Lesaffer, Randall, European Legal History. A
Cultural And Political Perspective, translated by Arriens, Jan. Cambridge University Press, Cambridge 2009. IX, 549 S.
(Original: Inleiding tot de Europese rechtsgeschiedenis, 2004, Leuven
University Press). Besprochen von Hans-Peter Benöhr.
Randall Lesaffer ist Professor für
Rechtsgeschichte an der Universität
Sein Buch besteht aus den drei Teilen Ancient Roman Law (100 Seiten), The
Civil Law Tradition (360 Seiten) und Epilogue / The Postmodern Age für die Zeit
nach 1914 (40 Seiten). Er behandelt die Civil Law Tradition in den fünf
Abschnitten: The Early Middle Ages (70 Seiten), The Late Middle Ages (100
Seiten), The Early Modern Age (80 Seiten) und The Modern Age (110 Seiten). Es
zeigt sich aber im einzelnen, wie schwer es ist, die
verschiedenen Entwicklungsstränge und gegenseitigen Beeinflussungen in
einsichtiger, wenn möglich in chronologischer Weise zu präsentieren. In ganz überzeugender Weise streut Lesaffer gelegentlich
Länderberichte ein und gibt kleine Überblicke über solche Bewegungen wie
englischen Experimentalismus, Cartesianischen Rationalismus, Modernismus,
Aufklärung, Positivismus und Deismus.
Derartige Überblicke, der Buchtitel und die Einteilung jedes Abschnitts durchgängig
in die beiden Unterkapitel Politics and the State sowie Culture and the Law heben
die Ambition hervor, das Recht in die Kulturgeschichte (schätzungsweise ein
Drittel des Werkes) einzubetten. Unter Berufung auf Hegel wird Cultural
History verstanden als das Walten von „Volksgeist“ und „Zeitgeist“ (deutsche
Ausdrücke im englischen Text, S. 7), nach dem Vorbild Jakob Burckhardts und
Johan Huizingas; vielleicht hätte ihnen Egon Friedell zugesellt werden dürfen. Ausführlich
wird man etwa über The Augustinian Ideology, The Carolingian Renaissance,
Scholasticism, Humanism und Enlightenment belehrt. So erhält der Leser
ein Gefühl für die Bedeutung, die das Mittelalter und die Neuzeit für das
moderne Recht haben.
Unter dem Thema Correctio unternimmt Lesaffer eine Ehrenrettung der Early
Middle Ages, c. 500 – 1000, indem er die keltischen und germanischen Beiträge
für die spätere europäische Kultur anführt und unter anderem auf Autonomie, Zusammenwirken
von Herrschern und Beherrschten, sowie Gewaltenteilung hinweist.
In dem Bericht über The Late Middle Ages, c. 1000 – 1453, bemerkt Lesaffer
zu den Phänomenen der reception und acculturation: „Reception of learned law
refers to the adoption of particular concepts and rules of material law into
the ius proprium. Acculturation of the ius proprium refers to the formal
adaptation of it to the ‚culture’ and forms of the learned law“ (270). Zuerst sei römisches Recht mittels Rezeption
(Beispiel: contractus und pactus), oder im Wege der
Akkulturation in das kanonische Recht gelangt (Beispiel: Ausbildung des
römisch-kanonischen Verfahrensrechts). In der zweiten Phase
sei das weltliche Recht unter den Einfluss des kanonischen geraten.
In seinem Epilogue, überschrieben Voluntas, The Post-Modern Age, 1914 –
2004, diskutiert Lesaffer Huntingtons „Clash of Civilizations“ und das von
Fukuyama vorschnell ausgerufene „Ende der Geschichte“, selbst endend mit dem
Frage-Kapitel: Fortress Europe?
Den Hauptstrang der Rechtsgeschichte bildet, wie der Titel sagt, die
römisch-rechtliche Tradition. Damit sind kanonisches
Recht (zu recht immer wieder Hervorhebung der Bedeutung der Kirche in der
Rechtsentwicklung), Gerichtsaufbau und Verfahrensrecht, Kodifikationen und geistige
Strömungen wie etwa das Naturrecht verbunden. Erfreulicherweise
liefert Lesaffer auch vielfache Ausblicke auf das Völkerrecht und einige
Hinweise auf das Common Law.
Offensichtlich nicht beabsichtigt ist eine
Institutionengeschichte. Der Leser bekommt fast keine Beispiele für die
rechtlichen Regelungen, die von der Rechtsgeschichte transportiert werden. Die
wenigsten der wenigen übersetzten Originaltexte sind
Rechtstexte im ganz engen Sinne. Die Juristen-Biographien sind
auf ein Minimum reduziert. Desgleichen wird auf Beispiele aus
dem Rechtsleben verzichtet.
Was findet ein Autor jenseits Deutschlands Grenzen an
Deutschland besonders interessant? Heiliges Römisches Reich,
Investiturstreit; Reformation, Dreißigjähriger Krieg und Westfälischer Friede; Savigny
und historische Schule; Versailler Vertrag; Nationalsozialismus und Holokaust.
Weniger kommen zur Sprache etwa: Revolution und Verfassungen von 1848 in
Deutschland, Entwicklung des Wirtschaftsrechts, der Sozialversicherung und des
Arbeitsrechts, die Weimarer Verfassung, das Grundgesetz und das
Bundesverfassungsgericht und schließlich die Wiedervereinigung.
Das Buch kommt fast ohne Anmerkungen aus, liefert aber lange
Hinweise auf weitere Lektüre vornehmlich in englischer Sprache. Es ist, auch dank der Übersetzung von Jan Arriens, sehr
angenehm zu lesen. Das im Vorwort formulierte Ziel der
fascinating story for any reader wird voll erreicht.