Mehring, Reinhard, Carl
Schmitt. Aufstieg und Fall. Beck, München 2009. 747 S. Besprochen von Bernd
Rüthers.
Die Literatur zu Carl Schmitt wächst
unaufhörlich weiter an. Reinhard Mehring hat in die internationale Flut der
„Schmittiana“ eine neue Leuchtboje gesetzt. Seine stark quellengestützte
Biographie umfasst 750 Seiten (582 S. Text; der Rest Anmerkungen etc.) und
bringt eine Fülle neuer, bis dahin unbekannter Details aus dem wechselvollen
Leben des vielseitig interessierten und umstrittenen Staatsrechtlers der
Weimarer und der NS-Zeit zutage.
Den zahlreichen deutschen und internationalen
Publikationen zum literarischen und rechtspolitischen Wirken Schmitts sind
regelmäßig willkürlich gewählte Hinweise zu seiner bunten Lebensgeschichte
beigefügt. Was bisher fehlte, war der Versuch einer umfassenden systematischen Biographie.
Dazu gab es Vorversuche, etwa von dem Kultursoziologen Nicolaus Sombart[1]
(1991) oder dem Politikwissenschaftler Paul Noack[2]
(1993). Mehr Deutung als Biographie enthielt auch die umfangreiche Dissertation
(979 Seiten!) Andreas Koenens „Der Fall Carl Schmitt“[3].
Alle litten aus heutiger Sicht erkennbar unter einer beschränkten
Quellenkenntnis und fixierten Vorverständnissen.
Neuerscheinungen zum Thema Carl Schmitt erfreuen
sich, unterstützt von einer geschickten PR-Strategie des Verlages und der
Leitmedien, trotz der Fülle der einschlägigen Titel, großer Aufmerksamkeit.
Schmitt hat unverändert Konjunktur und genießt die Neugier der „Hoch-
Feuilletons“ (ZEIT, NZZ, FAZ, FAZaS und Süddeutsche Zeitung). Sie brachten, fast
auf den Tag zeitgleich, und teils noch vor der Auslieferung des Buches, Rezensionen
der Biographie des bekannten Juristen. Es fällt auf: Weder der Autor noch einer
der Rezensenten ist vom staatsrechtlichen Fach. Das bedeutet eine gewisse Distanz
und Fremdheit gegenüber dem juristischen Werk Schmitts und seinen Dimensionen, Ausstrahlungen
und den Folgen von dessen teilweise fulminanten Thesen. Auch die dazu
vorhandene analytische Literatur wird nicht vollständig verarbeitet; also mehr
eine persönliche Biographie als zugleich eine Werkanalyse.
Die Aufmerksamkeit, die das Buch findet, ist gleichwohl
gerechtfertigt. Reinhard Mehring zählt seit langem zu den versierten Kennern
der Materie. Er hat, seit seiner Dissertation[4]
bei Wilhelm 1988, einen erheblichen Teil seines bisherigen wissenschaftlichen
Werkes der Erforschung von Leben und Werk des Staatsrechtlers Carl Schmitt
gewidmet.[5]
Was er jetzt vorlegt, ist das Ergebnis zwanzigjähriger umfangreicher Recherchen
in allen relevanten Archiven, eingehender Studien und persönlicher Gespräche
mit zahlreichen Zeitzeugen. Er hatte nahezu unbeschränkten Zugang zu den
Quellen, wie er keinem der bisherigen Biographen zur Verfügung stand. Dazu
gehörten nicht zuletzt die transkribierten, teilweise inzwischen publizierten
Teile der Tagebücher Schmitts. Der ungehinderte Quellenzugang Mehrings war
nicht zuletzt dem Umstand zu verdanken, dass er seine zunehmend kritische Sicht
der menschlichen Substanz, der Vita und des Wirkens seines Helden in seinen
bisherigen Publikationen zu Schmitt eher zurückhaltend formuliert und das
Vertrauen der verschiedenen Hüter des Nachlasses erworben hatte. Reste dieser schonenden
Zurückhaltung, die er mit zahlreichen Schmitt-Schülern und Verehrern teilt,
sind auch im Gesamtduktus des Buches nicht zu übersehen. So stellt er etwa sein
Vorwort unter den Titel „Ein weißer Rabe“, „… Unschuldslamm und schwarzes
Schaf“ zugleich. Er zitiert dazu Schmitt mit dessen Selbstdeutung, das Bild kennzeichne
eine Diskrepanz zwischen Leumund und Charakter. Dieses Vorwort lohnt eine
sorgfältig-kritische Lektüre. Es enthält manche Vorwegnahme der Deutungen des Verfassers
im Hauptteil des Buches. Sie lehnen sich bisweilen an das larmoyante
Selbstverständnis Schmitts in dessen Publikationen und Äußerungen nach dem
Krieg an.[6]
Schmitt sah sich schon nach seinem Karriereknick im Jahr 1936 (Verlust der
politisch relevanten Ämter und Funktionen), erst recht nach seinem unfreiwilligen
Rückzug in das kleinstädtische Plettenberger Exil nach der Haftentlassung 1947,
fast permanent als einen existentiell Bedrohten, zu Unrecht Gejagten und
Verfolgten an; eine Vorstellung, die sich mit zunehmendem Alter verdichtete.
Andererseits ist dem Autor zu bescheinigen, dass
er sich, anders als viele andere „Schmitt-Forscher“ und Adepten von der Person
und dem Werk des zwielichtigen Staatsrechtlers nicht hat faszinieren und zur
Kritiklosigkeit verleiten lassen. Niemand kann ihm vorwerfen, er hätte eine
einseitige Perspektive gewählt. Detailgenauigkeit, Anerkennung und Kritik sind
schön gleichmäßig verteilt. Der Leser steht vor dem Ergebnis voller Bewunderung
für die Akribie, die umfassende Quellenkenntnis des Autors und für die Sorgfalt
der systematischen Aufbereitung der immensen Stoffmenge. Zu Carl Schmitt ist
nun eigentlich fast alles Erfassbare gesagt; manchem könnte es auch zu viel
erscheinen, aber die willige Aufnahmebereitschaft der Leitmedien spricht für
sich. Anzumerken bleibt noch, dass Schmitt vor allem Staatsrechtslehrer war.
Manche juristischen Aspekte seines Werkes bleiben politologischen Sichtweisen
seiner Biographie fremd. Auch die einschlägige Literatur zum Wirken Schmitts im
Dritten Reich ist nur unvollständig erfasst.
Der Verfasser gliedert seine gewaltige
Stoffsammlung in vier Lebensabschnitte: „Aufstieg im Wilhelminismus“, „Weimarer
Leben und Werk“, „Nationalsozialistisches Engagement und Enttäuschung“ sowie
„Langsamer Rückzug nach 1945“. Könnte der vierte Teil vielleicht treffender
heißen: „Vereinsamung, Verbitterung und Verfolgungswahn“?
Die genannten Epochen werden in unendlich vielen
Details akribisch geschildert. Das Umfeld der Herkunft aus katholisch-gläubiger
Familie, das Leben als Gymnasiast in einem katholischen Konvikt im nahen Attendorn,
die Studienjahre in Berlin, München und Straßburg, die Entstehung der ersten juristischen
und außerjuristischen Monographien, Schmitts literarische Freunde und
Interessen, sein jeweiliges gesellschaftliches Umfeld, die komplizierten und
schwankenden Verhältnisse zu Mentoren, Freunden und Förderern, seine Sehnsüchte
und Lebensträume von Ruhm, Reichtum und Macht, Erfolge und die von mit
vielfachen Suizidphantasien begleiteten Depressionen, das alles wird
differenziert in eingängiger Sprache und mit großem Einfühlungsvermögen
geschildert. Breit auch die Passagen über sein wechselhaftes Sexualleben neben
und während dauerhafter Bindungen. Beginnend mit dem mehrjährigen Drama seiner
ersten Ehefrau Cari (von) Dorotic, einer Tänzerin aus dem Tingel-Tangel und angeblichen
serbischen Gräfin. Sie erweist sich als Hochstaplerin, die ihre Abstammung und
ihren Geburtsjahrgang gefälscht hat. Die 1915 mit der Vorlage gefälschter
Urkunden geschlossene Ehe wurde nach wild bewegten Beziehungsschwankungen 1924
vom Landgericht Bonn aufgehoben. Die eher blasse Schilderung dieser Verbindung (S.
57-70, 81ff., 150ff.) bestätigt eine Feststellung Rüdiger Altmanns, eines
kriegsverletzten Schmitt-Schülers, 1943 in Berlin, dass die Person und der spätere
Lebensweg Schmitts vor allem aus seiner Fehleinschätzung dieser Frau zu
verstehen sei.[7] Die Ehe
wurde für ihn nach kurzer Zeit ein Wechselbad zwischen sexuellen
Glückserfahrungen und schweren psychischen Belastungen. Das dauert bis zur
Trennung 1922.[8]
Parallel zum beruflichen Aufstieg wuchsen schon
in der Weimarer Zeit private Verwirrungen und Spannungen. Seinem Verhältnis zur
Sexualität, zu Frauen in vielfältigen Schattierungen, aber auch zu seinen
engeren Gefährten der jeweiligen Lebenssituation widmet der Verfasser breite,
detailreiche Passagen. Die Biographie ergeht sich hier, wie schon die
Tagebücher Schmitts, in verzichtbar erscheinenden Einzelheiten. So erfährt der
Leser von ganzen Serien der von Schmitt über jeweils längere Zeit nach der mit Cari gescheiterten ersten und
während seiner zweiten Ehe mit Duska
Todorovic bevorzugten Frauen, Studentinnen und Prostituierten, vor allem in
seiner Bonner und Berliner Zeit. Seine zweite große Liebe nach Cari war die Irin
Kathleen Murray, die er zeitweilig heiraten will; dann kam die „lockere“
Schwabinger Ärztin Ella Carola („Lolo“) Sauer. Es folgten die 19jährige
serbische Studentin Dusanka (Duska) Todorovic, später seine 2. Ehefrau, dann
noch Iser Krause, Tochter von Freunden, später die käufliche Verkäuferin
„Fräulein Lizzi“, die bald darauf als seine Dauergeliebte Magda heißt, eine
Tänzerin Georgette in Davos, noch eine Studentin Ruth Büttner, ferner Margot
von Quednow und Hella Ehrik sowie zahllose andere; die meisten zeitgleich zur
Krankheit und Schwangerschaft seiner Frau Duska, die vieles weiß oder ahnt.
Diese hat er in einem bewussten Bruch mit der bis dahin von ihm gepriesenen
Hierarchie der katholischen Kirche (das katholische Ehegericht hatte die
beantragte Annullierung seiner 1. Ehe abgelehnt) am 8. Februar 1926 geheiratet.
Die Ehe mit dieser an Tuberkulose schwer erkrankten Assistentin und Geliebten
wuchs sich schnell zu einer schweren Belastung aus. Die Krankheit bricht bald
danach mit starken Blutungen offen aus. Schon im Oktober 1926 verflucht Schmitt
in seinem Tagebuch die „grauenhafte Dummheit“ seiner 2. Ehe. Während dieser
Zeit verkehrt er regelmäßíg mit der „lieben, hingebenden, aber oft rauhen“
Magda, zunächst in den warmen Rheinwiesen, dann, weil es jahreszeitlich bedingt
kühl wird, in Eisenbahnabteilen und im sturmfreien Haus in Bonn-Friesdorf. Die
Affäre mit Magda, die er während des Klinikaufenthaltes seiner Frau kennen
lernt, zieht sich über zwei Jahre hin. Als Abschiedshonorar gibt er ihr „fünfzig
Mark und eine Dose Pralinen“ (Tagebuch 29. 3. 1928). Mehring beschreibt das Gesamtkapitel
– ganz in der Terminologie Schmitts – treffend als (permanenten?) ‚erotischen
Ausnahmezustand‘.
Die Darstellung erscheint oft uferlos genau,
scheinbar unbeteiligt, aber in der Überzeugungskraft der kausalen Abläufe zwingend.
Sie ergibt ein schonungsloses Bild einer getriebenen, gespaltenen, zerrissenen
Charakters, der, überragend intellektuell begabt, seinem unbegrenzten Ehrgeiz
und dem Drang zu Ehre, Macht, Reichtum und Genuss folgt. Es erscheint fast
einseitig verkürzt, wenn Mehring seinen Helden als Fallbeispiel für die Risiken
politischer Verstrickung versteht. Die Neigungen zur blinden Verfallenheit sind
weit gestreut und widersprüchlich.
Schmitt hat sich früh[9]
zum Leitbild eines starken, heroischen Staates bekannt, dessen Allmacht er
später in seiner Souveränitätslehre zur Gottähnlichkeit stilisierte.[10]
Im krassen Gegensatz dazu zeigt er in seinem Tagebuch über die Kriegszeit, als
er durch die Vermittlung seines Mentors von Calker in einem sicheren Büro
sitzt, panische Todesangst bei dem Gedanken, er könne zum Fronteinsatz
kommandiert werden.[11]
Wochenlang beschäftigt er sich wegen der bloßen Möglichkeit, für fronttauglich
erklärt zu werden, intensiv mit Selbstmordgedanken, während seine
Altersgenossen bei Langemarck und anderswo für das Vaterland sterben. Andererseits
besucht er, gelegentlich gemeinsam mit seiner Prostituierten, heroische Filme,
macht Schießübungen mit Gewehr und Pistole und bekommt zunehmend Alkoholprobleme.
Schon für die karge Referendarzeit in Düsseldorf
schildert Mehring die Neigung Schmitts, seine Freunde und Wohltäter hemmungslos
um Unterstützung anzugehen und sie auszunutzen. Dieser Hang bleibt erhalten. In
seinen Tagebüchern werden die „Freunde“ und Gönner oft gleichzeitig mit
schärfsten Unwerturteilen belegt. Das gilt Zeit seines Lebens auch für spätere enge
Gefährten, etwa für Georg Eisler, Hugo am Zehnhoff, Ernst Forsthoff, Ernst
Jünger und viele andere, denen er, etwa bei Jünger, ihre Erfolge neidet. Ohne
Übertreibung wird man wohl eine wesenseigene Neigung zum permanenten
Freundesverrat konstatieren müssen.
Nach einigen herausragenden Monographien in der
Weimarer Zeit, die von Mehring detailliert gewürdigt werden, wird man eine
zweite, hektische Hochphase des Wirkens Schmitts in seiner Rolle als
„Kronjurist des Dritten Reiches“ (so erstmals sein enttäuschter Schüler
Waldemar Gurian) zu sehen haben, allerdings mit dramatischen
Qualitätsverlusten. Sein vorbehaltloses Engagement für den skrupellosen
Rassismus des NS-Staates, für die unbeschränkte Diktatur Hitlers und für die
Beseitigung aller rechtsstaatlichen Garantien nach 1933 ist vielfältig
beschrieben und analysiert worden. Es macht der ‚entfesselten Jurisprudenz‘
seines „konkreten Ordnungsdenkens“ keine Probleme, alle früher verkündeten rechtsstaatlichen
Grundsätze im Sinne der NS-Ideologie umzudeuten. Den fundamentalen Kernsatz
rechtsstaatlichen Strafrechts „nulla poena sine lege“ stellt er 1936 auf
den Kopf, indem er fordert: „nullum crimen sine poena“. 1945 fertigt er
dann für den inhaftierten Industriellen Friedrich Flick ein Gutachten an, in
dem er völlig unbekümmert um seine Widersprüche genau das Gegenteil einfordert.[12]
Zu den literarischen Eskapaden Schmitts im Dienste der NS-Diktatur und der
„Entjudung“ der deutschen Rechtswissenschaft muss nicht mehr gesagt werden. Selbst
seine engsten Schüler und Verehrer wie Ernst Forsthoff und Ernst Rudolf Huber
fühlten sich von dem geifernden Antisemitismus abgestoßen. Dieses Engagement
war auch, entgegen vielen verharmlosenden Fehldeutungen, nicht etwa 1936 mit
seinem Sturz aus den Machtpositionen beendet. Er hat es ab 1938 durch eine
unverhohlene Propaganda und den Lobpreis für die Großtaten des Führers bei der
Schaffung eines neuen „Großraums“ fortgesetzt. Vielleicht ist die Frage angebracht,
welche Maßstäbe einen Teil seiner Verehrer dazu bewegen mögen, diesen zentralen
Teil seines Lebenswerkes zu verdrängen oder zu verniedlichen.
Jedes einzelne der Kapitel dieser Biographie lässt
den Leser überwiegend irritiert zurück: Was war das für ein Mensch? Mehring
gelingt es, den Werdegang Schmitts, das gesellschaftliche Umfeld, seine
jeweiligen „Lage“, die historischen Hintergründe und die Interpretation seiner
vielfältigen, thematisch divergierenden Publikationen zu einem insgesamt
eindrucksvollen, umfassenden, oft allerdings verwirrenden Bild zusammenzuführen.
Er vermag, den umtriebigen Ehrgeiz Schmitts in allen Lebenslagen sichtbar zu
machen. Dieser Ehrgeiz trieb ihn dazu, beruflich wie privat, in seinen
gesellschaftlichen, künstlerischen und sexuellen Beziehungen ständig auf
mehreren Hochzeiten zu tanzen. Auf die Darstellung der Schriften Schmitts und
ihrer vielfältigen Deutungen in der Literatur und bei Mehring kann hier
verzichtet werden. Dazu gibt es wenig Neues. Mit eigenen Beurteilungen und Verurteilungen
hält sich der Autor als Biograph, nicht Zensor, rollengemäß zurück; manchmal so
sehr, dass wichtige kritische Stimmen in der Literatur bei ihm nur am Rande
erwähnt, inhaltlich aber ausgelassen werden (wie etwa Christian von Krockow).
Andere Kritiker und ihre Quellen entfallen völlig, etwa der damalige Jurist und
Assistent Hans Kelsens, Hans Mayer, der den devoten Antrittsbesuch Schmitts bei
Hans Kelsen in Köln 1932 plastisch und kennzeichnend beschrieben hat.[13]
Kurz darauf verweigerte Schmitt, der mit nachdrücklicher Unterstützung Kelsens
und gegen den Willen des Oberbürgermeisters Adenauer nach Köln berufen worden
war, einer Eingabe der Fakultät gegen dessen Vertreibung von der Universität
seine Unterschrift. Auch die dezidierten Urteile namhafter Vertreter vieler
Nachbardisziplinen werden nicht genannt, obwohl die Quellen leicht zugänglich
sind.[14]
Interessant ist auch die präzise Darstellung des
Schicksals, der Haltung und der Rolle Schmitts in der Nachkriegszeit. Mit Hilfe
eines Kreies treuer Kollegen, Schüler und Freunde in verschiedenen Bereichen
aus alter Zeit gelang es ihm, auch aus dem Plettenberger Kleinstadtexil heraus
eine Vielfalt von Kontakten aufzubauen, wobei gute Beziehungen zu bestimmten
Leitmedien (FAZ, NDR, DIE ZEIT u. a.) hilfreich waren. Selbst der SPIEGEL (Rudolf
Augstein) suchte gelegentlich in Plettenberg Rat und war weiteren Kontakten
nicht abgeneigt. Die Vielfalt dieses Netzwerkes auch innerhalb einer jüngeren
akademischen Generation, maßgeblich gefördert durch den Philosophen Joachim
Ritter in Münster und Ernst Forsthoff mit seinem Ebracher Seminar, spiegelt sich in
einem Photo der Festgemeinde zu Schmitts 90. Geburtstag 1978.
Zu jeder Art von Selbstkritik seines Wirkens in
der NS-Zeit bleibt Schmitt in den dreißig ihm verbleibenden Jahren der
Nachkriegszeit unfähig. Im Gegenteil: Alles was er geschrieben und getan hatte
war reine und höchste Wissenschaft. Er sah sich ständig verfolgt und zu Unrecht
diffamiert von Remigranten, vor allem von jüdischen Wissenschaftlern. Seine
Gemeinde darf ihn auf seine unsäglichen Auslassungen auf der Tagung „Der Kampf
der deutschen Rechtswissenschaft wider den jüdischen Geist“ 1936 nicht
ansprechen. Und alle Gefährten, auch die Verehrer der zweiten Generation, schweigen
gehorsam und beflissen, viele bis heute. Das brachte selbst seinen
Lieblingsschüler Ernst Rudolf Huber nach einem vergeblichen Gesprächsversuch
dazu, die Beziehung endgültig zu beenden. Diese Faszination der Jüngeren durch
Schmitts vieldeutige staatsrechtliche Wortzaubereien bleibt auch nach der
Lektüre des spannenden Buches ein Rätsel.
Mehring überschreibt die Zeit nach 1945 mit dem
Obertitel „Langsamer Rückzug“. Diese an Skurrilitäten reiche Epoche
unablässiger, immer neu gescheiterter Versuche Schmitts und seiner Anhänger,
ihn auf die große geistespolitische Bühne der Bundesrepublik zurück zu bringen,
ist damit kaum zutreffend erfasst. Das lange Ende seines Lebens erlebt er in
zunehmender geistiger und seelischer Verdunkelung.
Ich habe das ungemein sorgfältig erarbeitete Buch,
ungeachtet einiger Längen, mit Spannung und innerer Anteilnahme gelesen. Die
sachliche und sprachliche Leistung des Autors verdient Bewunderung. Wer ein
Lexikon für Schmitts Werdegang und das ihn prägende Umfeld seiner wechselnden
„Lagen“ sucht, der findet hier ein riesiges Material, nahezu alle Informationen
über die einzelnen Lebensstationen, zuverlässig nach den Quellen erschlossen.
Trotzdem bleibt die Frage: Müssen wir das alles
im Jahre 2009 noch so genau wissen? An wen sind die 750 Seiten Text mit
Anmerkungsapparat adressiert? Schmitt war und ist für eine spezielle Juristenexistenz
in vier politischen „Reichen“ zweifellos ein bemerkenswertes, ja einzigartiges
Phänomen. Aber mit weniger verwirrenden Details wäre er vielleicht leichter zu
durchschauen und einzuordnen. Worin liegt seine Bedeutung heute? Biographie als
Warnung? Sein verführerischer Einfluss auf jeweils neue Generationen
Orientierung suchender Intellektueller und Fundamentalisten aller politischen
Richtungen von Armin Mohler über Jürgen Seifert, Johannes Groß und Günter
Maschke bis zu den neuen Linken und Rechten mag die Neugier auf das Buch
erklären und rechtfertigen.
Konstanz Bernd
Rüthers
[1] Die
deutschen Männer und ihre Feinde. Carl Schmitt: Ein deutsches Schicksal
zwischen Männerbund und Matriarchatsmythos. München, 1991, Fischer TB,
Frankfurt am Main 1997
[2] Carl Schmitt, Eine Biographie, München
1993
[3] Darmstadt 1995.
[4] Reinhard
Mehring, Pathetisches Denken,
Carl Schmitts Denkweg am Leitfaden Hegels, Berlin 1989.
[5] Vgl. aus einer großen Zahl von
Publikationen nur etwa R. Mehring, Wie fängt man ein Chamäleon? Probleme und Wege einer
Carl Schmitt-Biographie, in: Idee, Zeitschrift für Ideengeschichte, H. III/2
(2009), S. 71-86; ders., Carl Schmitt im Archiv, in Annette Brockmöller u. Eric
Hilgendorf (Hrsg.), Rechtsphilosophie im 20. Jahrhundert – 100 Jahre Archiv für
Rechts- und Sozialphilosophie. Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie,
Beiheft 116, S. 51-67; ders., Ausgerechnet ich! Souverän ist, wer der Nachwelt
die Auswahl des Lesenswerten überläßt: Warum es keine
Carl-Schmitt-Gesamtausgabe gibt, FAZ, 10. Juli 2006; ders., (Hrsg.), Carl Schmitt – Der Begriff des
Politischen. Ein kooperativer Kommentar.
Berlin 2003; ders., Carl Schmitt zur Einführung. Hamburg 2001; ders., Der „Nomos“
nach 1945 bei Carl Schmitt und Jürgen Habermas, Forum Historiae Iuris, 31.
März 2006; ders., Carl Schmitt und der Antisemitismus. Ein unbekannter Text, in: Forum
Historiae Iuris, März 2006; ders., Karl Löwith, Carl Schmitt, Jacob Taubes und das „Ende der
Geschichte“, in: Zeitschrift für Religions- und
Geistesgeschichte, 48, 1996, S. 231-248.
[6] Vgl. etwa „Ex Captivitate Salus“, 1950;
„Glossarium, Aufzeichnungen der Jahre 1947-1951“, 1991; Briefwechsel mit Armin
Mohler, 1995; mit Ernst Jünger, 1999; mit Ernst Forsthoff, 2007; mit
Hans-Dietrich Sander, 2008.
[7] R. Altmann war später Oberassistent bei
dem marxistischen Juristen und Politologen Wolfgang Abendroth in Marburg. Er
bewahrte sich trotz fortdauernder Kontakte zu Schmitt im Gegensatz zu vielen
anderen Schmitt-Anhängern seine intellektuelle Unabhängigkeit: „Wir sollten uns davor hüten,
Adepten des großen Magiers zu sein; diese epigonale Treue ist etwas lästig.“ Im
persönlichen Gespräch wurde er deutlicher: „C. Schmitt war analytisch ein
Genie, charakterlich ein Schwein.“
[8] Ausführlich dazu C.
Schmitt , Die Militärzeit1915-1919 , Tagebuch Februar bis Dezember 1915.
Aufsätze und Materialien, hrsg. von Ernst Hüsmert/Gerd Gieser. Akademie Verlag,
Berlin 2005; vgl. B. Rüthers, NJW 35/2006, S. 1779 f.
[9] C. Schmitt, Die Diktatur, 1921.
[10] C. Schmitt, Politische Theologie, 1922.
[11] Dazu näher B. Rüthers,
Das Kriegstagebuch von Carl Schmitt als Selbstbildnis?, Zeitschrift für
Rechtsphilosophie 2007, S. 101-106
[12] Carl Schmitt, Das international-rechtliche
Verbrechen des Angriffskrieges und der Grundsatz „Nullum crimen, nulla poena sine lege“, hg.,
mit Anmerkungen und einem Nachwort versehen von Helmut Quaritsch, Berlin 1994;
das Nachwort H. Quaritschs umfasst 122 Seiten. Vgl. dazu B. Rüthers, Altes und
Neues von und über Carl Schmitt, NJW 1996, 896ff.
[13] H. Mayer, Ein
Deutscher auf Widerruf, 1982.
[14] René König, Chr. v.
Krockow, K. Löwenstein, Werner Flume u. v. a.; vgl. auch B. Rüthers, Entartetes
Recht, 3. Aufl. München 1994, S. 159ff. mit Nachweisen; ders. Carl Schmitt im
Dritten Reich, 2. Aufl., München 1990.