Ohe, Axel von der, Das Gesellschaftsbild des Bundesgerichtshofs. Die Rechtsprechung des BGH und die frühe Bundesrepublik (= Europäische Hochschulschriften 3, 1071). Lang, Frankfurt am Main 2010. 426 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Die Arbeit ist die am Anfang des Jahres 2003 begonnene, von Joachim Perels angeregte und betreute, 2007 von der philosophischen Fakultät der Universität Hannover angenommene Dissertation des nach dem Magisterstudium u. a. der politischen Wissenschaft ab 2005 als wissenschaftlicher Mitarbeiter und Büroleiter eines Bundestagsabgeordneten und seit 2008 als persönlicher Referent des Dezernenten für Umwelt, Planung und Bauen der Region Hannover tätigen Verfassers. Sie geht von der Definition der Bundesrepublik Deutschland als sozialer und demokratischer Rechtsstaat im Grundgesetz aus. Auf dieser Grundlage fragt sie mit Blickrichtung auf das Gebiet der Judikative nach den Modalitäten des vom Verfassungsgeber nach den Strukturbrüchen der Jahre 1945/1949 verordneten demokratisch-rechtsstaatlichen Lernprozesses.

 

Gegliedert ist sie in insgesamt fünf Teile. Diese betreffen die strafrechtliche Aufarbeiten von NS-Justizverbrechen in dem Nürnberger Juristenprozess, bei Gustav Radbruch und Helmut Coing sowie in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs und des Bundesgerichtshofs bis zur umfassenden Normalisierung der NS-Justiz samt späten Einsichten, die Gehilfenjudikatur vor allem des Bundesgerichtshofs, die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur 131-er Problematik, den Bundesgerichtshof und die Entschädigung für nationalsozialistisches Unrecht und die Staatsschutzrechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Verwertet werden dabei schätzungsweise 150 zu einem geringeren Teil auch unveröffentlichte Entscheidungen vor allem des Bundesgerichtshofs, aber auch anderer Gerichte.

 

Am Ende kommt der Verfasser zu einer insgesamt kritischen Bilanz. Nach seiner ansprechenden Beurteilung blieben die Aufarbeitungsbemühungen des Bundesgerichtshofs unvollständig und wurden in Teilbereichen verweigert. Obgleich eine Alternative zur Verfügung gestanden hätte, reifte die Erkenntnis des justizgeschichtlichen Irrwegs nur ganz allmählich, so dass erst fünfzig Jahre später offen von der anfänglichen Unfähigkeit der Nachkriegsjustiz, nationalsozialistisches Justizunrecht zu sühnen, gesprochen wurde, weshalb der Verfasser die vom Grundgesetz vorgesehene Aneignung des demokratischen Rechtsstaats mit Verzögerungen belastet sieht.

 

Innsbruck                                                                               Gerhard Köbler