Magna Carta and the
Der vorliegende
Band ist das Ergebnis einer im März 2008 abgehaltenen Tagung „Magna Carta and
the World of King John“. Da die Beiträge stark englandzentriert sind, wurde
allerdings ein neuer Titel gewählt.
Vier Autoren
beschäftigen sich mit der Persönlichkeit König Johns und zeichnen ein ausgewogenes
Bild dieses Herrschers. Ralph V. Turner (England in 1215: An
Authoritarian Angevin Dynasty Facing Multiple Threats, S. 10-26) bewertet John
im Vergleich zu seinem Vater Henry II und seinem Bruder Richard I und kommt zu
dem Ergebnis, dass allen dreien wichtige Attribute eines ‚guten Königs‘ fehlten.
Doch selbst wenn sie nicht gierig und grausam gewesen wären, hätten sie sich angesichts
der Größe ihres Reiches vor einer diffizilen Aufgabe gestellt gesehen, die nur
schwer zu meistern war, zumal es ihnen nicht gelang, eine enge Beziehung zu dem
Adel aufzubauen oder bei ihren Untertanen ein Zusammengehörigkeitsgefühl
entstehen zu lassen. John Gillingham (The Anonymous of Béthune, King
John and Magna Carta, S. 27- 44) argumentiert überzeugend, dass der aus dem
Umfeld Roberts of Béthume stammende Autor der kurz nach 1220 verfassten Histoire
des ducs de Normandie et des rois d'Angleterre, der den König aus zum Teil
zeitgenössischer und zudem weltlicher Sicht beschreibt, seine Ansicht über John
im Laufe der Zeit änderte. Gillingham differenziert zwei Teile der Histoire:
der erste (bis Mai 1213), der nur vage Daten gibt und generell weniger gut
informiert ist, enthält Anekdoten und beschreibt den Charakter des Königs, während
der zweite Teil (Mai 1213 bis September 1217) präzise Daten benennt und daher
auf zeitgenössischen Notizen basieren dürfte. Obwohl der Chronist sich in
unmittelbarer Nähe zum König (im Gefolge Robert de Béthunes) befunden haben
dürfte, gibt dieser Teil der Histoire
wenig Einblicke in den Charakter des Herrschers und wenn, dann wird dieser überwiegend
als gut informierter, besonnener Mann geschildert. Während das Bild des Königs
in der Zeit von Mai 1213 bis Mai 1215 durchaus positiv war, änderte sich dies allerdings
später, was Gillingham unter anderem auf die Magna Carta zurückführt, die vom
Chronisten dreimal als „la vilaine pais“ bezeichnet wird. David Crouch
(Baronial Paranoia in King John's Reign, S. 45-62) sieht im Misstrauen, das
sich Adel und König entgegenbrachten, den Grund für die „paranoia which
triggered the Barons' Rebellion of 1215“ und nicht den Willen zur Reform. Die
Barone organisierten ihren Widerstand erst 1213 und damit zu einem Zeitpunkt,
als König John nach dem vereitelten Attentatsversuch des Jahres 1212 versuchte,
die Sympathien des Adels zu gewinnen, was ihm allerdings aufgrund seines zum
Teil brutalen Verhaltens in der Zeit zuvor nicht gelang. Auf eine besonders
grausame Episode aus dieser Zeit, in deren Verlauf die Frau und der Sohn eines
seiner engsten Vertrauten, der ihm eine beträchtliche Summe Geldes schuldete, als
Geiseln des Königs auf Schloss Windsor verhungerten, geht David Crouch
in einem weiteren Beitrag besonders ein (The Complaint of King John against
William de Briouze [c. September 1210], S. 168-179).
Zwei
Aufsätze beschäftigen sich mit dem Einfluss des ius commune. James
Brundage (The Managerial Revolution in the English Church, S. 83-98) schildert
die Übernahme der Führungsrolle in der Kirche durch im ius commune
ausgebildete Kleriker und die dadurch hervorgerufenen Veränderungen (unter
anderem bei den Kirchengerichten), während John Hudson (Magna Carta, the
ius commune, and English Common Law, S. 99-119) nur bei wenigen Paragraphen (§§
1, 9, 22, 27, 55) der Magna Carta einen direkten Einfluss des ius commune
erkennt und die Bedeutung von altem Gewohnheitsrecht und der Praxis deutlich
höher einschätzt, was er anhand § 20 der Magna Carta ausführlich belegt (Anhang,
S. 118-119).
James
Masschaele (The
English Economy in the Era of Magna Carta, S. 151-167) argumentiert, dass England
in den Jahrzehnten vor der Magna Carta eine wirtschaftliche Expansion erlebte,
die im Bereich der Städte- und Marktgründungen sowie an den Innovationen im
Transportwesen abzulesen ist und sich in einigen Bestimmungen der Magna Carta
(§§ 13, 23, 30, 33, 35, 41) wiederfindet. Der König profitierte von dieser
Entwicklung am meisten, wodurch die Ressentiments geschürt wurden, die dann
letztlich zur Konfrontation mit dem Herrscher führten. Janet S. Loengard
(What did Magna Carta mean to widows?, S. 134-150) untersucht den Hintergrund
zu den Paragraphen 7 und 8 der Magna Carta und belegt, dass es die Barone waren,
denen die Morgengabe und die Wiederheirat ihrer Frauen am Herzen lagen, während
sich die Einflussnahme des Königs in Grenzen hielt. David Crook (The
Forest Eyre in the Reign of King John, S. 63-82) gibt einen Überblick über alle
zwischen 1166 und 1212 abgehaltenen Forest Eyres, in denen Klagen verhandelt
wurden, bei denen es um den Schutz der königlichen Hirsche und ihres
Lebensraumes ging. Diese Eyres halfen, den enormen Finanzbedarf des Königs zu
decken (Verteidigung, später Rückeroberung der Normandie), sie wurden jedoch nach
der Aufdeckung der Attentatsabsichten im Jahr 1212 beendet und erst 1222
wiederaufgenommen. Die Beschwerden der Barone im Zusammenhang mit der
Durchsetzung des Forest Laws fanden Eingang in § 44 der Magna Carta und wurden
(als § 2) in die Charter of the Forest von 1217 unverändert übernommen. Während
alle bislang genannten Beiträge einen mehr oder minder deutlichen Bezug zur
Magna Carta herstellen, ist dies - außer im Titel - bei Barbara Hanawalt
(Justice without Judgment: Criminal Prosecution before Magna Carta, S. 120-133)
nicht der Fall. Sie bestätigt in diesem Überblick, dass Gerichte im frühen 13.
Jahrhundert vornehmlich dazu benutzt wurden, für einen „showdown with their
adversary“ zu sorgen, oder die Gegenseite zu einer außergerichtlichen Einigung
zu bewegen, und stützt sich auf die edierten Lincolnshire Assize Rolls von 1202.
Der Band,
der mit einer die Beiträge zusammenfassenden Einleitung Janet S. Loengards
(Introduction, S. 1-9) beginnt und durch einen Index erschlossen ist, bringt durchaus
neue Erkenntnisse zu König John und seine Zeit und kann daher zur Lektüre
empfohlen werden.
London Susanne
Jenks