Loroch, Stefanie Jessica, Zeitungsrubrik Gerichtssaal. Strafprozessberichterstattung in Münster im 19. Jahrhundert (1848-1890) (= Rechtshistorische Reihe 398). Lang, Frankfurt am Main 2009. XIII, 295 S. Besprochen von Gerhard Köbler.
Die Arbeit ist die von Peter Oestmann betreute, im Sommersemester 2008 von der Universität Münster angenommene Dissertation der Freiheit im Denken und Leidenschaft im Handeln anstrebenden, als Rechtsanwältin tätigen Verfasserin. Sie beginnt ihre kurze Einführung mit einem Zitat aus dem Westfälischen Merkur vom 27. Oktober 1857 über die Verurteilung zweier anscheinend wegen Brandstiftung Angeklagter. Ausgangspunkte sind ihre Einsichten, dass die Zeitung ein Medium ist, das die menschliche Neugier zu befriedigen vermag und zugleich dem Gewinnstreben des mit den Nachrichten Handelnden dient, und dass demzufolge die Zeitung als Instrument, um Vergangenes zu vergegenwärtigen, großes Potential für die geschichtliche Forschung in vielen Bereichen bietet.
Gegenstand der Arbeit ist ausschließlich das täglich ercheinende (!) Blatt, wobei der Zeitraum des 19. Jahrhunderts nicht ohne Bedacht gewählt ist, weil 1848 das Jahr der Wende von der Zensur zur Meinungsfreiheit war. Als Beispiel für den technischen Fortschritt nennt sie die Berichterstattung über die Suche nach dem vermissten britischen Afrikaforscher Dr. David Livingstone, die nach Ansicht der Verfasserin als Ablenkungsmanöver vom Goldmarktskandal im Jahr 1869 gedacht war, sich aber bald zum Wettlauf zwischen Großbritannien und den Vereinigten Staaten von Amerika entwickelte. Besonders bedeutsam erscheint ihr dabei Art. 92 der Verfassungsurkunde Preußens vom 5. 12. 1848, nach dem alle Verhandlungen vor dem erkennenden Gerichte in Civil- und Strafsachen öffentlich sein sollen.
Angesichts der Vielzahl der Zeitungen hält die Verfasserin überzeugend eine regionale Begrenzung für notwendig, für die sie aus 200 um 1900 in Westfalen veröffentlichten Zeitungen vor allem den Westfälischen Merkur und den Münsterischen Anzeiger auswählt. Zeitlich ist die Behandlung auf die Jahre 1848, 1849, 1850, 1852, 1855, 1870 und 1890 eingegrenzt. Auf diese Weise gelangt sie zu überschaubarem Material (rund 900 Berichte und etwa 150 weitere Einzelquellen) zur Schließung einer bislang bestehenden Forschungslücke.
Gegliedert ist die Untersuchung in zwei Kapitel. Davon befasst sich das erste kürzere Kapitel mit dem Weg von der Pressfreiheit zur Pressefreiheit über die gedruckte Nachricht, das Streben nach Aktualität und den Kampf um die Pressefreiheit. Soweit erkennbar spielen dabei Juristische Zeitschriften (vgl. dazu Die neuen Medien des 18.–20. Jahrhunderts, hg. v. Stolleis, Michael [= Ius Commune Sonderheft 128]. Klostermann, Frankfurt am Main 1999. XIV, 709 S.) keine Rolle.
Das zweite Kapitel betrifft die Strafprozessberichterstattung in Münster in sechs Abschnitten. Nach der Ausgangslage zu Beginn des 19. Jahrhunderts (u. a. Fall Fonk) erörtert die Verfasserin an vielen, überzeugend ausgewählten Beispielen die Revolutionsjahre 1848/1849 (u. a. Robert Blums Ende), die Zeit der Reaktion ab 1850 (u. a. Fall Temme), das Vorspiel des Weltdramas (mit viel Stoff zum Lachen), die Phase der Reichsgründung (u. a. Fall Brinkmann) und den neuen Kurs (1890). Dabei gelingen ihr zahlreiche neue Erkenntnisse über die Entwicklung der Strafprozessberichterstattung in Münster seit ihren Anfängen, die sie am Ende übersichtlich zusammenfasst.
Innsbruck Gerhard Köbler