Immenhauser, Martin, Das
Dogma von Vertrag und Delikt. Zur Entstehungs- und Wirkungsgeschichte der
zweigeteilten Haftungsordnung (=Forschungen zur Neueren Privatrechtsgeschichte 31).
Böhlau, Köln Weimar Wien 2006. 515 S.
Der Autor geht in seiner lesenswerten
von Wolfgang Wiegand betreuten Dissertation der Frage nach, ob die
Zweiteilung der Haftungsordnung in ein vertragsrechtliches und ein deliktisches
Schadensersatzrecht das mehr oder weniger zufällige Ergebnis eines historischen
Prozesses ist oder vielmehr eine zwingende Struktur, die sich primär aus der
Problemstellung der zu regelnden Fallkonstellationen und damit weitgehend
unabhängig von historischen Entwicklungen ergibt. Danach soll geklärt werden,
welche Bedeutung die Antwort auf diese Frage für die Weiterentwicklung der
Haftungsdichotomie hat. Da der Autor explizit dogmatische Strukturen enthypnotisieren
möchte, um Raum für Neues zu schaffen, steht seine Antwort auf die Ausgangsfrage
von Anfang an fest.
Im ersten Teil der Untersuchung
wird die Bedeutung der Haftungsdichotomie in wichtigen modernen Rechtsordnungen
herausgearbeitet. Im Ergebnis erscheint die in allen untersuchten
Rechtsordnungen vorhandene Zweiteilung von vertraglicher und deliktischer
Haftung nur im deutschen Recht wirklich haftungssteuernd.
Die in Teil 2 folgende
Entstehungs- und Wirkungsgeschichte der Haftungsdichotomie streift von Rom über
die Naturgesetzbücher und Savigny bis hin zur Wertungsjurisprudenz alle
Personen, Quellen, philosophischen und methodischen Strömungen, die in keiner
umfassenden Darstellung zur europäischen Privatrechtsgeschichte fehlen dürfen.
Der Anfang liegt jedoch in Griechenland. Der Autor führt die vornehmlich der übersichtlichen
Darstellung des Rechtsstoffs dienende Trennung von Vertrag und Delikt in der
römischen Haftungsordnung zurück auf die methodischen Grundsätze der
aristotelischen Dialektik und der Rhetorik. Seine Ausführungen zur griechischen
und römischen Philosophie finden dabei allerdings etwas spät zum eigentlichen
Untersuchungsgegenstand zurück. Auch für die folgenden Epochen wird der rechtswissenschaftliche
Kontext überzeugend mit der jeweiligen Ausprägung der Haftungsdichotomie verbunden.
Da jedoch immer der Kontext vor der Ausprägung der Haftungsdichotomie
geschildert wird, enthalten die Ausführungen zu ersterem oft für den
Untersuchungsgegenstand Überflüssiges, was den Fluss der Arbeit etwas stört.
Kern der Untersuchung ist die
Haftungsordnung Savignys und der Historischen Rechtsschule. Ist bis zu diesem
Zeitpunkt keine prinzipielle Haftungsdichotomie zu finden – und im Naturrecht
sogar ein einheitlicher Haftungstatbestand -, folgt aus Savignys Obligationenverständnis
eine scharfe Trennung von vertraglicher und deliktischer Haftung. Bei Savigny
bewirkt die schuldhafte Verletzung von vertraglichen Pflichten keine
selbständige obligatio, sondern
modifiziert die ursprünglich auf Leistung ausgerichtete Obligation zu einer Schadensersatzpflicht,
die grundsätzlich auf Naturalerfüllung geht. Das Delikt erzeugt dagegen immer
eine selbständige Obligation, der Strafcharakter zukommt.
Die prinzipielle
Haftungsdichotomie der Historischen Rechtsschule setzt sich im deutschen Raum
durch und wird durch das Bürgerliche Gesetzbuch noch verstärkt. Die entstehenden
Lücken zwischen vertraglicher und deliktischer Haftung mussten in der Folgezeit
von Rechtswissenschaft und Rechtsprechung durch die Haftungstatbestände culpa in contrahendo und positive Forderungsverletzung
geschlossen werden. Erst mit der Schuldrechtsreform von 2002 wird die Haftungsdichotomie
wieder gemildert.
Es ist wohltuend, dass die
Arbeit auf eine langatmige Zusammenfassung verzichtet und stattdessen kurze Schlussfolgerungen
für Zweck und Umgang mit Rechtsgeschichte, Kodifikation, Rechtsvergleichung-
und Rechtsvereinheitlichung sowie für eine Restrukturierung der Haftungsordnung
zieht.
Das auf einer breiten
Literatur- und Quellenbasis geschriebene Buch ist gewandt formuliert und aufschlussreich.
Grundsätzlich gelingt die Enthypnotisierung dogmatischer Strukturen bei dieser
Kernfrage des Privatrechts. Dies hätte allerdings anschaulicher erfolgen können
mit konzentrierteren Ausführungen zum rechtswissenschaftlichen Kontext und einer
stärkeren Einbindung der sozialen und politischen Hintergründe. Letztlich dürften
Bedeutung und Ausprägung der Haftungsdichotomie auch stark von rechtspolitischen
Implikationen und den konkret zu lösenden Fällen der jeweiligen Zeit abhängen.
André
Depping