Körbl, Hansdieter, Die Hofkammer und ihr ungetreuer Präsident. Eine Finanzbehörde zur Zeit Leopolds I. (= Veröffentlichungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung 54). Böhlau, Wien 2009. 606 S., 13 Tab., 18 Abb. Besprochen von J. Friedrich Battenberg.

 

Vorliegende Monographie bietet nicht nur eine behördengeschichtliche Analyse, sondern zugleich auch eine biographische Abhandlung zum Hofkammerpräsidenten Georg Ludwig Grafen von Sinzendorf und zu dessen Prozess wegen Untreue, Korruption und Betrug. Damit wird zugleich ein Beitrag zur Arbeitsweise, zum Funktionieren und zum Aufbau einer zentralen Behörde des vormodernen Österreich geleistet. Über die konkrete monographische Bearbeitung des Themas hinaus bietet der Autor anhangsweise eine umfangreiche, mehr als 200 Seiten umfassende Edition einschlägiger Akten bis hin zum Endurteil vom 9. Oktober 1680. Allein dadurch wird der Band zu einem für die rechtshistorische Forschung und Lehre wichtigen Grundlagenwerk, da mit ihm sehr detailliert Verwaltungsabläufe der habsburg-österreichischen Zentralbehörden belegt werden können.

 

Die Hofkammer, um die es in diesem Band geht, wurde 1527 von Ferdinand I. errichtet, einem Schatzmeister (später Präsident) unterstellt, dem mehrere Räte, ein Hofzahlmeister und andere Mitglieder zugeordnet wurden. Es war dies eine für das Reich ebenso wie die böhmischen und ungarischen Länder gemeinsame, kollegial organisierte Behörde. Ihre Aufgabe bestand darin, alle den Staatshaushalt betreffenden Angelegenheiten zu beraten, die Landeskammern zu beaufsichtigen, die nicht durch die Verwaltungen der einzelnen Länder verbrauchten Landeseinkünfte, die außerordentlichen Steuern der österreichischen Länder und etwaige Hilfsleistungen des Reiches wie auch verliehene Gelder in Empfang zu nehmen, auch die für den Hof und dessen einzelne Organe und das Heer auflaufenden Ausgaben anzuweisen. Unter Ferdinand II. wurde die niederösterreichische Kammer mit der Hofkammer zusammengelegt,, und unter Joseph I. schließlich die Unterordnung der innerösterreichischen Kammer in Graz und der oberösterreichischen Kammer in Innsbruck unter die Wiener Hofkammer verfügt. Doch schon unter Leopold I. zeigten sich starke Verfallserscheinungen, die auch damit zu tun hatten, dass es noch kein funktionierendes Kontrollsystem gab und erfolgreiche Strategien ganz von der Qualität und Befähigung der leitenden Beamten abhing. Es war dies zugleich die Zeit des beginnenden Merkantilismus, in dessen Mittelpunkt das Bestreben zur Erhöhung der Staatseinnahmen und des Staatskredites stand. Missstände der Finanzwirtschaft, die in der Zeit vor dem Dreißigjährigen Krieg vielleicht noch unbeachtet blieben, traten nun stärker in den Blickpunkt der herrschaftlichen Höfe. Was die österreichische Hofkammer anbelangt, so konnte diese erst unter Karl VI. 1714 reorganisiert werden, um danach eine größere Effektivität zu erzielen.

 

Nach einer Einführung in den Forschungsstand und die Quellenlage gibt der Autor in Abschnitt III seiner Monographie zunächst einen behördengeschichtlichen Überblick über die Geschichte und die Struktur der Hofkammer unter Leopold I. In diesem Zusammenhang bietet er ausführliche Informationen zu den Aufgaben der Hofkammer, ihre Stellung zur übrigen Administration, zur inneren Struktur, zur Arbeitsweise, zur Personalentwicklung und zu den verschiedenen Reformbestrebungen bis zum Ende des 17. Jahrhunderts. Abschnitt IV ist Georg Ludwig Sinzendorf und seinem Prozess gewidmet. Der Autor geht auf dessen Person, seine Familie und dessen Stellung am kaiserlichen Hofe ein, analysiert ältere gegen ihn geführte Prozesse, um schließlich den Untreueprozess von 1679/1680 zu verfolgen. Rechtshistorisch wichtig erscheint, dass es sich dabei weder um einen Reichshofratsprozess im üblichen Sinne noch um einen Prozess des Gerichts des Obershofmarschalls handelt, der eigentlich für Klagen gegen Angehörige des kaiserlichen Hofes zuständig gewesen wäre. Das im Falle Sinzendorf eingesetzte „Iudicium delegatum“ war vielmehr ein kraft kaiserlicher Machtvollkommenheit eingesetztes „Sondergericht“ Offenbar konnte ein solches Gremium immer dann beauftragt werden, wenn der Kaiser persönlich betroffen war, die zur Verhandlung anstehenden Delikte also ihn persönlich verletzten. Offenbar wurde damit eine freiere, nicht an formale Verfahrensprinzipien gebundene Verhandlung möglich. Der Autor gibt dazu – ohne sich auf weitere rechtshistorische Literatur stützen zu können – einige interessante Hinweise (S. 203ff.).

 

Abschließend stellt der Autor die Gründe zusammen, die dafür maßgebend waren, dass die Hofkammer so wenig effizient arbeiten konnte. Ein besonders wichtiger Punkt war dabei, dass das Personal nicht unbedingt nach Qualifikationsgesichtspunkten ausgewählt wurde. Georg Ludwig Sinzendorf hatte seine Funktion als Hofkammerrat und als Präsident der Hofkammer nicht wegen etwaiger Fähigkeiten erhalten, sondern weil sein Onkel ihn beim Kaiser besonders empfohlen hatte. Patronage und Zugehörigkeit zu familiären Netzwerken waren letztlich ausschlaggebend, um in höhere Positionen zu kommen. Untreue und Korruption, die bei Sinzendorf besonders auffallend sind, waren allgemeine Erscheinungen, die in dieser Zeit nie völlig behoben werden konnten, weil nicht nur Einzelne betroffen waren, die hätten isoliert werden können. Hinzu kam, dass die Kräfte der Beharrung und Tradition in dieser Zeit einer Modernisierung der Behörde noch im Wege standen. Die Hofkammer war letztlich ein Teil der sie umgebenden Welt des Adels, in der persönliches Ansehen und Ehre eine wichtigere Rolle spielten als Professionalität und Effektivität. Oder anders ausgedrückt: Die Prinzipien des Merkantilismus, die kameralistisch orientierte Finanzwirtschaft des Staates, waren im Österreich des späten 17. Jahrhunderts noch nicht ausgeprägt genug, um die Hofkammer zu einem effektiven Werkzeuge des kaiserlichen Hofes zu machen.

 

In der anhangsweise gebrachten Edition werden u. a. ein „Handbuch für einen Hofkammerrat“ (S. 374ff.), Instruktionen für einzelne Beamte wie den Hofzahlmeister, den Hofbuchhalter den Reichspfennigmeister oder den Hofkammerprokurator abgedruckt. Dazu bietet der Autor Texte zum Verfahrensablauf von Angelegenheiten der Hofkammer, dann zur Geschichte des Prozesses gegen Georg Ludwig Sinzendorf. Ein Verzeichnis der Quellen und der Literatur, Erläuterungen zu den Geldeinheiten, Maßen und Gewichten, ein Glossar zu den zeitgenössischen Begriffen sowie ein ausführliches Personen- und Ortsregister schließen den Band ab. Ein Sachregister, das einen leichteren Zugriff zu den behandelten Themenkreisen ermöglicht hätte, fehlt. Leider wird auch über die akademische Verortung dieser – wohl juristischen – Dissertation nichts gesagt, außer der Tatsache, dass sie auf einer 2005 an der Wiener Universität eingereichten Diplomarbeit unter dem Titel „Die Hofkammer unter Leopold I.“ beruht. – Diese kleinen äußerlichen Mängel können aber nicht darüber hinweg täuschen, dass mit dieser Monographie und zugleich Edition eine materialreiche und für das Verständnis der Verwaltungsstrukturen des späten 17. Jahrhunderts aufschlussreiche Arbeit vorliegt, die zugleich von nicht zu unterschätzendem rechtshistorischem Interesse ist.

 

Darmstadt                                                                                          J. Friedrich Battenberg