Huang, Zhe, Zur Lehre von der Geschäftsgrundlage nach altem und neuem Recht (= Schriften zum Wirtschafts- und Medienrecht, Steuerrecht und Zivilprozessrecht 36). Lang, Frankfurt am Main 2009. 165 S. Besprochen von Adrian Schmidt-Recla.

 

Die Göttinger Dissertationsschrift der im chinesischen und deutschen Recht ausgebildeten Verfasserin aus Nanjing bietet vor allem einen Überblick über die zur Rechtsfigur des Wegfalls der Geschäftsgrundlage seit Bernhard v. Windscheid vertretenen Ansichten in Rechtsprechung und Literatur. Einen zweiten Schwerpunkt hat die Arbeit im geltenden Schuldrecht seit der Schuldrechtsmodernisierung (2. Teil, ab S. 127); hier setzt sie sich mit dem Verhältnis zwischen § 275 einerseits und § 313 BGB andererseits auseinander.

 

Einen genuin rechtshistorischen Ansatz verfolgt die Verfasserin nicht. Das ist wohl auch nicht ihr Ziel gewesen. Huang verliert keine umschweifigen Einleitungsworte, sondern skizziert Windscheids, Krückmanns und Oertmanns Vorschläge deskriptiv, ohne sich mit Quellen, Anregungen, Parallelitäten, Rezeptionen und dergleichen aufzuhalten und geht dann zu den einzelnen Urteilen des Reichsgerichts und des Bundesgerichtshofs über. Hier werden Sachverhalte und tragende Entscheidungsgründe nacherzählt, häufig finden sich eigene Urteile („die Entscheidung ist akzeptabel oder nicht akzeptabel, die Begründung ist fragwürdig oder überzeugend“), die selten eingehender begründet werden. Ein weiterer Schritt führt die Verfasserin von  Larenz, Kegel, Schmidt-Rimpler, Lehmann, Esser, Lange, Wieacker über Flume, Fikentscher, Köhler, Ulmer und Medicus zu Koller und Häsemeyer, was die Beherrschung der deutschen Literatur zeigt und für einen im deutschen Recht nicht heimischen Verfasser eine beachtliche Leistung darstellt.

 

Der erste Teil wird so zusammengefasst, dass es über die Kriterien, die eine gerechte Risikozurechnung (hier wäre „Risikoverteilung“ wohl richtiger gewesen) ermöglichen sollen, keine Einigkeit gegeben habe. Ein Ergebnis präsentiert die Schrift auf S. 119f.: Die Oertmann’sche Formel habe die Urteile, die sich auf sie beriefen, nicht getragen, auch das Schrifttum habe sie abgelehnt. Huang bleibt nun bei der bekannten Fallgruppenbildung stehen und meint, sie sei auch in Ermangelung eines einheitlichen Konzepts geeignet gewesen, die relevanten Fälle vernünftig einzeln zu lösen. Nach rechtlichen Konsequenzen, die sich doch eigentlich an einen solchen Befund anschließen müssen, fragt sie nicht, denn: Durch § 313 BGB sei seit 2002 eine neue Situation eingetreten, Konsequenzen für den Rechtszustand nach alter Rechtslage interessierten daher nicht mehr (S. 126). Wir wollen das hier nicht weiter kommentieren.

 

Der zweite Teil wendet sich den durch die Schuldrechtsmodernisierung herbeigeführten Abgrenzungsproblemen zwischen der so genannten faktischen Unmöglichkeit und der Störung der Geschäftsgrundlage zu. Eventuell verbliebene Fragen aus dem ersten Teil sind hier ja nicht mehr interessant, deswegen sucht vergeblich, wer hier noch nach einem Konzept des § 313 BGB oder nach anderen Problemen sucht.

 

Für den geltenden § 313 BGB liefert die Verfasserin auf S. 128f. einen „rechtsgeschichtlichen Hintergrund“, der zwar den Abschlussbericht der Kommission zur Überarbeitung des Schuldrechts nennt, eigene Quellenstudien aber nur bis zu Bundestagsdrucksache 14/6040 betreibt. Auch hier wird aus dem Schrifttum berichtet, vor allem über Canaris’, Ernsts, Emmerichs und Lobingers Stellungnahmen. Eine eigene Lösungsvariante wird nicht versucht. Huang schreibt auf S. 155f.: Zum Verständnis und zur Handhabung des § 313 BGB „können jedoch, nachdem diese Frage zum ungeschriebenen Recht unter dem Stichwort des Wegfalls oder des Fehlens der Geschäftsgrundlage über 80 Jahre lang behandelt worden ist, neue Erkenntnisse nicht erwartet werden. Dass die Störung der Geschäftsgrundlage nun in Gesetzesform tatbestandlich umschrieben ist, macht dieses Institut nicht fasslicher.“ Außerdem lasse „die Wortfassung – wie könnte es auch anders sein – den Juristen, der anhand des Tatbestandes subsumieren möchte, ratlos“. Auch hier entscheidet sich Huang für Fallgruppenbildung.

 

Ein rechtshistorisches Buch ist das insgesamt nicht – auch wenn die Schuldrechtsmodernisierung die älteren Lehren vom Wegfall der Geschäftsgrundlage zu Makulatur gemacht und den berühmten kodifikatorischen Knick herbeigeführt hat. Das scheint in der Schrift auch kurz (nach hier vertretener Ansicht bei dieser Themenstellung zu kurz) auf (s. o.) – nachgegangen wird den damit verbundenen Problemen nicht. Wer sich aber (etwa aus repetitorischen Gründen) knapp und bündig über die bisher vertretenen Ansichten und einige heute relevante Abgrenzungsprobleme zwischen Geschäftsgrundlage, Irrtum und Unmöglichkeit informieren will, der wird fürs erste bedient. Insbesondere für ausländische Juristen hat die Schrift wegen der recht erschöpfenden Rechtsprechungsübersicht hohen Informationswert.

 

Leipzig                                                Adrian Schmidt-Recla