Hesse, Bernd, Reflexion und Wirkung der juristischen Tätigkeit im Werk E. T. A. Hoffmanns. „Dem im irdischen Leben befangenen Menschen ist es nicht vergönnt, die Tiefe seiner eigenen Natur zu ergründen“ (= Europäische Hochschulschriften 1, 1973). Lang, Frankfurt am Main 2009. 189 S. Besprochen von Heinz Müller-Dietz.
Der „Dichterjurist“ und Kammergerichtsrat E. T. A. Hoffmann zählt mit Recht zu den bevorzugten Persönlichkeiten rechts- und literaturwissenschaftlicher Studien zugleich. Wobei keineswegs nur sein Fall die Frage aufwirft, ob und inwieweit die glückliche Symbiose, die in seinem Werk und Wirken richterliche und literarische Tätigkeit eingegangen sind, namentlich in fachübergreifenden Untersuchungen stets hinreichend zum Ausdruck gekommen ist. Viele Autoren haben schon ihre hermeneutischen Fähigkeiten an dieser Problematik erprobt. Nunmehr hat ein als Rechtsanwalt tätiger Jurist das Thema bemerkenswerterweise zum Gegenstand einer an der Viadrina in Frankfurt an der Oder vorgelegten Dissertation erkoren. Bernd Hesse hat sich schon früher eingehend mit dem Werk jenes Dichters beschäftigt. Daraus ist dann eine speziell der Kriminalerzählung „Das Fräulein von Scuderi“ gewidmete Arbeit hervorgegangen (NJW 2008, 698ff.- die allerdings, wie denn auch die Dissertation, eine Auseinandersetzung mit der gleichfalls diesen Text behandelnden Untersuchung Rolf Meiers „Dialog zwischen Jurisprudenz und Literatur“, 1994, vermissen lässt). In beiden Studien rückt Hesse die Einflüsse des beruflichen Wirkens auf das literarische Werk ins Zentrum der Betrachtung. Auch in der Dissertation weist er der Kriminalerzählung – neben dem „Märchen“ „Meister Floh“, in dem sich ja Hoffmann in ironischer Weise mit seinem Widersacher, dem Polizeidirektor von Kamptz, auseinandersetzt – zu Recht grundsätzliche Bedeutung für die inneren Zusammenhänge zwischen richterlicher und literarischer Tätigkeit zu. Dies geschieht nicht zuletzt unter Rückgriff auf Friedrich Schnapps Edition der juristischen Arbeiten des Dichters von 1973.
Der Verfasser leitet seine Darstellung mit einer harschen Kritik an den zeitgenössischen Schriftstellerkollegen Walter Scott und Goethe ein. Beide hätten – unter freilich verschiedenen Vorzeichen und in unterschiedlicher Weise – die literarische Bedeutung ebenso wie das juristische Wirken Hoffmanns verkannt. In der Tat muten die von Hesse analysierten Urteile des schottischen Schriftstellers, der Hoffmann als „krankhaften Romantiker“ charakterisiert hat (S. 15), und des Weimarer Dichterfürsten nicht nur überaus tendenziös und oberflächlich, sondern vor allem – im Lichte heutiger Forschung – seltsam anachronistisch an.
Nach einem kurzen Überblick über Hoffmanns juristische Schriften nimmt Hesse die Kriminalerzählung zum Anlass und Ausgangspunkt, um Rechtsproblemen im einschlägigen Wirken des Dichters nachzuspüren, die dann in mehr oder minder unvermittelter Form Eingang in den literarischen Text gefunden haben (S. 35ff.). So setzt er etwa die beim Kammergericht anhängig gewesene Strafsache gegen Helmina von Chézy wegen Beleidigung in Beziehung zu dem unheilvollen Wirken der Chambre ardente (nicht zuletzt zu deren Fehlurteilen) wie es Hoffmann im „Fräulein von Scuderi“ schildert. Zur Sprache kommen einmal mehr in rechtsgeschichtlicher Einkleidung kriminalrechtliche Themen, die im literarischen Text eine Rolle spielen: namentlich die Folter, die Giftmordproblematik – auch in ihrer forensisch-toxikologischen Gestalt (S. 113) – sowie die zeitgenössische Beurteilung zweifelhafter Gemütszustände, die in der Strafsache gegen den Kaufmann Wilhelm S. virulent geworden ist (S. 82ff.). Diese Koinzidenzen – die freilich mehr abbilden als ein bloßes thematisches Zusammentreffen – veranlassen Hesse denn auch zur Parallelisierung von Fragen der Zurechnungsfähigkeit, wie sie sich nach dem damaligen Wissensstand – so z. B. in der Mordsache Schmolling (S. 128ff.) - dargestellt haben, mit der Schilderung des Unheimlichen und Unerklärlichen, in der sich Hoffmann ja als ein wahrer Meister erwiesen hat (S. 139ff.).
Die beruflichen Erfahrungen, die der Dichter in der preußischen Immediatkommission gesammelt hat, nehmen für Hesse in der Würdigung dieser Institution und der Chambre ardente als Ausnahmegerichte (in Unterscheidung von den sog. Sondergerichten) Gestalt an (S. 147ff.). Parallelen zieht er ebenso zwischen dem königlichen Veto im Falle des „Turnvaters“ Jahn – den der objektiv urteilende, auf seine richterliche Unabhängigkeit bedachte Hoffmann in einem Gutachten für unschuldig befunden hat – und der Ausübung des Gnadenrechts durch Ludwig XIV. im Verfahren gegen Oliver Brusson (S. 156ff.).
An diesen wie an weiteren Beispielen demonstriert der Verfasser kenntnisreich – sowohl was die strafrechtlichen Quellen (etwa CCC und ALR) als auch die literarhistorische Einordnung und Würdigung der literarischen Texte anlangt – das Ineinandergreifen der beruflichen und künstlerischen Sphären im Werk Hoffmanns. Ein nicht geringer Gewinn seiner Studie liegt in der Aufdeckung zeit- und wissenschaftsgeschichtlicher Zusammenhänge und Querverbindungen, welche die Fruchtbarkeit des von Hesse zugrunde gelegten interdisziplinären Ansatzes belegt. Der Untersuchung ist fraglos ihre starke Einbettung in den literaturgeschichtlichen Kontext und Diskurs zugute gekommen – der man in einschlägigen Arbeiten von Juristen keineswegs immer begegnet.
Saarbrücken Heinz Müller-Dietz