Mentz, Dörte, Die Beweislastumkehr in der Rechtsprechung des Reichsgerichts (= Rechtshistorische Reihe 401). Lang, Frankfurt am Main 2010. 456 S. Besprochen von Gerhard Köbler.
Die Arbeit ist die von Maximiliane Kriechbaum betreute, im Wintersemester 2008/2009 von der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Hamburg angenommene Dissertation der zeitweise als wissenschaftliche Mitarbeiterin und jetzt als Richterin tätigen Verfasserin. Sie verbindet das geltende Zivilprozessrecht mit seiner jüngeren Geschichte. Dabei geht die Verfasserin subtil und abwägend vor.
Beweislastumkehr bezeichnet die Abänderung der vom Gesetz und seiner wissenschaftlichen Auslegung gegebenen Verteilung der Beweislast durch die Rechtsprechung. Die Verteilung der Beweislast ist dabei von der Frage der Würdigung der vorgelegten Beweise durch den Richter zu trennen. Da die Verfasserin in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs Ungenauigkeiten aufspürt, welche die Ansicht nahelegen, dass eine Beweislastumkehr im Wege der Beweiswürdigung erreicht werden könne, und der Bundesgerichtshof oft auf die Rechtsprechung des Reichsgerichts Bezug nimmt, untersucht sie die Frage, inwiefern Ungenauigkeiten bei der Abgrenzung zwischen Beweislastverteilung und Beweiswürdigung auf einer entsprechenden Praxis des Reichsgerichts beruhen.
Nach der einleitenden Beschreibung der Problemstellung und des Ganges der Untersuchung legt die Verfasserin zunächst die Beweislehren „unter Grundlage der ZPO“ dar und behandelt dabei nacheinander die Beweislehren zu Zeiten des Reichsgerichts und die Beweislehren aus heutiger Sicht, wobei sie zusammenfassend feststellt, dass grundsätzlich die Möglichkeit einer richterlichen Beweislastumkehr in Gestalt der Umkehr der objektiven Beweislast anerkannt wird, wobei die neue Regel nicht nur Billigkeitserwägungen des Einzelfalls Rechnung tragen darf. Danach untersucht sie als einzelne Fallgruppen der Beweislastumkehr den prima-facie-Beweis, den Verschuldensbeweis bei § 823 II BGB, den Verschuldensbeweis bei Schadensersatz wegen positiver Vertragsverletzung, den Kausalitätsbeweis bei Verletzung des § 618 BGB, die Beweisvereitelung und das Arzthaftungsrecht. Im Ergebnis findet sie den Ansatz, dass die Formel der Beweiserleichterungen bis hin zur Beweislastumkehr auf einem ungenauem (!) und extensivem (!) Beweislastbegriff beruht, für die Rechtsprechung des Reichsgerichts nicht bestätigt.
Im dritten Teil führt sie eine „Gegenüberstellung zur Rechtsprechung des BGH“ durch. Hier erfasst sie als Fallgruppen im Arzthaftungsrecht grobe Behandlungsfehler, Verletzung der Dokumentations- und Befundsicherungspflichten, Beweisvereitelung, Produzentenhaftung, Verletzung vertraglicher Aufklärungspflichten bzw. Beratungspflichten, grobe Verletzung von Berufspflichten und den Verschuldensnachweis bei § 823 II BGB, so dass bei dem Verschuldensbeweis bei Schadensersatzansprüchen wegen positiver Vertragsverletzung (infolge Gesetzesänderung) und wegen Schutzverletzung eine Beweislastumkehr durch den Bundesgerichtshof mehr angenommen wird. Im Gesamtergebnis sieht sie dementsprechend die reichsgerichtlichen Entscheidungen im Bereich der allgemeinen Beweisvereitelung, im Arzthaftungsrecht und bei den Schutzgesetzverletzungen als Ursache der späteren, großteils bis zur Gegenwart anhaltenden Ungenauigkeiten an.
Innsbruck Gerhard Köbler