Heise, Ljiljana, KZ-Aufseherinnen vor Gericht. Greta Bösel – „another of those brutal types of women“? (= Zivilisationen & Geschichte 1). Peter Lang, Frankfurt am Main 2009. 120 S. Besprochen von Werner Augustinovic.
Als „bemerkenswert reife wissenschaftliche Leistung“, welche die besondere Aufmerksamkeit auf die „zentrale Bedeutung des Genderaspekts lenke“ (S. 7), charakterisierte die Laudatorin die Magisterarbeit der Preisträgerin, der Historikerin Ljiljana Heise, anlässlich der Zuerkennung des Hedwig-Hintze-Frauenförderungspreises der Freien Universität Berlin im Sommersemester 2007. Die Druckfassung dieser Studie liegt nun vor.
Die Autorin interessiert die Frage, ob und in welcher Weise die nationalsozialistische Täterschaft von Männern und Frauen unterschiedlichen Betrachtungs- und Bewertungsmustern unterliegt. Sie konzentriert sich dabei auf die unter britischer Militärgerichtsbarkeit in Hamburg durchgeführten Verfahren gegen das Personal des (Frauen-)Konzentrationslagers Ravensbrück und wertet die im Archiv der Mahn- und Gedenkstätte des Lagers verwahrten und in englischer Sprache verfassten Ermittlungs- und Prozessakten aus. Im ersten dieser sieben Prozesse, der im Zeitraum von Dezember 1946 bis Februar 1947 abgewickelt wurde, wurden gegen 16 Beschuldigte insgesamt elf Todesurteile verhängt. Vier der insgesamt sieben weiblichen Angeklagten (Bösel, Binz, Marschall, Salvequart) wurden durch den Strang gerichtet, eine (Mory) konnte sich der Exekution durch Suizid entziehen, zwei (Mewes, von Skene) erhielten jeweils zehnjährige Haftstrafen.
Im Zuge ihrer Untersuchungen beschäftigt sich Heise nach Vorbemerkungen über Frauen im Nationalsozialismus, den Forschungsstand zu den Ravensbrück-Prozessen und über die britische Strafverfolgungspraxis speziell mit der Person und dem Wirken der Aufseherin Greta Bösel .Die Themen Rekrutierung, Ausbildung, Aufgabenbereiche des weiblichen Personals und die Behandlung der Häftlinge werden in diesem Zusammenhang angesprochen.
Ihr eigentliches Anliegen, das Überprüfen und Aufzeigen geschlechtsspezifischer Rollenbilder, verwirklicht die Autorin, abgestützt vor allem auf drei Aufsätze von Anett Kretzer (2002 und 2005; 2009 ist von Kretzer inzwischen auch eine umfangreiche Monographie zum ersten Ravensbrück-Prozess erschienen, die hier nicht mehr einfließen konnte) und Julia Duesterberg (2002), im vierten Abschnitt ihrer Arbeit, wo sie die Argumentation von Anklage und Verteidigung unter diesem Gesichtspunkt abklopft und die Erkenntnis zutage fördert, dass sehr wohl Unterschiede in der Behandlung der Geschlechter vorliegen. Denn während sich die Anklage gegen Männer leicht am Dienstgrad und der Dienststellung mit einem definierten Verantwortungsbereich festmachen ließ, war dies bei Frauen, die über keine solche eindeutige Kennung verfügten, nicht möglich, weshalb ihre konkreten Taten ins Zentrum der justiziellen Würdigung rücken mussten. Das normative Ideal von Weiblichkeit inkludiert Eigenschaften wie „mitleidende Fürsorglichkeit“ (S. 73); diesen Frauen aber konnte man leicht eine deviante, durch „Skandalisierung, Dämonisierung und Pathologisierung“ (S. 72) überzeichnete Persönlichkeit unterstellen, eine Stereotypisierung, die sich auch als „besonders gut instrumentalisierbar für die gesellschaftliche Entschuldung“ erwies, indem „die erwünschte Distanz zum Normalmenschen noch größer wurde“. Um nichts weniger hat aber auch die Verteidigung das Geschlechterklischee „der passiven, im Objektstatus gefangenen Frau, die fremdbestimmt von den Umständen des Krieges und der männerdominierten Militärhierarchie in eine ‚Situation’ geraten sei, die ihr nun vorgeworfen würde“ (S. 105), in ihren Dienst gestellt. Beide Bilder simplifizieren und verzerren die an der Faktenlage nachprüfbare Realität.
Ljiljana Heise zeigt damit Mechanismen auf, die über die Forschungsfragen der Konzentrationslager und des Nationalsozialismus hinaus nicht nur historische Aussagekraft besitzen, sondern auch heute noch – man werfe etwa nur einen Blick auf die aktuelle Medienlandschaft - von Relevanz sind. Insbesondere verdeutlicht sie wieder einmal, dass auch der Sektor der Justiz keineswegs der distanzierten Objektivität verpflichtet ist, auf die er sich so gerne beruft, sondern wie auch alle anderen Bereiche der Gesellschaft bestimmten Prägungen – im gegenständlichen Fall eben jenen der geschlechtsspezifischen Rollenerwartungen - unterworfen ist, denen er sich in seiner Aufgabenerfüllung nicht entziehen kann und die er dann bewusst oder unbewusst instrumentalisiert. Heises der einschlägigen Literatur folgender Ansatz mutet im Mainstream der Forschungen zum Dritten Reich vielleicht ein wenig exotisch an, führt aber zu durchaus nachvollziehbaren Ergebnissen, deren Wert insgesamt noch nicht klar abgeschätzt werden kann. Alles in allem ein lesenswertes Stück Frauenforschung der besseren Art.
Kapfenberg Werner Augustinovic