Hundert Jahre allgemeines und gleiches Wahlrecht in Österreich, hg. v. Simon, Thomas (= Rechtshistorische Reihe 400). Lang, Frankfurt am Main 2010). 353 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Am 14. Juli 1789 gelangten in Frankreich bekanntlich Freiheit und Gleichheit des Menschen zumindest im Grundsatz zum Durchbruch. Eine konkrete Auswirkung dieser Einsichten ist auch das allgemeine und gleiche Wahlrecht. Von daher ist es sehr zu begrüßen, dass zur Erinnerung an die in Österreich hundert Jahre zuvor erfolgte Wahlrechtsänderung im November 2007 vom Institut für Rechts- und Verfassungsgeschichte an der juristischen Fakultät der Universität Wien gemeinsam mit dem Nationalrat Österreichs im Parlamentsgebäude eine wissenschaftliche Tagung veranstaltet werden konnte, deren Beiträge der Herausgeber dankenswerterweise der Allgemeinheit in einem Sammelband zur Verfügung stellt.

 

Nach seiner kurzen Einleitung steckt Birgitta Bader-Zaar den Österreich umgebenden Rahmen der Wahlrechtsreformen in Europa und Nordamerika im 19. Jahrhundert ab. Gerhard Strejcek trägt zur Analyse der Wahlreform des Ministerpräsidenten Max Vladimir Freiherr von Beck durch die sorgfältige Betrachtung der Wahlgrundsätze und der Wahlprüfung bei. Franz Adlgasser kommt auf der Suche nach neuen Gesichtern oder alten Bekannten zu der Erkenntnis, dass das Parlament Österreichs sich im Verlaufe seines Bestehens von einer durch Honoratioren geprägten Interessensvertretung zu einem von Vertretern der Massenpolitik dominierten Volksparlament entwickelte, ohne dass die Wahlreformen einschließlich des Jahres 1907 ein übernationales Österreichbewusstsein schaffen konnten.

 

Günther Schefbeck zeigt nicht zuletzt mit zahlreichen Graphiken den Weg zu einer Kollektivbiographie der österreichischen Parlamentsmitglieder. Lothar Höbelt betrachtet die Wechselwirkung zwischen Wahlrecht und Parteistruktur. Ilse Reiter schildert den nur bedingt erfolgreichen Kampf der Sozialdemokratie für das allgemeine und gleiche Reichsratswahlrecht.

 

Die abschließenden vier Beiträge betreffen nichtdeutsche Gebiete der Monarchie. Dabei untersucht Luboš Velek die tschechischen Liberalen, Jiři Maliř Mähren, István Szabó Ungarn und Johannes Kalwoda Dalmatien. Insgesamt gelingt dabei den interessanten und gut lesbaren Beiträgen aus verschiedenster Richtung der Nachweis, dass die Wahlrechtsreform des Jahres 1907 ein höchst komplexes Unternehmen war, bei dem die unterschiedlichsten politischen Interessen verfolgt und nach Möglichkeit verwirklicht wurden oder trotz sachlicher Berechtigung zumindest zeitweise noch auf der Strecke blieben.

 

Innsbruck                                                        Gerhard Köbler