Hüntelmann, Axel C., Hygiene im Namen des Staates. Das Reichsgesundheitsamt 1876-1933. Wallstein, Göttingen 2008. 488 S. Besprochen von Bernd-Rüdiger Kern.

 

Der Medizinhistoriker Hüntelmann legt eine erste umfassende Arbeit über das Reichsgesundheitsamt, den Vorgänger des 1994 geschlossenen Bundesgesundheitsamtes, vor. Aus mehreren genannten, aber nicht voll überzeugenden Gründen endet die Arbeit 1933 und nicht 1945.

 

Bei dem Buch handelt es sich weniger um eine Geschichte des Gesundheitsamtes als vielmehr um eine Skizze mit unterschiedlich gesetzten Schwerpunkten. Dabei nimmt aber die institutionelle Entwicklung des kaiserlichen Gesundheitsamtes, das nach 1918 in  Reichsgesundheitsamt umbenannt wurde, breiten Raum ein (S. 76 bis 176). Hinzu kommen Kapitel über die Gründung des kaiserlichen Gesundheitsamtes und ihre Vorgeschichte, über Organisation und Aufgaben des Gesundheitsamtes im Berichtszeitraum, über die Einbindung des Gesundheitsamtes in Interessen und strategische Ziele des Staates sowie über die Handlungsstrategien des Gesundheitsamtes. Zahlreiche Verzeichnisse, ein Tabellenanhang und Register beschließen den Band.

 

Die Gründung des kaiserlichen Gesundheitsamtes geriet aus vielen Gründen nicht einfach. Zum einen war die Reichskompetenz ausgesprochen umstritten und daraus resultierte eine Aufgabenstellung, die schließlich auf die öffentliche Gesundheitspflege festgelegt wurde. Darunter wurde zunächst Statistik verstanden; noch vor Etablierung des Amtes kam das Impfwesen dazu. Auch die personelle Besetzung  erwies sich als nicht einfach und verlief jedenfalls nicht geradlinig. Die ersten vier Jahre des Gesundheitsamtes gestalteten sich in vielfacher Hinsicht schwierig und wenig erfolgreich. Das wurde anders, als 1880 Robert Koch in das Reichsamt eintrat, das nun auch rasch an wissenschaftlicher Reputation gewann.

 

In den folgenden Jahrzehnten gelang es unter der Führung von zwei Juristen, sowohl das Reichsgesundheitsamt als Behörde auszubauen als auch sein Tätigkeitsfeld zu erweitern. Das wurde allerdings in der Weimarer Republik durch Einbußen im Bereich der Veterinärmedizin wieder rückgängig gemacht. Dass das Reichsgesundheitsamt in der Weimarer Republik den Anschluss an so „fortschrittliche“ Forschungsgebiete wie Vererbungslehre und Rassenhygiene verpasste, sollte ihm im Nachhinein zum Vorteil gereichen, bereitete ihm aktuell aber immer wieder politische Schwierigkeiten im Reichstag (etwa Alfred Grotjahn, SPD).

 

Das zweite Kapitel endet mit einem kurzen Ausblick auf die Zeit des Dritten Reiches, in dem das Reichsgesundheitsamt in Verbrechen verstrickt war. Allerdings ist sich der Verfasser nicht sicher, ob nicht auch in der Zeit zuvor Menschenversuche stattgefunden haben, bei denen es vermutlich an Einwilligung und Aufklärung gemangelt hat (S. 170 Anm. 329).

 

An dem Aufbau der Medizinalstatistik lässt sich der Erfolg des Reichsgesundheitsamtes messen. Das erfolgreiche Unternehmen wurde erst als Folge der Wirtschaftslage des Jahres 1923 beendet und dem statistischen Reichsamt als Aufgabe zugeschlagen. Die folgenden Kapitel beschäftigen sich mit Organisation und Aufgaben des Gesundheitsamtes sowie deren Durchsetzung. Insoweit wird nicht etwa die schon beschriebene Aufgabenverteilung wiederholt, sondern insbesondere die Abgrenzung zu den Landesbehörden vorgenommen. Die Aufgaben erweisen sich als konstant: Medizinalstatistik, Bekämpfung der „Volksseuchen“ und Nahrungsmittelhygiene.

 

Alles in allem gelingt dem Verfasser die Darstellung des Reichsgesundheitsamtes und seiner Arbeit. Dabei wird deutlich, dass entgegen den – wenigen – Stimmen in der bisherigen Literatur, durchaus von einer erfolgreichen Aufgabenbewältigung des Gesundheitsamtes gesprochen werden kann. Wünschenswert wäre eine Darstellung, die eine stärkere Verflechtung des Reichsgesundheitsamtes mit dem Reichsgesundheitsrat vornimmt, zwei Institutionen, die nach dem momentanen Forschungsstand etwas beziehungslos nebeneinander stehen. Für den Rechtshistoriker von Interesse sind insbesondere die beiden ersten Kapitel, der Rest nur sporadisch.

 

Leipzig                                                            Bernd-Rüdiger Kern