Kriebisch, Angela, Die
Spruchkörper Juristenfakultät und Schöppenstuhl zu Jena - Strukturen,
Tätigkeit, Bedeutung und eine Analyse ausgewählter Spruchakten. Lang, Frankfurt
am Main 2008. XIV, 361 S. CD-ROM (441 S.) Besprochen von Steffen Schlinker.
Schon für eine Reihe juristischer Fakultäten ist
deren Funktion als Rechtsprechungsorgane untersucht worden. Bislang fehlte eine
Arbeit für Jena, obwohl gerade Jena in mehrfacher Hinsicht Interesse
beanspruchen darf, teils weil das Spruchkollegium die Zuständigkeit für alle
ernestinischen Herzogtümer beanspruchte, teils weil die Abgrenzung zwischen der
Fakultät als Spruchkörper und dem Schöppenstuhl unklar war. Angela Kriebisch gelingt
es nunmehr, auf der Basis umfassender und sorgfältiger Archivarbeit mit ihrem
sinnvoll aufgebauten und sprachlich schönen Buch die Geschichte der
Juristenfakultät und des Schöppenstuhls Jena zu erhellen.
Zunächst widmet sich die Verfasserin den Grundlagen
(S. 11-31). Überzeugend sieht sie einerseits die Praxis der Städte,
Rechtsauskünfte vom Rat oder den Schöffen der Mutterstadt zu erbitten, und
andererseits die Gutachtertätigkeit der italienischen Rechtsgelehrten als
Wurzeln der Spruchtätigkeit juristischer Fakultäten (S. 19-24, 42). Zu Recht
unterscheidet sie zwischen dem Leipziger Schöffenstuhl, in den mit der Zeit gelehrte
Juristen der Fakultät aufgenommen wurden, und dem Schöffenstuhl von Wittenberg,
der nicht aus einem alten städtischen Schöffenkollegium entstanden war, sondern
sich als Gelehrtenausschuss des Hofgerichts konstituiert hatte, um außerhalb
der Hofgerichtstermine in zivilen und peinlichen Sachen zu urteilen. Auch der
Schöppenstuhl in Jena setzte sich aus gelehrten Juristen zusammen und stellte
eine Neuschöpfung dar, weil es dort ein mit Laien besetztes mittelalterliches
Schöffenkollegium nie gegeben hatte (S. 15, 67, 71). Sodann werden präzise die
Rechtsgrundlagen für die Aktenversendung und dessen Prozedere erläutert (S.
18-31). In der Form wird die Entscheidung des Spruchkörpers nachvollziehbar nur
als Entscheidungsvorschlag bezeichnet, der durch das Gericht erst noch als
Urteil verkündet werden musste. Die Unterscheidung zwischen Urteilen, deren
Verkündung für das Gericht verpflichtend war, unverbindlichen
Urteilsvorschlägen und Gutachten hätte jedoch etwas deutlicher ausfallen dürfen
(S. 20-22). Zu der spannenden Frage, ob ein Gericht von dem Vorschlag abweichen
konnte, schweigen leider die Quellen.
Überzeugend gelungen ist die Untersuchung zur Spruchtätigkeit
in den Anfangsjahren der Fakultät (S. 33-84). Hier stellt sich die Verfasserin
dem Problem, wie der Schöppenstuhl und die Fakultät als Spruchkörper
voneinander abzugrenzen sind. Überdies existierte in Jena seit 1566 noch ein Hofgericht.
Die Statuten der Fakultät sprechen schon seit 1558 von einem Schöppenstuhl,
während seit 1581 zwei Spruchkörper nebeneinander überliefert sind. Es gelingt
Angela Kriebisch dank ihrer profunden archivalischen Arbeit, überzeugend
nachzuweisen, dass der Schöppenstuhl die juristische Fakultät als
Spruchkollegium, also als rechtsprechendes Organ bezeichnete. Hingegen wurden
Gutachten im Namen der Fakultät erstattet. Mit der Verwendung der Bezeichnung
Schöppenstuhl sollte die Fakultät also nach außen als
rechtsprechender Spruchkörper hervortreten und sich so von der Fakultät als
Lehrkollegium abgrenzen. Die Verfasserin kann die differenzierte Bezeichnung damit begründen, dass der Rechtsbelehrung
eines Schöppenstuhls im sächsischen Raum angesichts der langen Tradition größere
Akzeptanz entgegengebracht worden sei als der Entscheidung eines Fakultät (S.
74, 84, 270).
Daran schließt sich die Untersuchung der
Statuten und deren Bedeutung für die Spruchtätigkeit an (S. 93-137, hilfreiche
Synopse: S. 285-321). Dem folgt eine prägnante und schöne Darstellung der
Gerichtsbarkeit und Verwaltung in den ernestinischen Herzogtümern (S. 139-155).
Ausführlich widmet sich die Verfasserin sodann den Rechtsgrundlagen für die
Aktenversendung (S. 18, 156-189). So kann sie zeigen, wie die juristische
Fakultät erst langsam in die Gerichtsverfassung hineinwuchs (S. 184). Sie weist
aber zugleich auf das Problem hin, dass sich auch gelehrte Richter durch die
Aktenversendung einer Entscheidung zu entziehen versuchten (S. 188).
Der inhaltlichen Auswertung der Spruchkonzepte dient
schließlich der letzte große Abschnitt (S. 209-273). Hier kann sich Angela
Kriebisch an Ulrich Falks großem Buch über die Consilia orientieren. Ihr
Thema ist allerdings nicht das materielle Recht, sondern die Gerichtsverfassung
im weiteren Sinne. Der materiellrechtliche Inhalt der Sprüche wird nur
skizziert (S. 249f., 255ff.). Um dieses für die
Privatrechtsgeschichte unentbehrliche Material zugänglich zu machen, regt die
Verfasserin die Erarbeitung eines Repertoriums an (S. 254). Dieser beifallswürdige
Vorschlag wird durch schöne Hinweise zum Arbeitsablauf (S. 228f.), zum
Arbeitsanfall (S. 238-249) und zur Form der Entscheidungen ergänzt (S. 230-273).
Sehr gelungen ist die Darstellung der Entscheidungsbegründung mit der
Unterscheidung zwischen den rationes
dubitandi (Zweifelsgründe) und der rationes
decidendi (Entscheidungsgründe) (S. 234f.). Ein bemerkenswerter Befund ist
schließlich die häufige Verwendung vernunft- und naturrechtlicher Argumente
sowohl seitens der Parteien als auch in den Entscheidungen des Schöffenstuhls
(S. 262-265).
So gelingt der Verfasserin nicht nur die Klärung
lange umstrittener Fragen, sie kann aus den archivalischen Quellen zugleich
eine Fülle wertvoller Befunde mitteilen. Mit ihrer umfassenden Darstellung des Beginns,
der Strukturen und Zuständigkeiten sowie des Verfahrens und der Bedeutung der
Jenaer Spruchtätigkeit legt die Verfasserin zudem eine schöne Abhandlung zur Gerichtsverfassung
in der frühen Neuzeit vor. Die Arbeit sollte Ansporn zu weiterer Beschäftigung
mit dem materiellen Inhalt der Sprüche sein.
München und Würzburg Steffen Schlinker