Krieger, Wolfgang, Geschichte der Geheimdienste. Von den Pharaonen bis zur CIA (= beck’sche reihe 1891). Beck, München 2009. 362 S. Besprochen von Werner Augustinovic.
Geheimdienstforschung ist ihrer Natur nach mit Schwierigkeiten behaftet, liegt es doch im Wesen nachrichtendienstlicher Institutionen, im Widerspruch zum demokratischen Publizitätsprinzip gleichsam im Verborgenen zu wirken. Erst Pannen und Skandale eröffnen partielle Einblicke in das Geschehen hinter den Kulissen; der Zugang zu den Quellen bleibt nichtsdestotrotz meist ein schwieriger. Der in der Folge des Anschlags vom 11. September 2001 von den USA ausgerufene globale Kampf gegen den internationalen Terrorismus scheint jedenfalls das wissenschaftliche Interesse an geheimdienstlichen Fragestellungen gefördert zu haben, was sich an der wachsenden Etablierung von Forschungseinrichtungen, Publikationsorganen und einschlägiger Fachliteratur ablesen lässt.
Wolfgang Krieger gilt als intimer Kenner der Szene und als Aktivposten auf dem Feld der Geheimdienstforschung. Mit dem vorliegenden Band unternimmt er den Versuch, einen Überblick über gut dreitausend Jahre geheimdienstlicher Praxis zu bieten. Da eine „Theorie der Geheimdienste“ mit einer klaren Begriffsbestimmung bislang noch ausstehe, lasse sich eine Annäherung an das Phänomen am besten durch den Wirkungskreis bewerkstelligen, der vier Aufgaben umfasst: „die Beschaffung von Informationen über den Gegner (oft auch über Konkurrenten und Freunde); die verdeckte Beeinflussung; die Abschirmung des eigenen Herrschaftsapparates gegen geheimdienstliche Angriffe; das Eindringen in die gegnerischen Geheimdienste“ (S. 14). Ausübung politischer Herrschaft sei stets von einem bestimmten Wissen abhängig, das beschafft, interpretiert und als Basis für Entscheidungen taugen müsse. Darüber hinaus würden durch so genannte „verdeckte Aktionen“ Eingriffe in den Machtbereich des Gegners vorgenommen. Der Spion als Träger geheimdienstlichen Handelns werde dabei „auf extreme Weise zwischen Loyalitäten hin- und hergerissen“, auf normativer Ebene stelle sich die Frage nach der ethischen Wertung solchen Tuns. Wie die Antwort ausfalle, hänge dann „hauptsächlich von den moralischen Qualitäten des Auftraggebers und des zu bekämpfenden Gegners“ ab (S. 16f.).
Schon die Nachrichten über das Altertum – Krieger spricht von der „politischen Vormoderne“ - enthalten verstreute Hinweise auf Frühformen nachrichtendienstlicher Betätigung. Obwohl praktisch alle Völker der Antike in unterschiedlicher Intensität in dieser Hinsicht aktiv wurden, fanden derartige Bemühungen durch die Konzentration der damaligen Historiographie auf die Berichterstattung über Herrscherpersönlichkeiten nicht als selbständiges Thema Interesse und dementsprechend in den Quellen nur einen dürftigen, eher zufälligen schriftlichen Niederschlag.
Die folgende Zeit bis zur technischen Moderne sei dann gekennzeichnet durch eine „schrittweise Personalisierung und Individualisierung“ (S. 66). Krieger lässt den Blick über die Jahrhunderte und die jeweils bestimmenden Mächte schweifen und hält die Fortschritte auf dem geheimdienstlichen Sektor akribisch fest. Im elisabethanischen England war es beispielsweise Francis Walsingham, der im Streit mit der Hegemonialmacht Spanien „die Spionage professionalisieren und zu einem Mittel des militärisch Schwachen im Kampf gegen einen viel mächtigeren Feind“ machen konnte – allerdings gebunden an seine Person, denn „es fehlte noch die von Einzelpersonen unabhängige Spionagebürokratie mit durchgehender Professionalisierung“, eine Stufe, die erst 350 Jahre später, kurz vor dem Ersten Weltkrieg, erreicht werden sollte (S. 77f.). Mit der Ausbildung einer über bloße Vertragsabschlüsse hinausführenden, modernen Diplomatie stieg die Notwendigkeit der geheimen Informationsbeschaffung mit all ihren Rückwirkungen auf die innere Sicherheit. Pioniere hierbei waren Kardinal Richelieu und sein Mitarbeiter und Vertrauter Père Joseph, die vom heutigen französischen Auslandsgeheimdienst ausdrücklich als Gründerväter benannt werden. Die Inlandsspionage mit präventiver Ausrichtung und moderner Systematik (Personendateien) wurde nach der Französischen Revolution von Joseph Fouché als „moderne Polizeiarbeit im Sinne einer Geheimpolizei, die jene Gruppen frühzeitig identifiziert und überwacht, welche die staatliche Ordnung (angeblich oder tatsächlich) gefährden“ (S. 99), auf den Weg gebracht. Der militärische Nachrichtendienst wiederum eroberte seinen ständigen Platz in der Militärbürokratie mit der Einrichtung professioneller Generalstäbe, wie sie in Österreich in der Regierungszeit Maria Theresias in der Zentralstelle und später im Rahmen der preußischen Reformen Scharnhorsts und Gneisenaus auch auf der Ebene der großen Verbände geschaffen wurden.
Die starke Beschleunigung der geheimdienstlichen Entwicklung vor dem Ersten Weltkrieg führt der Verfasser auf den Zerfall der europäischen Friedensordnung des Wiener Kongresses in den Jahrzehnten nach der Revolution von 1848 zurück, der zu wechselseitigem Misstrauen, zu Koalitionen und zur Blockbildung führte. Dazu trat als entscheidender Faktor der Umstand, dass „die Politik … durch das rasche Wirtschaftswachstum und den rasanten technischen Fortschritt überfordert“ wurde (S. 149). Ein Platz greifender, populistischer Militarismus fand seinen Ausdruck unter anderem in der „Spionitis“ – in öffentlichen Angstkampagnen vor militärisch-politischen Gegnern, dokumentiert in Romanen, Pressekampagnen oder Spionageskandalen wie der weithin bekannten Affäre Dreyfus.
Prägend für den Einsatz der Geheimdienste während des Ersten Weltkrieges waren die durch die „Kommunikationsrevolution“ geschaffenen, vom Militär genutzten technischen Möglichkeiten: die elektrische Telegrafie, das Telefon und der Funkverkehr und damit die Frage der Ver- und Entschlüsselung von Nachrichten. Das den unbeschränkten U-Boot-Krieg betreffende Telegramm des deutschen Außenministers Zimmermann, das mit dem Kriegseintritt der USA im Jahr 1917 ursächlich verknüpft wird, ist das markanteste Beispiel für die große Bedeutung und die Folgewirkungen dieser technologischen Neuerungen.
Mit der bolschewistischen Oktoberrevolution in Russland sieht Wolfgang Krieger den Eintritt der Geheimdienste in das „ideologische Zeitalter“ gekommen, in dem Auseinandersetzungen zwischen den Hauptakteuren – „Kommunisten, Faschisten/Nationalsozialisten, Kapitalisten und ‚Terroristen’ der Dritten Welt“ - nicht mehr allein um Macht, Einfluss, Territorien und Ressourcen geführt würden, sondern um „die gesamte Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung einschließlich der Wertorientierung“ (S. 187). Ausführlich kommen im Folgenden die Geheimdienstapparate der einzelnen Mächte zur Sprache, ihre Strukturen und deren Ausbau, die institutionellen Anpassungen nach dem Zweiten Weltkrieg sowie die wesentlichen Operationen innerhalb und außerhalb Europas inklusive der zahlreichen Pannen und Skandale. Dabei liest man Überraschendes wie Aktuelles. Wer möchte etwa gedacht haben, dass in den USA während des kalten Krieges 80 Prozent des gesamten Geheimdienstbudgets in die technische Spionage des Pentagons flossen und nur ein geringer Rest für die Dotierung der CIA verblieb? Der im Zusammenhang mit dem japanischen Überfall auf Pearl Harbor bemühte Begriff des „noise“ wiederum - das Problem, bei der geheimdienstlichen Analyse unter den vielen Informationen die „richtigen Stimmen“ herauszufiltern – war erst unlängst Gesprächsinhalt zwischen den US-Geheimdienstchefs und Präsident Obama.
Aus dem Blickwinkel des Rechts interessiert vor allem das Kapitel, das die Fragen nach Rechtsverletzungen bei den Geheimdiensten und nach der notwendigen politischen Kontrolle aufwirft. Letztgenannte sei problematisch, denn – so der Verfasser – „nur äußerst selten – das ist meine zentrale These, gestützt auf den bisherigen Forschungsstand – handeln die Geheimdienste gegen den Willen der eigenen Regierungen beziehungsweise ohne deren Wissen“ (S. 324). So sei im jüngsten Irakkrieg „das Ausmaß an politischer Manipulation von Geheimdienstinformationen … erschreckend“ gewesen (S. 321). Die Exekutive sei in einem Rollenkonflikt befangen und handle zumeist nur auf massiven öffentlichen Druck der Presse hin, die ihrerseits wieder auf Hinweise von Insidern angewiesen sei. Eine parlamentarische Kontrolle habe sich ebenfalls nur zögerlich und in den meisten Ländern spät - in Frankreich etwa erst 2007 – etabliert, in der Bundesrepublik Deutschland hingegen schon 1956. Wenn sich auch seit dem Ende des kalten Krieges Tendenzen zu mehr Transparenz in den Geheimdiensten, die im Kampf gegen den Terrorismus mehr und mehr auf die Unterstützung durch die Bürger angewiesen sind, orten lassen, so wird dennoch das Dilemma, ein Gleichgewicht zwischen der Erhaltung der bürgerlichen Freiheiten und einer effizienten, leistungsfähigen Sicherheitspolitik finden zu müssen, auch in Zukunft den freiheitlich-liberalen Rechtsstaat herausfordern. Unter dem Titel „Menschen- und Bürgerrechtsverletzungen durch Geheimdienste. Historische Erfahrungen in westlichen Demokratien“ hat Wolfgang Krieger erst unlängst weitere Überlegungen zu diesem Fragenkomplex publiziert (Journal for Intelligence, Propaganda and Security Studies JIPSS Vol. 3, No. 2/2009, S. 7-14).
Im Gesamten bietet das Buch einen soliden und äußerst faktenreichen Einblick in ein nicht leicht zu beackerndes Themenfeld. Besonders überzeugt die Art und Weise, wie es dem Verfasser gelingt, die Geschichte der Geheimdienste in den gesellschaftlichen und politischen Kontext der jeweiligen Epoche zu stellen und Kausalitäten sichtbar zu machen. Dass eine solche Überblicksdarstellung auch Lücken aufweist, ist unvermeidbar; so erfährt man leider nichts über Chinas Geheimdienststrukturen, was wohl der schwierigen Quellenlage zuzurechnen sein dürfte. Unpassend erscheint es, im Kapitel „Menschen- und Bürgerrechtsverletzungen bei den Geheimdiensten“ den Ausführungen über die gezielte vorsätzliche Tötung von Terroristen durch israelische Einsatzkräfte unmittelbar das Beispiel der Diskriminierung von Sinti und Roma durch Behörden im Nachkriegsdeutschland folgen zu lassen, handelt es sich doch um nicht vergleichbare Sachverhalte von ganz unterschiedlicher Qualität.
Wie vielfältig und reich an Aspekten insgesamt die Darstellung, so unzureichend ist auf der anderen Seite der dem Band beigestellte, oder besser: nicht beigestellte systematische Apparat. Ohne entsprechende Tabellen und Organigramme ist es kaum möglich, einen klaren und dauerhaften Überblick über die zahlreichen geheimdienstlichen Institutionen und deren Entwicklung zu gewinnen. 20 Seiten Endnoten enthalten zwar manches Literaturzitat, aber ein für das spätere Nachschlagen unentbehrliches, alphabetisch geordnetes Literatur- und Quellenverzeichnis fehlt ebenso wie jede Art von Register. Nur gezählte 13 Titel sind in einer gesonderten Aufstellung „Weiterführende Lektüre“ erfasst. Am nützlichsten erscheinen in diesem Zusammenhang allenfalls noch die ebenfalls spartanisch gehaltene Nennung der renommiertesten Fachzeitschriften und der Hinweis auf einige für das Thema relevante Webseiten.
Kapfenberg Werner Augustinovic