Mit den Augen der Rechtsgeschichte - Rechtsfälle selbstkritisch betrachtet, hg. v. Luminati, Michele/Falk, Ulrich/Schmoeckel, Mathias. Lit Verlag, Münster 2008. 552 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Am 23. Juli 1998 saßen die Herausgeber anlässlich des europäischen Forums junger Rechtshistorikerinnen und Rechtshistoriker in München bei einem gemeinsamen Mittagessen und diskutierten über Tagungskultur und wissenschaftliche Debatten, über methodische Probleme und andere Mankos ihres Faches. Aus dem Gespräch ergab sich, wie es bei jungen Wissenschaftlern naheliegt, die Idee, ein Treffen zu organisieren, an dem offen und unkonventionell über methodische Fragen rechtshistorischen Arbeitens debattiert werden sollte. Ausgenommen sollte eine Tagung mit langen, meist abgelesenen Referaten und programmierten Diskussionen sein.

 

Im März 2000 betrachteten die Herausgeber in Bonn erstmals Gegebenheiten mit „den Augen der Rechtsgeschichte“. Um nicht in allzu abstraktes und dann praktisch folgenloses Räsonnieren abzugleiten, luden sie verschiedene Kolleginnen und Kollegen ein, konkrete Werkstücke zu liefern und gegenseitig methodisch-kritisch zu kommentieren. Ziel war es, sich mit den Methoden und den apokryphen Prämissen, die jedem Text zugrunde liegen, zu befassen.

 

Jedem Text wurden ein Hauptreferent und ein Koreferent zugewiesen. Im Mittelpunkt der Referate standen nicht die konkreten Inhalte des Textes, sondern Fragen nach der Behandlung des Stoffes, der Auswahl der Quellen, der Art der Darstellung und der Wahl der Perspektive. Hauptaufgabe der Referentinnen und Referenten war die Vorbereitung einer fruchtbaren Diskussion, von der der Referent bis zu einem Schlusswort ausgeschlossen war.

 

Nach diesen von Miloš Vec in der ZRG GA 118 (2001), 907ff. vorgestellten Ansätzen bot sich die Gelegenheit zur Fortführung in Luzern im Dezember 2003. Ziel dieser Tagung war es, mittels Diskussion konkreter Fallstudien zu einer Auseinandersetzung über grundsätzliche methodische Fragen der Rechtsgeschichte zu gelangen, wobei in Abgrenzung zu den Allgemeinhistorikern das spezifisch Rechtshistorische zu betonen war. Da es keine Vorgabe hinsichtlich des Adressatenkreises gab, kamen Texte unterschiedlichster Art zusammen. Die auf dem Umschlagbild abgedruckte Palette Marc Chagalls aus der Sammlung Rosengart (Luzern) veranschaulicht eindrucksvoll den farbigen und offenen Werkstattcharakter der Zusammenkunft.

 

Fünf Jahre später gelang die Veröffentlichung. Sie umfasst 16 Beispiele von Chile bis Österreich und vom 13. bis zum 20. Jahrhundert: Krieg auf dem Schlachtfeld und Streit vor Gericht (Bernd Kannowski), darf die Stadt Nocera wegen eines nicht aufgeklärten Totschlags bestraft werden (Susanne Lepsius), Salzburger Beamtendisziplinierung im 15. Jahrhundert (Hans-Georg Hermann), das Schisma im Erzbistum Mainz 1200/1202 (Andreas Thier), der Bischof, die Nonnen und das Ei (Thomas Duve), ein Urteil der Rota florentina (Roy Garré), der Militärdienst des Johann Steves, das rheinische Oberappellationsgericht und der ordre public (Hans-Peter Haferkamp), Zunftzwang und Handelsfreiheit (Peter Oestmann), Rechtsprechung und Wohnungsfrage (Tilman Repgen), la questione dei decreti-legge tra dimensione fattuale e teorica (Massimo Meccarelli), cause in vista (Pasquale Beneduce), fiat iustitia - Thema und Variationen über einen Mord in Triest (Mathias Schmoeckel), ein Richter vor den Richtern (Michele Luminati), in den Mühlen der Justiz (Martin F. Polaschek), Edvard Munchs Sommernacht am Strand (Franz-Stefan Meissel) und das Fehlurteil in der deutschen Öffentlichkeit (Ulrich Falk). Wer immer nach neuen Wegen sucht, wie Rechtsgeschichten richtig erzählt werden sollen, findet in dem spannenden Band zahlreiche wertvolle, weiterführende Anregungen verschiedenster Art, auch wenn die Diskussion angesichts der bunten Palette des menschlichen Lebens niemals wirklich abgeschlossen sein können wird.

 

Innsbruck                                                                               Gerhard Köbler