RepgenLexundius20101031 Nr. 13121 ZRG GA 128 (2011) 34
Lex und ius. Beiträge zur Grundlegung des Rechts in der Philosophie des Mittelalters und der Frühen Neuzeit, hg. v. Fidora, Alexander /Lutz-Bachmann, Matthias/Wagner, Andreas (= Politische Philosophie und Rechtstheorie des Mittelalters und der Neuzeit, Texte und Untersuchungen, II, 1). frommann-holzboog, Stuttgart 2010. XI, 495 S. Besprochen von Tilman Repgen.
Zu den
guten Früchten der Arbeit des Exzellenzclusters 243 „Die Herausbildung
normativer Ordnungen“ in Frankfurt am Main gehört eine Reihe von Tagungen, die Matthias Lutz-Bachmann und eine
Reihe seiner Schülerinnen und Schüler veranstaltet haben. Die Ergebnisse der
ersten dieser Tagungen macht der hier vorzustellende Sammelband deutlich, der
zugleich den Auftakt zur neuen Schriftenreihe „Politische Philosophie und
Rechtstheorie des Mittelalters und der Neuzeit“ darstellt. Die von Alexander
Fidora, Heinz-Gerhard Justenhoven, Matthias Lutz-Bachmann und Andreas
Niederberger herausgegebene Reihe wird neben Untersuchungen Quellentexte mit
Übersetzungen präsentieren. Diese aus den Interessen der politischen
Philosophie sowie der Moraltheologie (Friedensethik) gewachsene Initiative
verdient besondere Aufmerksamkeit von Seiten der Rechtsgeschichte.
Gegenstand
dieses Sammelbandes sind die beiden Grundbegriffe „lex“ und „ius“, Gesetz
und Recht, die auch im heutigen Sprachgebrauch den Kern normativer Ordnungen
bezeichnen, ohne selbst in ihrem Bedeutungsgehalt fest umschrieben und
eindeutig zu sein. Geht es aber um das Begreifen von Normativität, kommt man um
diese Begriffe nicht herum. Aus einem genuin historischen Blickwinkel
betrachten die Beiträge des Sammelbandes das Phänomen von lex und ius. Dabei ist
der Zusammenhang zu den Herausforderungen des Denkens und Handelns unserer Zeit
keineswegs trivial. Die zentrale Bedeutung der beiden Begriffe mag es
rechtfertigen, den Inhalt des Tagungsbandes im Folgenden etwas konkreter und ausführlicher
als sonst üblich mitzuteilen.
Von
den insgesamt siebzehn Beiträgen lassen sich zehn chronologisch dem Mittelalter
zuordnen, ein weiterer behandelt die Diskussionen zur Reichsreform im 15.
Jahrhundert und sechs Aufsätze betreffen die spanische Spätscholastik. Es ist besonders
verdienstvoll, dass dem Spätmittelalter breiter Raum gewährt wurde. Zwar
ersetzt der Sammelband kein Handbuch, aber die Abhandlungen führen doch zu
einer vertieften Auseinandersetzung mit einer Debatte, an der Juristen,
Philosophen und Theologen beteiligt waren. Mitunter hätten die Beiträge
sicherlich enger verzahnt werden können, was freilich eine andere Art der
„Textproduktion“ erfordert hätte. So kommen z. B. fast alle Autoren auf die
Begriffe lex und ius bei Thomas von Aquin zu sprechen, aber nur ausnahmsweise bauen
die Autoren auf den Beiträgen des Bandes auf oder setzen sich zu den Thesen der
anderen explizit in Beziehung. Dennoch besteht kein Zweifel, dass der
Tagungsband eine Fundgrube ist. Alle Beiträge sind voller Gelehrsamkeit.
Angehängte Bibliographien erleichtern die Auseinandersetzung mit den Sachfragen.
Ein Personenregister am Ende ermöglicht einen Zugang über die Namen.
Den
Anfang macht Kenneth Pennington zu „Lex
and ius in the Twelfth and Thirteenth
Centuries“(S. 1-25). Von den um den Supreme Court nach 9/11 errichteten
Barrieren mit der Aufschrift Lex
schlägt Pennington eine Brücke zum Anfang des Dekrets, das die goldene Regel
(Mt 7, 12) zum Ausgangspunkt nimmt. Ius
und mos sind für Gratian die Bestandteile
von lex. Bei Gaius D. 1.1.9 begegnen lex und ius geradezu synonym. Ulpian D. 1.1.10 pr. verwendet den Begriff ius im Sinne eines Rechtsanspruchs.
Paulus D. 1.1.11 verbindet ius mit
der autoritativen Einzelfallentscheidung des Prätors im Sinne der equity. Gratian verknüpft diese römischen
Ideen mit der Überlegung Isidors von Sevilla, wonach auf mos gegründete Gewohnheit lex
sein kann, unabhängig von der Schriftlichkeit der Regel (vgl. DG D. 1 c.
5). Während ius als Quelle von
Gerechtigkeit, Billigkeit und Gemeinwohl aufgefasst wird, bleibt lex ein Auffangbecken für allerlei Erscheinungsformen
von Recht. Anders als bei ius ist die
lex bei Gratian konsensorientiert,
vgl. DG D. 4, c. 3. Paucapalea (um 1150) bezieht die Gerechtigkeit auf eine
vertragliche Gemeinwohlverpflichtung aller. Gratian kombiniert die theologische
und die juristische Tradition in seinem Begriff vom ius naturale (nicht lex naturalis,
wie bei den Theologen üblich). – Nur am Rande sei bemerkt, dass Pennington bei
dieser Gelegenheit unter Berufung auf ein Schreiben von Innozenz II. aus dem
Jahr 1133 die These verteidigt, dass mindestens der hier interessierende
Abschnitt des Dekrets schon um diese Zeit verfasst war, so dass römisches und
kanonisches Recht schon in den 1120er-Jahren in Bologna gepflegt worden sein
müssten. – Thomas von Aquin bleibt bei dem theologisch geprägten Begriff der lex naturalis und, obgleich beim ihm ius auch als facultas verstanden wird, gelangt Thomas nach der plausiblen
Auffassung Penningtons nicht zu einer Theorie subjektiver Rechte (in diesem
Sinne auch die Aufsätze Doyles und Brieskorns). Bemerkenswert ist, dass Thomas
zu dem Ergebnis kommt, dass das Naturrecht allen Menschen gemeinsam ist. Isidor
(und mit ihm Gratian) hatte(n) noch geschrieben, es sei allen „Nationen“
gemeinsam. Schon die Glossen hatten dies dann auf alle Menschen bezogen. DG D.
1 c. 7 spricht sogar von einer gleichen Freiheit aller Personen. Die Aufschrift
auf den Pollern vor dem Supreme Court zeuge, so Pennington, von einer
Unkenntnis des Rechts.
Orazio Condorelli
befasst
sich mit den Begriffen ius und lex im System des gemeinen Rechts des
15. und 16. Jahrhunderts („Ius e lex nel sistema del diritto commune“, S.
27-88). Er lenkt den Blick auf die Tugend der iustitia, deren Ausübung nach Dinus de Mugello und Bartolus das ius ist. Baldus differenziert iustitia
als abstrakte Ordnung göttlichen Ursprungs, die auf ius im Sinne von bonum et
aequum ziele. Frage man aber nach konkreter iustitia, so falle sie in den Einzelakten des Gesetzgebers mit dem ius zusammen. Von hier aus ergibt sich
nach Condorelli der Gesetzesbegriff, wie er musterhaft von Piacentinus im 13.
Jahrhundert entwickelt worden sei. Ius ist
danach ein Kennzeichen des Gesetzes und findet darin seinen Ausdruck. Die lex muss rational, vernünftig im Sinne
einer objektiven Ordnung sein – eine Forderung, die auch Thomas von Aquin
aufstellt (vgl. den Aufsatz Brieskorns). Die lex ist daher in der Sicht des ius
commune nicht nur ein Produkt des Willens einer legitimen Autorität,
sondern muss gerecht, moralisch ehrenwert und auf das Gemeinwohl hin orientiert
sein. Von hier aus wendet sich Condorelli der ulpianischen Einteilung von ius naturale, ius gentium und ius civile zu, welche die mittelalterliche
Jurisprudenz übernommen und als System verschiedener Arten des Rechts im Verhältnis
von species und genus verstanden hatte. Aus dem kanonischen Recht übernahm man noch
die Differenzierung von göttlichem und menschlichem Gesetz. Die Freiheit des
Einzelnen ist beispielsweise nach Baldus (Commentaria zu D. 1.1.4, Venedig
1586, n. 5, fol. 10rb) von Gott gewolltes Naturrecht. Die unwandelbaren
Grundsätze des Naturrechts und des ius
gentium sind Maßstab für die Gültigkeit von ius civile. – Für den Gesetzesbegriff ist die Frage nach der
Gesetzesunterworfenheit des Herrschers wichtig. Condorelli behandelt dies
ausführlich. Vor dem Hintergrund von z. B. Ulpian D. 1.4.1 begreift man den
Fürsten zwar als Herrn des Gesetzes, als legibus
solutus, aber doch als rechtsunterworfen,
iure alligatus. Ius divinum, ius naturale und ius
gentium kann der Herrscher nicht abschaffen, aber doch auslegen und in
Einzelfällen ausschließen, wenn es einen gerechten Grund gibt. – Den Juristen
des gelehrten Rechts stellte sich nicht nur die Aufgabe, ius naturale, ius gentium und ius
civile sowie ius canonicum zu einem
System zusammenzufügen, sondern zusätzlich partikulares Recht verschiedenster
Institutionen zu integrieren, die für sich die Macht zum leges condere in Anspruch nahmen. Condorelli würdigt in diesem Zusammenhang
die bahnbrechende Statutenlehre des Bartolus. Mit ihrer Hilfe ließ sich
zunächst das Partikularrecht in das Rechtssystem integrieren. Am Beispiel des
Bannes lässt sich das exemplifizieren. Dennoch ist nicht zu übersehen, dass mit
dem Nebeneinander von Partikularrecht und ius
commune ein Thema berührt ist, dass jahrhundertelang die Juristen beschäftigt
hat und im 19. Jahrhundert zugunsten des Partikularrechts und zum Nachteil des ius commune gelöst wurde. (Die komplexe
materielle Integration von ius commune in
das partikulare Recht bleibe an dieser Stelle einmal ausgeklammert.) Die
Bevorzugung partikularer Lösungen geschah übrigens in deutlicher Parallelität
zum Erstarken des Nationalstaats, dessen Krise am Ende des 20. Jahrhunderts
signifikanterweise mit einem Wiedererwachen eines übernationalen Rechts in
Europa einhergeht. Condorelli macht zum Schluss auf eine kanonistische
Reflexion aufmerksam, die das Recht als ein Element der Heilsgeschichte
begreift (cf. etwa Johannes Andreae, Commentaria, X. de constitutionibus, Venedig 1581, fol. 11 rb, n. 1-3).
Panormitanus entwickelte auf der Grundlage der Lehre des Thomas von Aquin eine
allgemeine Theorie von Recht und Gesetz (zu D. 1 c. 1-12). Die thomistische
Lehre baue insofern wiederum auf Isidor von Sevilla und Gratian auf. Leider
geht Condorelli nicht auf die kritischen Überlegungen Penningtons zum
Verhältnis von Thomas und Gratian ein. Richtig dürfte sein, dass die
mittelalterlichen Juristen einen universalen Rechtsbegriff hatten, der
göttliches und weltliches Recht nicht strikt trennte. Ius naturale, ius gentium und ius
civile begriff man als Arten eines einzigen Rechts. Die Gesetze sollen eine
Manifestation der iustitia und damit
des göttlichen Willens sein. Nach Panormitanus war die erste Quelle des Rechtssystems
die lex aeterna, aus der alle anderen
Gesetze abgeleitet würden. Das Naturrecht sei eine Teilhabe der menschlichen
Vernunft an der lex aeterna. Aus dem
Naturrecht und den Grundsätzen des ius
gentium seien die Prinzipien zu folgern. Menschliche Gesetze aber spezifizierten
das ius naturale und die obersten
Rechtsprinzipien gemäß den Bedürfnissen der jeweiligen civitas. Das fügt sich in das mittelalterliche Selbstverständnis
nahtlos ein. Zu Recht erinnert Condorelli daran, dass Panormitanus mit seiner Theorie
eine Art Vorläufer der spanischen Spätscholastik war.
Matthias Perkams behandelt in seinem
Aufsatz „Lex naturalis vel ius naturale“
philosophisch-theologische Traditionen des Naturrechtsdenkens im 12. und 13.
Jahrhundert und schließt damit thematisch sehr eng an den Schluss des
vorhergehenden Beitrags an, ohne diesen freilich ausdrücklich zu
berücksichtigen (S. 89-119). Perkams’ Programm ist die Entwicklung des
Naturrechtsdenkens vor allem bei den Theologen seit Anselm von Canterbury und Anselm
von Laon bis zu Thomas von Aquin. Die bisherigen Arbeiten zur
Begriffsgeschichte unterstellten eine Synonymität von ius naturale und lex
naturalis, ohne diese aus den Quellen selbst zu belegen. Gerade im Hinblick
auf die nach wie vor streitige Thomasinterpretation ist es in der Tat eine
lohnende Aufgabe, die vorthomasische Begriffsgeschichte zu erhellen. Lex naturalis begegnet sehr früh als
Begriff bei Anselm von Laon (1050-1117). Inhaltlich ist er für ihn mit dem
Gebot der Gottes- und Nächstenliebe, der goldenen Regel, dem Doppelgebot: das
Gute zu tun und Böses zu meiden, und dem Gebot, Vorbild zu sein, gefüllt. Die
Vernunft ist der Antrieb zur Verwirklichung des Naturgesetzes. Petrus Abaelard
führt den Gedanken fort. Die Vernunft, so meint er, befähige zur Unterscheidung
von Gut und Böse und verhelfe zur Erkenntnis, dass das Gute zu tun sei. Darin
liege die Verpflichtungskraft des Gesetzes. Die goldene Regel fungiere als
Prüfkriterium für Gewissensurteile. Robert von Melun (1100-1187) spricht von
einem praeceptum naturae (Naturgebot),
das an die Vernunft gebunden sei, die nach dem Guten strebe. – In einem anderen
und jüngeren Diskurszusammenhang stehe, so Perkams, der Begriff des ius naturale als Element der Tugend der
Gerechtigkeit. Im Kern interessiert hierbei die Beziehung von natürlichem und
positivem Gesetz. Abaelard verbindet den Begriff natürlicher und positiver
Gerechtigkeit mit Ciceros Naturrecht (cf. De inventione II, 53 f.). Es ist dann
Simon von Tournai, der in seiner ungedruckt gebliebenen Institutionensumme (ca.
1160-1165) den Begriff ius naturale mit
der Gerechtigkeitslehre verknüpft. Die natürlichen Tugenden entstammen danach –
wiederum in Anlehnung an Cicero – dem Naturrecht. Albertus Magnus und Thomas
von Aquin werden dem später folgen. Einen ersten Traktat über das Naturrecht
sieht Perkams in der Summa aurea
(1220-1225) des Wilhelm von Auxerre. Lex
naturalis und ius naturale werden
dort allerdings nicht scharf getrennt. Als Ebenbild Gottes erkennt nach Wilhelm
der Mensch in Gott die wahre Gerechtigkeit. Die Vernunft sei es, die den Menschen
lehre, was zu tun sei. Sehr wichtig für die künftige Behandlung des Themas ist
die Differenzierung von weitem und engem Naturrechtsbegriff. Der erste umfasst
– wie im römischen Recht – das Recht aller Lebewesen, der zweite – engere – das
von der Vernunft gebotene Recht. Wilhelm von Auxerre erbringt mit seiner
Verbindung von Gottesebenbildlichkeit und Naturrecht einen zentral wichtigen
Ansatz zur Rechtsbegründung. – Albertus Magnus systematisiert in De bono die älteren Ansätze zum Begriff ius naturale. Es ist für ihn im Wesentlichen
eine Vernunftordnung, aufbauend auf dem Gebot der Gottes- und Nächstenliebe,
der goldenen Regel und des Dekalogs. – Eine neue Konzeption der lex naturalis enthält die um 1245
entstandene Summa Halensis im Traktat
de legibus. Sie bringt lex aeterna und lex naturalis überein als Grunderkenntnis dessen, was zu tun und
was zu lassen ist (exemplum, indita
animae ad cognoscendum quid faciendum et quid non). Die lex naturalis gilt daher nach der Lehre
der Franziskaner Alexander von Hales und Johannes von LaRochelle, weil sie
„Abbild des ewigen Gesetzes in Gott selbst“ ist. In den Möglichkeiten des
Willens und der Vernunft sahen sie einen Ausdruck der Freiheit. Insofern sei,
so heißt es in der Summe, die lex
naturalis primo et per se in facultate tamquam regula facultatis, die Regel
der Möglichkeit(en). – An den Schluss setzt Perkams – wie die zuvor genannten
Autoren des Sammelbandes – Bemerkungen zur Naturrechtslehre des doctor angelicus. Aus der Natur folgt
nach Thomas‘ Sentenzenkommentar das Ziel des Handelns. Die Vorstellung aber,
die den Menschen dazu anhält, das Ziel zu erstreben, bezeichnet Thomas als lex naturalis vel ius naturale. Der
Naturbegriff ist dabei denkbar weit, da er nicht nur den Mensch als Menschen,
sondern auch als Lebewesen umfasst.
Eine
faszinierende Frage berührt der Aufsatz von Yossef Schwartz „Divine Law an Human Justification in Medieval
Jewish-Christian Polemic“ (S. 121-145). Die Berücksichtigung des jüdischen
Rechtsdiskurses gehört zu den Desideraten der europäischen Rechtsgeschichte.
Zwar gibt es vereinzelte Ansätze, aber in der Breite ist hierzu noch viel zu
tun. Es ist daher sehr zu begrüßen, dass die Herausgeber des Sammelbandes mit
diesem Beitrag auch auf diese Wurzel des abendländischen Rechtsdenkens aufmerksam
machen. Schwartz fragt einerseits nach dem göttlichen Recht als Basis
menschlicher Rechtsordnung, andererseits nach dem Aspekt einer „Rettung“ durch
Recht im jüdisch-christlichen Dialog des 12. und 13. Jahrhunderts. Für das
mittelalterliche Judentum war die Exilserfahrung prägend. Das gilt einerseits
für die politische Realität, andererseits aber auch für die theologische Sicht.
In diesem Punkt trifft sich das Judentum mit dem Christentum, das sich
ebenfalls als eine Gemeinschaft versteht, die sich auf dem Weg zu einem
künftigen Ziel befindet. Schwartz konstruiert einen jüdisch-christlichen Dialog
zwischen Jehudah Halevi und Abaelard sowie zwischen Moses Maimonides, Wilhelm
von Auvergne und Aegidius Romanus. – Der Begriff lex wird für Abaelard in der Auseinandersetzung mit dem Römerbrief
problematisch. Die Juden sündigten bei der Kreuzigung zwar nicht gegen
Gesetzesrecht, wohl aber gegen Naturrecht. Naturrecht ist hier universeller
Maßstab (S. 129). Halevi begreift die politische Situation des Judentums als
einen Beweis für die Wahrheit der jüdischen Offenbarung. Nur im Judentum
erfülle sich die Prophezeiung von Jesaja 53. Aus einem überindividuellen,
(heils)geschichtlichen Zusammenhang leiten sich für Halevi ethische Forderungen
ab. – Für Maimonides ist menschliches Gesetz zum göttlichen analog, nicht
identisch. Es muss zur Natur des Menschen als Individuum und Sozialwesen
passen, aber folgt nicht unmittelbar aus dem göttlichen Recht.
Um
die Bedeutung der lex aeterna für die
lex naturalis bei Thomas von Aquin
geht es Jason T. Eberl
(S. 147-174). Seine These ist, dass Thomas zwar Gott als ein Fundament
menschlicher Moral betrachte, aber dass für ihn die Erkenntnis der Gebote der lex naturalis nicht die Kenntnis von
oder den Glauben an Gott voraussetze. Das Verhältnis von lex naturalis und ius
naturale sei, so meint Eberl mit Recht, weniger klar. Oft seien die
Begriffe synonym, manchmal aber benutze Thomas sie differenziert. Lex sei für ihn nichts anderes als eine
sichere, bekanntgemachte Regel zum Zwecke des Gemeinwohls (cf. STh I-II q. 90,
a. 4). Ius naturale sei für Thomas
ein Recht, das die Natur beigebracht habe oder ein Recht, das von Gott stamme –
dann auch lex aeterna sei –, oder ein
Recht, das die Natur, alle Lebewesen betreffe. In STh II-II q. 60 a. 5 n. 1
verwendet Thomas freilich lex als
Ausdruck für geschriebenes Recht. Widerspricht ein geschriebenes Gesetz dem ius naturale, ist es Unrecht und verpflichtet
zu nichts. Berücksichtigt man die Kontexte, lässt sich allerdings die variable
Begrifflichkeit erklären. In der logischen Ordnung sind lex naturalis und ius
naturale für Thomas austauschbare Begriffe. Lex humana ist geschriebenes Recht (lex von legendo) – lex naturalis ist verbindlich (lex von ligando). Ius naturale und
ius gentium – im Sinne des römischen
Rechts – erscheinen Thomas als zu allgemein, als dass man ihre strikte
Anwendung überall und jederzeit verlangen könnte. Betrachtet man das Verhältnis
von lex aeterna und lex naturalis, ist festzuhalten, dass
Thomas wie das übrige Mittelalter den Status Gottes als allmächtigen Schöpfer
selbstverständlich voraussetzt. Diese Schöpfung hat eine gottgegebene Ordnung.
Aber die lex aeterna ist nicht seine
Vorsehung selbst, sondern gleichsam der Plan für alle Geschöpfe. Die lex aeterna enthält daher die Prinzipien
(STh I-II q. 93 a. 5) und prägt so auch die lex
naturalis. Die lex aeterna kann
allerdings nicht unmittelbar erkannt werden, worin sie sich von der lex naturalis unterscheidet. Die offenbarte
lex divina spiegelt die lex aeterna und auch die lex naturalis wider. Dennoch ist die
Verpflichtungskraft des Naturrechts auch für einen Ungläubigen nach Thomas
vernünftigerweise gegeben. Um die ersten Prinzipien und natürlichen Neigungen,
man könnte auch sagen: Werte, zu erkennen, hat der Verstand ein Gesetz, die synderesis, die wiederum letztlich in
der lex aeterna gründet. Weitere
Prinzipien müssen durch Reflexion entdeckt werden. Die lex divina enthält als positives Recht naturrechtliche Gebote, die
freilich auch durch die menschliche Vernunft selbst erkannt werden könnten. Sie
ist höheres Recht als die lex naturalis.
Francisco Bertelloni
beschäftigt
sich mit „Selbsterhaltungstrieb, princeps,
lex und ius im Traktat De potestate regia et papali des Johannes
Quidort“ (S. 175-194), einem Vorläufer von Marsilius von Padua. Der Beitrag
fällt thematisch etwas aus dem Rahmen. Sein Erkenntnisziel sind nicht die
Begriffe lex und ius, sondern ist die Konstruktion der Herrschaft aus dem
Selbsterhaltungstrieb bei Johannes Quidort in Abgrenzung zur aristotelischen Politik.
In
einer kurzen Skizze informiert Alexander
Fidora über Ramon Llulls
(ca. 1232-1316) Auslegung der ulpianischen Gerechtigkeitsformel (D. 1.1.10 pr.)
(S. 195-204). Der katalanische Philosoph und Theologie war mit Raimund de
Peñaforte bekannt und hat zahlreiche juristische Traktate verfasst. In der
deutschsprachigen rechtsgeschichtlichen Forschung ist Llull wenig bekannt geworden.
Das Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen
Privatrechtsgeschichte verzeichnet z. B. den Namen nicht. Dasselbe gilt für
Wieackers Privatrechtsgeschichte – weitere Fehlanzeigen ließen sich ergänzen.
Eugen Wohlhaupter hat ihm 1932 einen Festschriftaufsatz (FS Ernst Mayer zum 70.
Geburtstag, Weimar 1932, S. 169ff.) gewidmet. Sicherlich liegt der Schwerpunkt der
Arbeit Llulls nicht in der Jurisprudenz. Dennoch ist sein Beitrag zu dieser
bemerkenswert. Llull beginnt in seinem ursprünglich katalanisch verfassten Liber proverbiorum die Beschreibung der
Rechtswissenschaft mit diesen Sätzen: Ius
est actus iustitiae, ut sit pax. Actus iustitiae est defensio rationis.
Defensio rationis est conservare vel reddere cuilibet, quod suum est.
Ulpians Formel wird von Llull angereichert um den Friedensaspekt, wie ihn
Jesaja 32, 17 formuliert. Scharfsinnig begründet Fidora den zweiten Einschub (defensio rationis) mit einer Anlehnung
an Ciceros Rhetorica ad Herennium. Damit gelingt es Llull, den Rechtsgedanken
an die Vernunft zu binden. Anders als bei Ulpian setzt Llull neben den Willen
eine rationale Dimension der Gerechtigkeit. So gelingt es, den Friedensbegriff
und die Vernunftidee in den Rechtsbegriff zu integrieren. Auch für die Differenzierung
von ius und lex sieht Fidora bei Llull Anhaltspunkte. Gesetze versteht er stets
als positive Setzung, während Recht ein übergeordneter Begriff im Sinne des
zuvor Gesagten ist.
Das
Thema Hannes Möhles ist „Gesetz und praktische Rationalität
bei Johannes Duns Scotus“ (S. 205-220). Gesetz ist für Duns Scotus ein Ausdruck
des freien Willens des Gesetzgebers, in erster Linie Gottes. Die Vernunftkonstitution
des Gesetzes, wie sie noch bei Thomas begegnet (STh I-II, q. 94, a. 1), fällt
hier aus. Aufgeworfen ist damit die Frage nach der Rationalität von Normen. Die
Bedeutung der Vernunft setzt für Duns Scotus auf der Ebene der Erkenntnis an. Die
„strengen“ Normen des Naturgesetzes sind für den Verstand ohne Offenbarung
erkennbar. Moralische Normen müssen im Übrigen „konsonant“ mit den natürlich
einsichtigen Prinzipien sein, was Möhle anhand dreier Beispiele verdeutlich
(Meineid, Beichtpflicht, Eigentumsrecht).
Auch
Luis Alberto De Boni beschäftigt sich mit dem großen
schottischen Franziskaner: „Legislator,
lex, lex naturalis und dominium
bei Johannes Duns Scotus“ (S. 221-239). Die polis
ist für Duns Scotus nicht naturgegeben, sondern Produkt eines Vertrags.
Schon im Urzustand des Menschen gab es Handlungsnormen, Gesetze. Sie sind auf
das Gemeinwohl gerichtet und resultieren aus der Klugheit einer Autorität. Der
Wille ist nicht durch die Natur determiniert. Zwar legt die Vernunft dem Willen
Entscheidungen vor, aber der Wille ist frei, der Vernunft zu folgen. Gott wird
verstanden als oberster Gesetzgeber. Sein Wille ist an keine äußeren Gesetze
gebunden, sondern bestimmt gerade die Werteordnung, die Gerechtigkeit. Das
höchste Gut (Gott) muss geliebt werden. Nur das ist für Scotus im strengen
Sinne Naturgesetz und zwar evidenterweise. Auch der menschliche Gesetzgeber
handelt nach seinem Willen, ist dabei aber an die göttlichen Normen gebunden,
während Gott die potestas absoluta hat.
Die natürlichen Neigungen, die Thomas und Aristoteles für eine Richtgröße der
positiven Gesetzgebung halten, lässt Scotus beiseite. Zu den Naturgesetzen
zählt der Naturzustand gemeinsamen Besitzes der weltlichen Güter. Aufgrund des
Sündenfalls habe Gott davon dispensiert. Menschliches Gesetz hat dann Privateigentum
zugelassen.
„Dominium, ius und lex in der politischen Theorie Ockhams“ lautet das Thema Jürgen Miethkes (S. 241-269).
Ockham hat in der (kirchen)politischen Auseinandersetzung des (abgesetzten)
Franziskanergenerals Michael von Cesena mit Papst Johannes XXII. eine eigenständige
Gesellschaftslehre entwickelt. Dominium ist
für Ockham ein Begriff, der das Weltverhältnis des Menschen schlechthin
ausdrückt. Die exklusive Güterzuordnung beruht danach auf einer besonderen, von
Gott nach dem Sündenfall eingeräumten potestas
acquirendi. Das Privateigentum ist daher nicht göttlichen Rechts und beruht
auch nicht etwa auf Naturrecht, wie es zuvor etwa Innozenz IV. und Hostiensis angenommen
hatten. Die positiven Rechtsnormen unterliegen einer Art Gerechtigkeitsvorbehalt,
der in der aequitas naturalis liegt,
wie sie die Kanonisten verstanden hatten. In seinem Dialogus hat Ockham in Auseinandersetzung mit Isidor von Sevilla
(Etym. V. iv. 1f.) und Gratian (D. 1 c. 7) drei Arten von Naturrecht ausgemacht:
eine absolute, unveränderliche Weisung der Vernunft, die zeitlos und überall
Gültigkeit beansprucht (z. B. Verbot von Ehebruch und Lüge). Sodann gibt es
nach dem Sündenfall eingeführtes Naturrecht. Schließlich gibt es noch ein „bedingtes“
Naturrecht. Dabei handelt es sich um evidente Schlussfolgerungen aus positivem
Recht oder ius gentium (Völkergemeinrecht
[diese glückliche Wortschöpfung der Übersetzer des Corpus iuris civilis hat
leider niemand der Autoren des Sammelbandes aufgegriffen]). Der Begriff lex spielt für Ockham keine Rolle. Er
benutzt ihn fast gar nicht und gibt anderen wie ordinatio, pactum, consuetudo den Vorzug.
Gabriele Annas
geht
„Recht und Gerechtigkeit in Schriften zur Reichsreform des 15. Jahrhunderts“
nach (S. 271-300). Es ist faszinierend zu sehen, wie die biblische
Verschränkung von Frieden und Gerechtigkeit, die in Psalm 84, 11 und bei Jesaja
deutlich wird, das hoch- und spätmittelalterliche Herrscherideal prägt. Annas
analysiert überzeugend, dass Frieden und Gerechtigkeit sich nach den
Vorstellungen des Mittelalters gegenseitig bedingen. Zur Durchsetzung des
Rechts dient das Gericht, das im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit steht. Zur Bekämpfung
von Ungerechtigkeit bedarf es vor allem einer funktionierenden Justiz.
Den
elf Aufsätzen, die sich vorwiegend mittelalterlichen Quellen zuwenden folgen
sechs Aufsätze, die lex und ius in den Arbeiten der spanischen
Spätscholastik nachspüren. Den Auftakt macht Juan Cruz Cruz mit
dem Beitrag: „Ius gentium bei
Vitoria: ein eindeutig internationalistischer Ansatz“ (S. 301-332). Bei Vitoria
meint der Begriff ius: (1) „das
Gerechte“, insofern der Gerechtigkeit vorgeordnet, (2) die Wissenschaft vom
Gerechten und (3) das Gesetz als Ursache des Gerechten. Insofern verwendet
Vitoria lex und ius auch synonym. Über den Staaten steht nach Vitoria eine
Weltgemeinde, der alle Menschen (nicht die Staaten) angehören. Sie ergibt sich
aus Naturrecht, da die Menschen, wie Vitoria lehrt, von Natur aus bedürftig und
auf die Hilfe der Gemeinschaft angewiesen seien. Die Konstitution der Weltgemeinde
ist daher naturrechtlich begründet. Daraus abgeleitete normative
Notwendigkeiten ordnet Vitoria dem ius
gentium zu, das Cruz Cruz hier
mit „Völkerrecht“ übersetzt. Aus der Universalität des menschlichen
Lebensbezugs folgert Vitoria nicht nur die Verteidigung der menschlichen Würde,
sondern auch die Aufgabe, politische und soziale Bedingungen für ein würdiges
Leben zu schaffen. Ius gentium ist
das von der Menschheit erlassene Gesetz, nicht staatliches Gesetz und doch
positives Recht. Es hat, wie Cruz Cruz betont, „internationalen öffentlichen
Charakter“. Dieses Ius gentium ist
allgemeinverbindlich aufgrund einer virtuellen Zustimmung aller Menschen.
Während das Naturrecht dem ganzen Menschengeschlecht vorgegeben ist
(„unmittelbar normativ universal“), hängt das ius gentium vom Willen aller Menschen ab und ist mittelbar normativ
universal. Naturrecht ist für Vitoria „das, was von sich aus gut und keiner
anderen Sache zugeordnet ist“. Es gibt also im Unterschied zum ius gentium keinen tragenden
Willensentschluss. Das ius gentium
wird hingegen von der menschlichen Vernunft (aller) in Kraft gesetzt.
Theoretisch könnte es durch einen actus
contrarius aller Menschen aufgehoben werden und unterliegt der Veränderung.
Praktisch erscheint die Aufhebung des ius
gentium unmöglich, da die Zustimmung aller Menschen nicht erreichbar ist.
Und daher hat diese Art „Völkerrecht“ universale Gültigkeit.
Merio Scattola
handelt
über „Die weiche Ordnung – Recht und Gesetz in der Naturrechtslehre des Domingo
de Soto“ (S. 331-367). Unkonventionell setzt Scattola bei der modernen
Naturrechtslehre seit Samuel Pufendorf an, die an den Anfang ihrer Überlegungen
eine Theorie menschlichen Handelns stellt und dann systematisch aus einem obersten
Prinzip Regeln deduziert. Diese „Geschlossenheit von Prinzip, System und
Methode“ habe noch den Naturrechtslehren des 16. Jahrhunderts gefehlt. Aber
warum wurden in der älteren Naturrechtslehre lex und ius
unterschieden? Von der Tradition her kommend betrachteten Juristen ius als die allgemeine Ordnung, lex als die konkrete Norm – bei den
Theologen war es genau umgekehrt. Der Hintergrund war aber – entgegen Michel
Villey (RHDFE 1953, S. 475-497) – nicht eine methodische Differenz von Juristen
und Theologen. Soto fügt die zwei Argumentationsstränge aus der Summe des
Thomas zum Gesetz einerseits (STh I-II, qq. 90-108) und zur Gerechtigkeit
andererseits (STh II-II, qq. 57-122) in einen gemeinsamen Rahmen. So kommt Soto
zunächst zu einer allgemeinen Lehre der Gerechtigkeit, dann zur Lehre vom
Gesetz als philosophischer Begründung des Rechts, das am Ende behandelt wird.
Gerechtigkeit ist für Soto eine relationale Tugend, der man sich annähert,
deren wahrer Gegenstand die aequitas
sei. Es geht um die Proportionen, die angeglichen werden müssen entsprechend
der jeweils gültigen lex. Lex aeterna, lex divina, lex naturalis und
lex humana stehen nicht in einem
deduktiven Zusammenhang. Die lex aeterna ist
eher ein harmonisches Prinzip der übrigen und zeigt sich nur a posteriori. Die Ordnung der lex aeterna kommt erst in den
Bestimmungen der anderen leges zum
Ausdruck. Ähnliches gilt von der Erkenntnis der Normen der lex naturalis, die erst im konkreten Handeln deutlich werden. Die lex naturalis ist eine Sammlung von Handlungsprinzipien,
die im praktischen Gewissen (synderesis)
angelegt sind.
„Das
Verhältnis von Recht und Gesetz bei Luis de Molina“ ist das Thema Matthias Kaufmanns (S. 369-391).
Molina überträgt seine Auffassungen zur Willensfreiheit auch auf die Rechtslehre.
Zentrale Bedeutung hat für Molina nach Kaufmann der Begriff eines „subjektiven
Rechts“ (ius), als Fähigkeit „etwas
zu tun oder zu erhalten oder darauf zu beharren oder sich auf irgendeine Weise
zu verhalten, so dass ihrem Inhaber ein Unrecht geschieht, wenn ihr ohne
legitimen Grund entgegengewirkt wird“ (Molina, De iustitia et iure, II 1.1). Ius meint also einen Rechtsanspruch, wie
es bereits Marsilius von Padua sah (Defensor Pacis, II. 12, § 4 [264]).
Gottlieb Achenwall bezeichnet die facultas
moralis (zur abweichenden Bedeutung bei Thomas vgl. die Beiträge Penningtons,
Doyles und Brieskorns), von der
Molina spricht, dann als ius subiective
sumtum (Prolegomena Iuris naturalis, Halle 1767, § 44, S. 37). Molina
lehrt, wer einen Eingriff in ein solches subjektives Recht vornehme, benötige
einen legitimen Grund. Prototypisch ist das dominium,
verstanden als ius perfecte disponendi de
re corporali, nisi lege prohibitur (II 3.1). Das ius ist also eine Wirkung des dominium
und von Anfang an begrenzt, da die menschliche Herrschaft der Herrschaft Gottes
untergeordnet bleibt. Mit Recht schließt Kaufmann im Vergleich mit der
Suárez-Rezeption darauf, dass Molina heute eine gewisse Aktualität besitze,
weil er sich stärker an privatrechtlichen und wirtschaftlichen Fragen
ausgerichtet habe, der Nationalstaat heute aber „für die Rechtsschöpfung an
alleiniger Bedeutung“ verliere.
Francisco
Suárez ist das Thema der letzten drei Aufsätze des Sammelbandes. Zunächst
handelt John P. Doyle von „Suárez and Some Precursors on Lex and Ius“(S. 393-427). „Ius“
bezeichnet für Suárez wie für Thomas von Aquin das Objekt der Tugend der
Gerechtigkeit. Zugleich benutzt er den Begriff aber auch wie Molina zur
Bezeichnung eines subjektiven Rechts, einer facultas
moralis. Manche der subjektiven Rechte sieht Suárez als natürlich an, da
sie aus der Gottesebenbildlichkeit des Menschen folgen, so - in seiner Sicht –
Freiheit und die Fähigkeit, Eigentum (dominium)
zu haben. Man könnte insofern von einer allgemeinen Rechtsfähigkeit sprechen. Lex ist bei Suárez eine Art Insel im
Meer des (objektiven) Rechts. Zwischen objektivem und subjektivem Recht besteht
kein Gegensatz. Doyle zeichnet mit knappen Worten eine Geschichte des
subjektiven Rechts seit der Antike nach: Wichtige Stationen sind für ihn Thomas
von Aquin (dazu in diesem Zusammenhang hier auch die Beiträge Penningtons und
Brieskorns), Hervaeus Natalis, Marsilius von Padua und vor allem Wilhelm von
Ockham, John Gerson, Conrad Summenhart und John Maior sowie dann Francisco de
Toledo, Luis de Molina und Leonard Lessius. Die Rechtsfähigkeit ist nicht begrenzt,
auch nicht für den Sklaven. Das Eigentumsrecht ordnet Suárez dem ius gentium zu. Im Naturzustand gab es
nur Gemeingut. Positives Recht kann das Eigentumsrecht ändern oder aufheben.
Menschliches Recht hat sich an einem objektiven moralischen Maßstab, nicht am
autonomen oder individuellen Maßstab eines Einzelnen zu orientieren.
Es
folgt der Beitrag „Lex und ius bei Francisco Suárez“ des deutschen
Suárez-Experten Norbert Brieskorn (S. 429-463), der die Gesetzestheorie
von Suárez noch vertieft. Suárez definiert lex
als commune praeceptum iustum ac
stabile, sufficienter promulgatum. Das Gesetz ist also eine Art innerhalb
der Gattung der Vorschriften (praecepta).
Bei Thomas ist die Rede von einer „Anordnung der Vernunft“ (rationis ordinatio). Suárez rückt –
insofern Duns Scotus ähnlich – den Willen des Gesetzgebers stärker in den
Vordergrund. Bei ihm fehlt in der lex-Definition
im Vergleich zu Thomas auch die Rückbindung an das bonum commune. Freilich erklärt Suárez anderwärts, dass das
Gemeinwohl die Zielursache des Gesetzes sei. In der Definition konkretisiert
Suárez vielmehr die Zielsetzung des Gemeinwohls darauf, das Gesetz müsse für
alle, nicht nur für einzelne gelten, es müsse gerecht und auf Dauer berechnet
sein. Anders als Thomas, der jede Regelhaftigkeit als Gesetz bezeichnet,
beschränkt Suárez den Begriff auf die (freien) menschlichen Handlungen. Mit der
Beschränkung des lex-Begriffs auf
sittliche Handlungen hat Suárez zugleich auch ein Kriterium für die Beurteilung
„richtiger“ Gesetze in der Hand. Brieskorn klärt sodann die Begrifflichkeit der
verschiedenen Arten von leges, wobei
die lex aeterna nur in metaphorischem
Sinn lex ist. Ebenso präzise und quellenfundiert
wie die lex behandelt Brieskorn dann
das ius, das sowohl subjektives wie
objektives Recht bezeichnet. Brieskorn macht darauf aufmerksam, dass Suárez das
Rechtssystem von der Pflicht her konstruiert.
Matthias Lutz-Bachmann untersucht zum Schluss: „Die
Normativität des Völkerrechts: Zum Begriff des ius gentium bei Francisco Suárez im Vergleich mit Thomas von Aquin“
(S. 465-485). Anders als die auf Cicero zurückreichende Tradition ordnet Suárez
das ius gentium nicht dem Naturrecht
zu, so dass sein Geltungsgrund nicht daraus abgeleitet werden kann. Positives
Recht bezieht letzteren aus dem Gesetzgebungsakt selbst. Und hierher zählt
Suárez auch das ius gentium. Wie
schon bei Cicero ist das positive Recht nicht Ergebnis evidenter
Vernunfteinsicht, sondern ruht auf Wahrscheinlichkeiten und Ermessen. Im
Unterschied zum ius civile beruht das
ius gentium auf der konsentierten
Gewohnheit (fast) aller Völker, hat also eine vertragliche Grundlage. Hierin
liegt – so könnte man ergänzen – eine gewisse Parallele zum lex-Begriff des Dekrets (vgl. den
Beitrag Penningtons). Solcherlei Gewohnheitsrecht kann es zwischen verfassten
Staaten geben (z. B. Gesandtenrecht; freier Handelsverkehr; Kriegsrecht). Hier
begegnet ein Begriff modernen Völkerrechts, ius
gentium inter se. Daneben kann es aber auch eine Art faktischer
Übereinstimmung der Gewohnheiten der Völker geben, die Suárez freilich im
Unterschied z. B. zu Vitoria unverbindlich erscheint, das ius gentium intra se, also – so wäre zu ergänzen – das ius gentium, wie es die römischen Rechtstexte
kennen (Völkergemeinrecht). Die
Verpflichtung, sich an den Konsens des ius
gentium inter se zu halten, folgt aus dem naturrechtlichen Prinzip pacta sunt servanda. Die Idee erinnert
freilich an die Konsensorientierung der lex
bei Gratian (vgl. den Aufsatz Penningtons). – Lutz-Bachmann stellt dem
Befund bei Suárez die Lehre des Thomas von Aquin gegenüber: Die lex humana muss von der praktischen
Vernunft (lex naturalis) abgeleitet,
auf das bonum commune hingeordnet und
von einer rechtmäßigen Autorität als Richtschnur für menschliches Handeln
erlassen worden sein. Das gilt für ius
gentium wie für ius civile. Das ius gentium wird im Wege der Konklusion
aus dem Naturgesetz abgeleitet, das ius
civile hingegen im modus
determinationis präzisiert. Suárez erscheint gerade im Vergleich wesentlich
präziser und moderner als Thomas. Suárez spricht über den Geltungsgrund,
differenziert – neuartig – zwischen ius
gentium inter se und intra se.
Thomas lässt das ius naturale aus dem
ius gentium folgen. Mit dem Konsens
als Geltungsgrund für das ius gentium formuliert
Suárez ein in der Neuzeit besonders tragfähiges Konzept ohne naturrechtliche
Verankerung. Die Leistungen des Thomas liegen – was diesen Gegenstand betrifft
– in der Entwicklung der Rolle der Vernunft für das moralische Gesetz, während Suárez Einsichten in die Rechtsordnung
gewährt.
Die
Aufsätze des Sammelbandes führen den Leser in faszinierender Weise in die nicht
gerade übersichtliche, aber eminent wichtige spätmittelalterliche und
frühneuzeitliche Diskussion zweier Kernbegriffe des Rechts. Neben das
inhaltliche Gewicht tritt hier ein bemerkenswerter handwerklicher Wert des
Buches, für den nicht zuletzt auch der Verlag zu loben ist.
Hamburg Tilman
Repgen