Jónsbók. The Laws of Later Iceland. The Icelandic Text according to MS AM 351 fol. Skálholtsbók eldri. With an English Translation, Introduction and Notes by Schulman, Jana K. (= Bibliotheca Germanica. Series Nova, Band 4). AQ-Verlag, Saarbrücken 2010. XXXII, 485 S., Ill. Besprochen von Dieter Strauch.

 

Die Jónsbók ist ein isländisches Gesetzbuch, das seit dem Beginn des 14. Jahrhunderts den Namen des isländischen Rechtsprechers Jón Einarsson († 1306) trägt, der vermutlich an seiner Abfassung in Norwegen maßgeblich beteiligt war. In den Quellen heißt es dagegen landslagabókin (das Landrechtsbuch), lögbókin (das Gesetzbuch) oder nur bókin (das Buch). Das Original ist nicht erhalten, doch finden sich 286 vollständige Handschriften und Bruchstücke, davon die Hälfte mittelalterliche. Kein anderer mittelalterlicher isländischer Text ist so gut überliefert wie die Jónsbók. Die Ausgabe Gustav Storms in Norges Gamle Love[1] ist heute veraltet. Beste Ausgabe ist die von Ólafur Halldórsson, der ihre Überlieferung in zwei Klassen teilt. Die erste umfasst 45 Handschriften, von denen sein Haupttext die Handschrift AM 351 Skálholtsbók eldri von etwa 1360 ist. Er hat sie seiner Ausgabe von 1904 zugrunde gelegt[2]. Auch Frau Schulman stützt ihre Übersetzung darauf, weil sie dem Original nahe steht, nicht interpoliert und vollständig ist. Die zweite Klasse umfasst 148 Hss. und gedruckte Ausgaben. Ihre Hauptvertreter sind die Svalbarðsbók, AM 343 fol. und die Skarðsbók, AM 350 fol.[3], beide aus der Mitte des 14. Jahrhunderts. Die Unterscheidung in zwei Klassen beruht nicht auf verschiedenem Alter, sondern darauf, dass die Handschriften der ersten Klasse dem Grundtext AM 351 nahestehen, während die zweite Klasse solche umfasst, wie sie die Praxis benötigte. Die ältesten von ihnen gehören ebenfalls in die erste Hälfte des 14. Jhs., viele sind illuminiert, nur wenige nicht interpoliert[4]. Sie berücksichtigen die Rechtsbesserungen und haben ihren Text der jeweiligen Rechtslage angepasst, so dass sie untereinander erheblich abweichen.

 

Allgemeines Vorbild für das neue isländische Gesetzbuch wurde das neue Landrecht des Königs Magnus Håkonarson von 1274[5], auch Vorschriften aus dem norwegischen Stadtrecht finden sich in 196 von 251 Kapiteln der Jónsbók. Sie kopierte aber nicht lediglich das norwegische Recht, sondern suchte es den isländischen Verhältnissen anzupassen und auch altlisländisches Recht zu bewahren. Über die Aufnahme der Jónsbók in Island sind wir aus den Kapiteln 28f und 31 der Árna saga biskups gut informiert[6]. Im Winter 1280/81 wurde es den führenden Männern des Landes vorgelegt, die auch diesen erneuten Versuch des Königs, in Island neues Recht zu setzen, scharf kritisierten, es aber schließlich 1281 mit geringen Ausnahmen annahmen. Nicht gebilligt wurden die Kapitel, welche die Ernennung der Lehnsleute der Entscheidung des Königs und des Erzbischofs übertragen wollten. Einige Streitpunkte wurden durch Rechtsbesserungen König Erik Magnussons vom 2. Juli 1294 und König Hakon Magnussons vom 23. Juni 1305, und vom 14. Juni 1314[7] bereinigt. Sie gaben der Jónsbók die Fassung, die sie fast 400 Jahre lang zur Hauptrechtsquelle Islands gemacht hat. Sie war dort nicht nur die Grundlage des Rechtslebens, sondern auch das meistgelesene Buch, das die Reinheit der isländischen Sprache bewahrte, weil es zugleich die Fibel der Kinder war, die auf diese Weise in isländische Sprache und Recht eingeführt wurden. Seit 1578 wurde die Jónsbók auch im Druck verbreitet. Die kommentierende Literatur des 16. und 17. Jhs. ist bisher nicht her­ausgegeben. Teile der Jónsbók gelten noch heute[8].

 

Nach der dänischen Übersetzung Egill Þorhallesens[9] von 1763 hat Frau Schulman die erste moderne Übertragung ins Englische geschaffen. Ein Vorzug ihrer Arbeit ist, dass sie nicht nur die Übersetzung gibt, sondern auch den altisländischen Text synchron druckt, man kann also jederzeit auf das Original zurückgreifen. Die Beschränkung ihres Abdrucks auf das Ms. AM 351 fol. hat allerdings zur Folge, dass sie mit Ólafur Halldórssons Ausgabe nur bis Abschnitt VIII. 25 übereinstimmt. Seine Kapitel VIII. 26 und 27 fehlen in AM 351 und sein Kapitel VIII. 28 bringt Frau Schulman als VIII. 26. Auf den Kaufabschnitt (VIII) folgt bei ihr sofort der Diebsabschnitt (IX), den sie aber mit „chapter on theft“ übersetzt. Dagegen bringt Halldórsson als Abschnitt IX die farmannalög, die bei Schulman als Abschnitt X erscheinen (S. 360ff). Zu loben ist, dass sie auch die königlichen Rechtsbesserungen übersetzt hat. Das Ms. AM 351 enthält nicht nur die erwähnten Besserungen von 1294, 1305 und 1314, sondern auch Verordnungen König Hakons V. Magnusson (1299–1319) von 1302 über die norwegische Minderjährigkeitsregierung und von 1308, die nur Norwegen betraf. Die norwegische Thronfolgeordnung (sonst im Anschluss an das Christenrecht stehend) beschließt hier die Rechtsbesserungen und die Übersetzung. Den Abschluss von AM 351 bilden Bischof Arnes Christenrecht, das kristinn réttr inn forni (das alte Christenrecht), das alte Zehntgesetz, verschiedene kirchliche Statuten und Rechtsformulare; diesen Schlussteil hat Frau Schulman nicht bearbeitet.

 

Der Abdruck des Jónsbóktextes von AM 351 ist zugleich diplomatisch buchstabengenau. So wird die Faksimile-Edition von Skálholtsbók eldri (der Jónsbók) von Christian Westergård-Nielsen (Copenhagen 1971) glücklich ergänzt. Der buchstabentreue Abdruck bringt es mit sich, dass er eine Reihe von Lettern enthält, die heute ungebräuchlich und weitgehend unbekannt sind. Das gilt bei den drei verschiedenen Lettern für „r“ vor allem für das „r-rotunda“. Leider hat Frau Schulman nicht alle Sonderzeichen (zumal keine Vokalzeichen) erklärt (S. XVIIIff).

 

Da der englische Text hauptsächlich Studienzwecken dient, wäre es hilfreich gewesen, ihm ein Inhaltsverzeichnis voranzustellen, wie in Ólafur Halldórssons Ausgabe. Die Übersicht über den Inhalt der isländischen Rechts- und Gesetzbücher (Appendix 1, S. 461) ist zwar hilfreich, aber kein Ersatz, zumal dort Seitenzahlen fehlen. Frau Schulman hat sich auch mit der Einteilung des Gesetzbuches schwergetan: Das anord. bolkr übersetzt sie mit „chapter“, obwohl hier „Abschnitt“ (etwa: section oder paragraph) gängig wäre. Die Untergliederung der Abschnitte (die sonst Kapitel heißen) kennzeichnet sie nur durch Zahlen und lässt sie im übrigen unbenannt, nennt dann jedoch das in der Rechtsbesserung von 1294 benutzte Wort capitulum statt chapter: „section“ (S. 401. Nr. 14, mit Fn. 235).

 

Jedem Übersetzer stellt sich die Frage, ob er wörtlich übertragen oder einen lesbaren Text vorlegen soll. Frau Schulman will zwar möglichst wörtlich übersetzen, doch hat sie auch dem Wunsch nachgegeben, mehrdeutige Stellen durch die Übersetzung zu klären („I have attempted to clarify sentences that have pronouns with ambigou­ous referents by substituting the appropriate noun for the pronoun“, S. XXX). Das ist nichts anderes als eine Interpretation der Stelle, die sich manchmal nicht vermeiden lässt, aber zeigt, wie fließend die Grenze zwischen Übersetzung und Auslegung ist. Diese ist aber grundsätzlich nicht Aufgabe des Übersetzers.

 

Betrachten wir etwa den Beginn des Abschnittes IV: mannhelgi. Diesen altnordischen Rechtsbegriff übersetzt Frau Schulman in der Überschrift von IV, 1 (S. 33) mit „personal rights“ viel zu allgemein, denn es geht um die Unverletzlichkeit der Person. Im Text benutzt sie dann den Ausdruck „legal immunity“, der in die Überschrift gehört hätte. Für die dann zu zahlende Buße benutzt sie das Wort wergild, das es weder im Altwestnordischen noch im Englischen gibt, das sie vielmehr dem Mittelhochdeutschen entlehnt hat. Es heißt dort „wergelt“ und meint allgemein die Totschlagsbuße. In ihrem English-Icelandic Glossar erklärt sie S. 485 Wergild denn auch mit „manngjöld, þegngildi“. Aber diese Gleichstellung ist rechtlich nicht haltbar, denn manngjöld ist nach Fritzner, Ordbok, die Totschlagsbuße, die an die Sippe des Getöteten fließt, während die Buße an den König þegngildi heißt. Auch ihr Hinweis zu I, 5 (S. 17, Fn. 12) auf NGL Bd. V, Art. þegngildi ist missverständlich, denn dieses Wort meint nicht allgemein „due to be paid for death by violence“, sondern speziell die Totschlagsbuße an den König. Auch das anord. vapnatak (S. 17) ist nicht eine beliebige Zustimmung (consent) zu einem Beschlußvorschlag, sondern die Zustimmung durch Waffenlärm (das Aneinanderschlagen der Waffen). Die Worte valdsmaðr (I. 5, S. 16) und syslumaðr (III. 2, S. 28) übersetzt Frau Schulman beide mit „Sheriff“ zu ungenau, denn gemeint sind die königlichen Amtmänner, die auf Island für den König die Macht ausübten. Auch die Bedeutung des anord. lögmaðr (I. IV; S. 14f und oft) ist mit „presiding judge“ nicht gut getroffen, denn eben aus dieser Stelle folgt, dass er auch gesetzgeberische Aufgaben hatte.

 

Der Abschnitt V. 1 (S. 84) beginnt mit der Heirat der Töchter. Frau Schulman übersetzt anord. ráða mit supervise (im Register S. 472 dagegen besser mit: „to plot“ oder „advise“), gemeint ist der Ratschlag zur, bzw. die Verabredung einer Ehe. Sind die Eltern tot und die Brüder uneinig, so hat die Tochter ein Mitspacherecht: Es gilt die Meinung des Bruders, der mit dem Rat (der Ansicht) der Tochter übereinstimmt, aber nur, wenn es sich um eine iafnræði (eine ebenbürtige Heirat), handelt.

 

Der Abschnitt IV. 13 (S. 54ff) behandelt das vaðaverk. Frau Schulman übersetzt den Begriff immer mit „accident“, was Unfall heißt. Dies ist jedoch zu eng, denn vaðaverk ist sowohl der Unfall als auch die (grobe oder leichte) Fahrlässigkeit (negligence), so dass eine zutreffende Übertragung besser in einer Verneinung bestünde: „unvorsätzliche Handlung“. Die Worte „ok er þetta sektalaust við konung, ok ekki á konungr á váðaverkum“ (und das ist bußlos gegenüber dem König und nichts hat der König bei unvorsätzlicher Tat) überträgt Frau Schulman mit „that accident is exempt from action by the king und there is no fine due to him“ so frei, dass sie hier bereits von der Übersetzung zur Auslegung übergeht.

 

Dankenswerterweise hat Frau Schulman ihrem Buch auch zwei Glossarien beigegeben: ein isländisch-englisches und ein englisch-isländisches. Beide sind allerdings recht knapp gehalten und lassen wichtige rechtshistorische Begriffe (etwa: farme, mannhelgi, vaðaverk) unerwähnt. Hier wäre etwas mehr Vollständigkeit hilfreich gewesen. Der Herausgeber der Reihe, Hans Fix, wird jedoch den alten Text zukünftig durch einen vollständigen Index erschließen. Dem Buch fehlt die Fadenheftung, so dass es sich leider beim Gebrauch in wenigen Jahren in lose Blätter auflösen wird; über die Papierqualität sagt das Impressum nichts, es bleibt zu hoffen, dass der Verlag säurefreies Papier nach der ISO-Norm verwendet hat.

 

Diese wenigen Kritikpunkte mindern jedoch nicht den Wert der Übersetzung und des diplomatischen Abdrucks von AM 351. Dass nach Generationen von Skandinavisten nun dem Nachwuchs (und nicht nur ihm) der Zugang zu dieser großen isländischen Quelle erleichtert wird, ist ein Fortschritt, der aller Ehren wert ist.

 

Köln am Rhein                                                                                                  Dieter Strauch



[1] Norges Gamle Love, Bd. IV, Christiania 1885, S. 183 – 340, mit den Rechtsbesserungen von 1294, 1305 und 1314, S. 341 – 353.

[2] Ólafur Halldórsson, Jónsbók, København 1904 (Neudruck m. Nachwort von Gunnar Thoroddsen, Odense 1970). Sie ersetzt den von Gustav Storm edierten Text der Jónsbók in NGL IV, S. 183 – 353; vgl. C. Westergård-Nielsen, Skálholtsbók eldri, Jónsbók etc. AM 351 fol. (Early Icelandic Manuscripts in Facsimile 9), Copenhagen 1971.

[3] Jakob Benediktsson, Skarðsbók. Jónsbók and other laws and precepts (Faksimile) AM 350 fol., (Corpus Codicum Islandicorum medii aevi XVI), København 1943; Jónas Kristjánsson, et al. (Hrsg.), Skarðsbók. Codex Scardensis. AM 350 fol. (Manuscripta Islandica Medii Aevi, 1), Reykjavík 1981 (Facsimile); der älteste Druck der Lógbók Íslendinga (Jónsbók) erschien 1578 in Hólum (Faksimile-Neudruck: Reykjavík 1931).

[4] Vgl. Ole Widding, Jónsbóks to ikke-interpolerede håndskrifter. Et bidrag til den islandske lovbogs historie, in: Scripta Islandica 18 (1967), S. 3 – 20.

[5] Druck in NGL II, S. 1 – 178, Übersetzung von Rudolf Meissner, Landrecht des Königs Magnus Hakonarson (Germanenrechte Neue Folge), Weimar 1941.

[6] Vgl. Walter Baetke, Die Geschichte von Bischof Árni Thorláksson, gekürzt), in: Islands Besiedelung und älteste Geschichte (Thule 23), c. 13, S. 282 – 286. Zur Jónsbók allgemein vgl. Dieter Strauch, Art. Jónsbók, in: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde2, Bd. 16, Berlin etc. 2000, S. 71 – 74.

[7] Druck in: NGL, Bd. IV, S. 341 – 353; bei Ólafur Halldórsson, S. 281 – 299; bei Jana K. Schulman S. 396 – 447.

[8] Zu finden in der Gesetzesliste des isländischen Parlaments >www.althingi.is/lagas<. Zu den Abschnitten VII (Landpacht) u. VIII (Kauf) vgl. Ges. v. 1. Febr. 2010 >http:/www.althingi.is/lagas 138a/1281000.400.html<. Vgl. Jana K. Schulman, S. XI, Fn. 1.

[9] Den Islandske Lov, Jons Bogen, udgiven af Kong Magnus Lagabœtir Anno 1280. Af det gamle Norske udi det Danske Sprog oversatt ved Egill Þorhallesen, Kiøbenhavn 1763.