Hewett, Margaret Louise, Ulric Huber (1636-1694), De ratione iuris docendi & discendi diatribe per modum dialogi. Nonnullis aucta paralipomenois, with a translation and commentary. Gerard Noodt Instituut, Nijmegen 2010. XXXII, IV, 232 S. Besprochen von Gunter Wesener.
Ulrik Huber, Professor an der Universität Franeker, gilt als einer der bedeutendsten niederländischen Juristen des 17. Jahrhunderts. Anerkannt sind seine Leistungen auf dem Gebiete des jus publicum universale, des allgemeinen Staatsrechts, des internationalen Privatrechts und des römisch-holländischen Rechts.
Weniger bekannt sind Hubers Auffassungen zur Methodenlehre und zur Art des Rechtsunterrichts. Margaret Hewett, eine Schülerin Theo Veens († 2005), befasst sich nun in überaus eingehender Weise mit Hubers Dialog über die Methode des Lehrens und Lernens. Erstmals publiziert wurde diese maßgebliche Schrift unter dem Titel Dialogus de ratione docendi et discendi juris im Jahre 1684. In erweiterter Form mit dem Titel De ratione juris docendi atque discendi diatribe per modum dialogi ist die Abhandlung als Anhang zu Hubers Digressiones Justinianeae in partes duas (Franeker 1688) erschienen. Der eingeschobene Ausdruck „diatribe“ bedeutet hier wohl Diskussion.
Die Version von 1688 liegt als Photokopie der vorliegenden Edition durch M. Hewett zugrunde, welche durch eine englische Übersetzung (Teil II) und einen umfassenden Kommentar ergänzt wird.
Teil I (p. XVII-XXXII) der vorliegenden Arbeit ist in zwei Kapitel gegliedert Einer allgemeinen Einleitung (Kap. I, p. XIX ss.) folgt im Kap. II (p. XXIII ss.) ein Überblick über die vier Versionen des Dialogus von 1684, 1688, 1696 und 1724.
Der Kommentar (Teil III der Arbeit) umfasst die Kapitel III bis VIII (S. 65-139). Kap. III ist der Rechtsausbildung (Legal Education) in den nördlichen Niederlanden im 17. Jahrhundert gewidmet. Insbesondere wird auf den Rechtsunterricht an der Universität Leiden eingegangen. An der dortigen Rechtsfakultät lehrten Johann Friedrich Böckelmann (1632-1681) und Georgius Conradus Crusius (1644-1676), die als Opponenten im Dialogus erscheinen (S. 109). Wie die Verfasserin (S. 75ff.) hervorhebt, führte im späten 17. Jahrhundert die Fülle des Stoffes (Corpus Iuris Civilis, kanonisches Recht, altes heimisches Recht, Statuten und Keuren) zur Anwendung der Methodus Compendiaria, zum Studium aufgrund von Kompendien, Summarien, Auszügen und Kurzlehrbüchern[1], eine Methode, die von Böckelmann und Huber vertreten wurde. Typisch ist etwa Böckelmanns Compendium Institutionum Justiniani sive Elementa Juris Civilis (Leiden 1679; Amsterdam 1710); in mehreren folgenden Auflagen wurde dieses Werk bis ins frühe 19. Jahrhundert im Unterricht verwendet (S. 76). Crusius wendet sich gegen die Compendia juris civilis.
Kap. IV (S. 79ff.) befasst sich mit Leben und Werk des Verfassers des Dialogus, Ulric Huber. Dieser studierte Artes und Jura, hörte Rechtsvorlesungen bei Johannes Jacobus Wissenbach (1607-1665). 1657 wurde er zunächst Professor eloquentiae in Franeker, lehrte Rhetorik und alte Geschichte; 1665 wurde er Professor der Institutionen, 1667 als Professor primarius Lehrer der Digesten. Die Verfasserin (S. 85ff.) untersucht Hubers Reden (Orationes) und Bücher (Positiones sive lectiones juris contractae secundum Institutiones et Pandectas von 1682 und Digressiones Justinianeae von 1670; 1688) auf Äußerungen zur Methode des Rechtsunterrichts. Die Autorin (S. 93) kommt zum Ergebnis, dass Huber primär das Bestreben hatte, seinen Studenten zunächst die für die Praxis nötigen Rechtskenntnisse möglichst schmerzfrei („as painlessly as possible“) zu vermitteln, in zweiter Linie denjenigen, die nach stärker theoretischer und akademischer Ausbildung strebten, eine sichere Grundlage juristischen Wissens zu verschaffen. Im Dialog werden Vorstellungen vom Rechtsunterricht vertreten, die bereits in früheren Schriften Hubers zu finden sind. Der niederländischen Eleganten Schule ist Huber nur mit Vorbehalt zuzurechnen (S. 94f.)[2]. Über die Frage, warum Huber für seine didaktischen Erwägungen die Form des Dialogs wählte, kann nur spekuliert werden (Verfasserin S. 95ff.).
Kap. V (S. 100ff.) ist den „Personae Dialogi“ gewidmet, Johann Friedrich Böckelmann, Professor in Heidelberg, dann in Leiden, Georgius Conradus Crusius[3], gleichfalls Professor in Leiden und Adrianus Wijngaerden, geb. 1648 in Leiden, wo er Privatvorlesungen hielt. Die Verfasserin stellt sich die Frage, warum Huber gerade diese drei Gelehrten ausgewählt habe, um verschiedene didaktische Auffassungen zu vertreten. Hubers eigener Beitrag zum Dialogus besteht im Wesentlichen in einer Darstellung seiner eigenen Lehrmethoden und in einem Rückblick auf frühere Lehrpraktiken (S. 114f.).
Kap. VI (S. 116ff.) befasst sich mit Albertus Rusius (1614-1678) und Gerard Noodt (1647-1725)[4], einem typischen Verfechter der Eleganten Jurisprudenz. Rusius erscheint nur kurz in der Version des Dialogus von 1684. Noodt tritt nicht persönlich im Dialog in Erscheinung, seine Auffassungen werden aber von G. C. Crusius vertreten. Zwischen Huber und Noodt bestanden wohl starke Kontroversen (S. 121ff.). Ein Hauptpunkt war Noodts Ablehnung der von Huber vertretenen Methodus compendiaria[5]. Noodts Beziehungen zu Böckelmann und Crusius fanden einen Niederschlag in seinen Probabilium juris civilis libri quattuor (Buch I, 1674; 1679) (Verf. S. 125ff.).
Im Kap. VII (S. 130ff.) wird die historische Basis des Dialogs untersucht. „Facts or Fantasy?“ Die Verfasserin kommt zu keinem eindeutigen Ergebnis; manches beruht wohl auf Fakten, anderes ist frei erfunden.
Kap. VIII (S. 133ff.) ist der Frage gewidmet, warum das „Journal des Sçavans“ (lateinische Fassung Ephemerides Eruditorum) in den Dialogus einbezogen wurde.
Im Kap. IX (S. 140ff. „Concluding Thoughts“) stellt die Verfasserin Schlussbetrachtungen an. Während Huber in den frühen Jahren seiner Lehrtätigkeit noch als Anhänger der humanistischen Jurisprudenz anzusehen ist, sprach er sich in späterer Zeit dagegen aus, Anfänger des Rechtsstudiums mit Fragen der Textkritik zu belasten.
Eine Reihe von Appendices zu Teil II (S. 145ff.) und zum Kommentar (S. 167ff.), ferner Chronologien (S. 206ff.) und Bibliographien (S. 208ff.) ergänzen die Untersuchung. Hervorzuheben ist hierbei das Personenregister mit kurzen Lebensläufen (S. 145-162). Ein Summarium (S. 221ff.), zwölf Bildtafeln und ein Personen- und Sachindex (S. 229ff.) beschließen die Arbeit.
Ein Hauptverdienst der mit größter Akribie durchgeführten Untersuchung ist darin zu sehen, dass die Verfasserin gezeigt hat, dass der Rechtsunterricht in den Niederlanden im 17. Jahrhundert nicht ausschließlich von der Eleganten Jurisprudenz beherrscht wurde, sondern dass aus praktischen Gründen die Methodus compendiaria eine beachtliche Rolle spielte. Im Laufe seiner Lehrtätigkeit näherte sich Ulrik Huber stärker dieser Methode.
Graz Gunter Wesener
[1] Zur Methodenlehre J. Schröder, Recht als Wissenschaft. Geschichte der juristischen Methode vom Humanismus bis zur historischen Schule (1500-1850) (München 2001), 78 ff.
[2] Vgl. G. C. J. J. van den Bergh, Die holländische elegante Schule. Ein Beitrag zur Geschichte von Humanismus und Rechtswissenschaft in den Niederlanden 1500‑1800 (Frankfurt/Main 2002) 186. Vgl. dazu F. Ranieri, ZRG Germ. Abt. 120 (2003) 681ff.
[3] Van den Bergh, Die holländische elegante Schule (oben Anm. 2) 177.
[4] Grundlegend G. C. J. J. van den Bergh, The life and work of Gerard Noodt (1647 - 1725). Dutch legal scholarship between humanism and enlightenment (Oxford 1988); ders., Die holländische elegante Schule (oben Anm. 2), insbes. 193ff.; vgl. K. Luig, Juristische Methode zwischen Humanismus, Usus modernus und Naturrecht – Gerard Noodt (1647-1725) und die Lehre vom Mitverschulden, ZNR 21 (1999), 103 ff.
[5] Vgl. Van den Bergh, Noodt (oben Anm. 4) 166.