Mesner, Maria, Geburtenkontrolle. Reproduktionspolitik im 20. Jahrhundert. Böhlau, Wien 2010. 302 S. Besprochen von Adolf Laufs.
Der Titel der literarisch wie archivalisch wohlfundierten, theoretisch ambitionierten Studie greift zu weit, denn das Werk führt die Geburtenkontrolle nicht schlechthin, sondern im Vergleich zwischen zwei Ländern vor Augen: Die Autorin befasst sich nämlich „mit der Rekonstruktion von Diskursen, politischen Strategien, AkteurInnen und Akteursgruppen sowie mit deren Motiven im Bereich der Reproduktion in den USA und Österreich“. Den Terminus Reproduktion versteht sie umfassend, nicht nur biologisch, sondern auch sozial. Er umfasst also nicht allein die Fortpflanzung, sondern ebenso das gesellschaftliche Umfeld. Die Verfasserin beschränkt sich auf drei „Arenen“: „die Sexualberatungsstellen in den beiden Städten Wien und New York in der Zeit zwischen den Weltkriegen; Politiken, die sich während des 20. Jahrhunderts auf die Schnittstelle von Erwerbsarbeit und reproduktiven Aufgaben sowie die Vermittlung der beiden beziehen; und die Auseinandersetzung um die gesetzliche Regelung des Schwangerschaftsabbruchs im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts“. Die Arena sei der Ort, „an dem Konflikte über unterschiedliche und divergierende Sets von Werten, Haltungen, Gesellschaftsinterpretationen und Politiken ausgetragen werden“.
Zur Politik gehört die Rechtspolitik und damit auch die juristische Argumentation, die ihrerseits durchaus wirksam werden kann. Das zeigt sich etwa bei den Kontroversen um die artifizielle Reproduktion, um die Präimplantationsdiagnostik und den Status des Embryos. Doch materielle Fragen des Rechts wie auch der Philosophie oder der Theologie zählen nicht zu den Gegenständen des Buches, dessen allgemeinpolitik-, gesellschafts- und mentalitätsgeschichtlichen Stoffe – differenziert und abgewogen erschlossen – die Fülle der Monographie ausmachen.
Dicke, ungebrochene Linien zu ziehen, ist nicht Sache der Autorin. So lassen sich denn auch ihre Ergebnisse auf knappem Raum nur schwer zusammenfassen. Die vergleichende Analyse ergab, „dass die Differenzen einerseits in den gesellschaftlichen Geschlechter-Arrangements, andererseits in der Verfasstheit der politischen Kultur liegen“. Die normative Definition des Verhältnisses von Erwerbs- und Reproduktionsaufgaben im Österreich des 20. Jahrhunderts erwies sich als nie so eindeutig ausgeprägt wie in den USA und viel stärker von Widersprüchlichkeiten gekennzeichnet.
Es überrascht nicht, dass die Konflikte um die Abtreibungsgesetzgebung in den USA und in Österreich von den jeweils unterschiedlichen und charakteristischen institutionellen wie ideologischen Voraussetzungen abhingen, mochten sich Konfliktthema und Konfliktinhalt auch ähneln. So spielten die politischen Parteien in Österreich eine größere Rolle als in den USA, wo die evangelikalischen Kräfte den Konflikt nach Aufhebung des Abtreibungsverbots anheizten. Hier wie dort trugen die Frauenbewegungen wesentlich zur Strafrechtsreform bei. In einem fragmentarischen Schlussteil („Rationalisierung, Individualisierung, Globalisierung“) rückt die Autorin die beschriebenen Abläufe in größere bevölkerungspolitische und diskursive Zusammenhänge. Sie sieht „die Ambivalenz des modernen Versuches, menschliche Reproduktion zu kontrollieren und zu steuern, in diesem Versuch selbst angelegt“.
Das Buch bietet für den Juristen keine einfache Lektüre. Sie lohnt sich für den Rechtshistoriker, der Hintergrundinformationen sucht.
Heidelberg Adolf Laufs