der Parteienforschung wie Organisation, Programmatik, Wähler und Mitglieder, doch erhält man auch aufschlussreiche Einblicke in die Finanzen, die Spielräume der Partizipation, Vernetzung im vorpolitischen Raum und in die Einsatzfreude der Mitglieder. Für den Historiker besonders interessant sind das Aufdecken von Kontinuitäten und Traditionen und deren weiterwirkende Bedeutung. Darunter solche Einsichten wie die, dass es eine frappante Übereinstimmung zwischen den Ergebnissen der Thüringer Landtagswahl von 1946 und den Wahlen vor dem Aufstieg des Nationalsozialismus gibt.

 

Instruktiv werden die Grundzüge und Besonderheiten der thüringischen Parteienlandschaft ausgebreitet. Während die Wahlen des Jahres 1990 noch ganz von der Euphorie über die Wiedervereinigung geprägt waren, hätten bei denen vier Jahre später die wirtschaftlichen und sozialen Probleme der Wiedervereinigung voll durchgeschlagen mit einschneidenden Folgen für das Parteiensystem des Landes bis in die Gegenwart. Durch das Ausscheiden der FDP und das grüne Parteienbündnis aus dem Landtag hätten diese ihren Rückhalt im Land verloren, seien auch bei den folgenden Landtagswahlen erfolglos geblieben und existierten nur noch aufgrund des Rückhalts an den Bundesparteien. Das seitdem bestehende Dreiparteiensystem habe es der CDU erleichtert trotz Rückgang der Wählerzahlen die absolute Mehrheit der Mandate zu verteidigen und neben deren Alleinherrschaft im Grunde nur noch eine große Koalition ermöglicht. Denn CDU wie PDS/Linke schlossen gegenseitig ein Zusammengehen aus und die SPD habe die vor jeder Wahl ins Spiel gebrachte Option, eine Koalition mit der Linken in Erwägung zu ziehen, so sehr zerrissen, dass darin eine Ursache dafür zu sehen ist, dass die Sozialdemokratie inzwischen zur schwächsten Landtagspartei geworden ist. Doch auch die Hegemonie der dauernden Regierungspartei CDU relativiert sich bei näherem Hinschauen. Ihr Anhang schmilzt stetig, in den Kommunen und Kreisen verliert sie an Boden und bei den Bundestagswahlen konnte sie noch nie an ihre Erfolge bei den Landtagswahlen anknüpfen. Überzeugend erklären können auch die Spezialisten dieses Phänomen nicht. So kann hinsichtlich der Wahlerfolge eigentlich seit 1994 nur die PDS/Linke zufrieden sein, die aber die jahrelange Isolation frustriert und die mit der Überalterung ihrer Mitglieder zu kämpfen hat.

 

Programmatisch und organisatorisch haben die thüringischen Parteien kein eigenständiges Profil gewinnen können und alle leiden darunter, dass die Mitglieder wenig Neigung zeigen, die eingeräumter Möglichkeiten der Partizipation auch zu nutzen. Den gravierenden Mitgliederschwund aller hat die CDU noch am besten aufgefangen. Nicht nur die Partei der kirchlich gebundenen Christen, sondern auch die mit dem größten Arbeiteranhang sowohl als Mitglieder wie Wähler! Den nach der Wende neu gegründeten Parteien ist es am schwersten gefallen, ihre Anhänger dauerhaft an sich zu binden. Ausgewogen sind die Einnahmen aus Mitglieds- und Mandatsbeiträgen, Spenden und staatlichen Zuschüssen bei der CDU. Hingegen ist die SPD auf erhebliche Zuschüsse des Bundesverbands angewiesen und leben die Grünen fast nur von den staatlichen Zuschüssen. Die Linke bestreitet ihre Ausgaben zu fast zwei Dritteln aus den Mitgliedsbeiträgen, die doppelt so hoch sind wie bei CDU und FDP, die vor allen auf Spenden angewiesen ist.

 

Der Anhang zu den monografischen Abhandlungen ist ein Datengebirge von 135 Seiten über Wähler, Mitglieder, Finanzen, Soziogramme der Parteien, über vielfältig aufgeschlüsselte Statistiken aller Wahlen und über die Regierungen in Thüringen. Gegenüber dieser Kärrnerarbeit fallen die läppischen Biogramme führender Politiker des Landes ab. Völlig unverständlich ist es, Karten überhaupt nicht zu beschriften; nicht jeder kennt jede Kreisstadt in Thüringen.

 

Die Bilanz der Autoren für Thüringen, das hier für alle neuen Bundesländer stehen kann, ist von Resignation nicht frei. Sie bescheinigt den Parteien, dass sie die Funktionen im demokratischen System durchaus erfüllen, doch den in einer Demokratie unverzichtbaren Rückhalt bei den Menschen nur unzureichend haben. Insofern ist Thüringen schon auf dem Weg in die Zukunft des Parteiensystems. Diese sehen einige Parteienforscher nicht mehr bei den Mitgliederparteien, sondern den Wähler- oder Netzswerkparteien. Für die Autoren dieses Bandes eher eine deprimierende Aussicht.

 

Dieses Werk hat alle Vorteile und Nachteile eines Handbuchs. Solide Informationen mit mehr Einzelheiten, als man eigentlich wissen will. Das, was der politisch interessierte Zeitgenosse wusste, wird vertieft, doch grundsätzlich Neues erfährt er nicht. Fragen, die sich aufdrängen, werden gestreift, befriedigend beantwortet werden sie nicht: Warum konnte die CDU zur dominierenden Partei in Thüringen werden, obwohl die sozialen Verhältnisse im Land ihr nicht günstig sind? Warum hat die SPD im Ursprungsland der Sozialdemokratie hinsichtlich Wähler und Organisation einen der schwächsten Verbände in Deutschland? Worin gründet der Aufstieg der PDS/Linke trotz gewaltiger historischer Erblast? Warum haben es die Rechten in Thüringen schwerer als in anderen ostdeutschen Ländern?

 

Eichstätt                                                                                             Karsten Ruppert