Lei, Yong, Auf der Suche nach dem modernen Staat. Die Einflüsse der allgemeinen Staatslehre Johann Caspar Bluntschlis auf das Staatsdenken Liang Qichaos (= Rechtshistorische Reihe 403). Lang, Frankfurt am Main 2010. 315 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Wer sich auf die Suche nach Qichao Liang in das Internet begibt, findet dort rund 45000 Spuren. Yong Lei ist auf das Thema seiner von Michael Stolleis betreuten, im Sommersemester 2009 vom juristischen Fachbereich der Universität Frankfurt am Main angenommenen Dissertation gestoßen, als er an der chinesischen Übersetzung des Buches Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland (1800-1914) seines Doktorvaters arbeitete. Am Max-Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte konnte er sich mit Hilfe eines Promotionsstipendiums unter erstklassigen Forschungsbedingungen während vierer schöner und für seine wissenschaftliche Zukunft äußerst wertvoller Jahre einer besonderen Auswirkung des deutschen öffentlichen Rechtes auf sein Heimatland widmen, in dem er inzwischen als Dozent an der Southwest University of Political Science and Law in Chongqing tätig ist.

 

Gegliedert ist die Untersuchung in eine Einleitung, vier Kapitel und eine Schlussbetrachtung. Zu Beginn zeichnet der Verfasser dabei eindringlich die Krise nach, in die China durch die neuzeitliche Expansion der Europäer geriet. Ihre Lösung wurde darin gesehen, die Modernisierung durch Aneignung westlicher Zivilisation zu versuchen.

 

Nach Darlegung von Fragestellung, Methode, Aufbau, Quellen und Forschungsstand beschreibt der Verfasser zunächst die Ausgangslage mit ihrem kennzeichnenden Paradigmenwechsel. Danach stellt er den ungewöhnlichen Lebenslauf des am 23. Februar 1873 in Xinhui, Guangdong, geborenen, am 19. Januar 1929 in Peking gestorbenen Gelehrten, Journalisten und Reformisten nach, der von 1890 bis 1898 als Vordenker und Sprecher in der Reformbewegung am Ende der seit 1644 herrschenden Qing-Dynastie, von 1898 bis 1912 als Aufklärer und Staatsdenker im japanischen Exil und von 1912 bis zu seinem Tode als Politiker und Gelehrter in der neuen Republik China wirkte. Auf Bluntschlis Staatslehre stieß Liang ohne jede Kenntnis des Deutschen im japanischen Exil in japanischer Übersetzung.

 

Im zweiten Kapitel betrachtet der Verfasser den Staat als Organismus, im dritten Kapitel die moderne nationale Staatsbildung und im vierten Kapitel den konstitutionellen Verfassungsstaat. Der sorgfältige Vergleich der Hauptwerke zeigt, wie Liang auf der Suche nach dem modernen Staat auf der Grundlage der organischen Staatslehre in Anknüpfung an Bluntschli ein nationalistisches und konstitutionelles Staatsdenken eigenständiger Prägung entwickelte. Anhänge und Zeichenglossar runden die einen wichtigen rezeptionsgeschichtlichen Vorgang der jüngeren Geschichte weiterführend erhellende Arbeit vorteilhaft ab.

 

Innsbruck                                                                   Gerhard Köbler