Hein,
Jan von, Die Rezeption US-amerikanischen
Gesellschaftsrechts in Deutschland (= Beiträge zum ausländischen und
internationalen Privatrecht 87). Mohr, Tübingen 2008. XLVI, 1089 S. Besprochen
von Werner Schubert.
Auch wenn das Werk von v. Hein primär auf die jüngsten und aktuellen Diskussionen über die Rezeption US-amerikanischen Gesellschaftsrechts in Deutschland ausgerichtet ist, stellt es gleichzeitig einen wichtigen Beitrag zur Geschichte des deutschen Aktienrechts des 19. und 20. Jahrhunderts dar. Obwohl sich v. Hein schwerpunktmäßig mit der unmittelbaren Rezeption des amerikanischen Gesellschaftsrechts befasst, war auch die Regelungsebene zwischen der EU und den Mitgliedstaaten vor allem angesichts der Luxemburger Centros-Entscheidung von 1999 (Übergang zur Gründertheorie) in die Untersuchungen mit einzubeziehen. Anregend zu lesen ist bereits die Erörterung des Rezeptions- und Konvergenzbegriffs (S. 7-61), den v. Hein nicht auf Rechtsnormen im technischen Sinne und auf das Verhältnis zwischen Staaten beschränkt. In dem Abschnitt: „Die Rezeption US-amerikanischen Aktienrechts vom 19. Jahrhundert bis heute“ (S. 63-285) bringt v. Hein unter kritischer Auswertung der bisherigen Literatur eine umfangreiche Geschichte der Entwicklung des deutschen Aktienrechts unter dem Gesichtspunkt der Rezeption US-amerikanischen Gesellschaftsrechts. Das deutsche Aktienrecht beruhte zunächst weitgehend auf einer Rezeption des französischen Rechts; mit der Aktienrechtsnovelle von 1884 emanzipierte sich jedoch der deutsche Gesetzgeber verstärkt von ausländischen Vorbildern (S. 87ff., 124f.) und entwickelte das Aktienrecht aus eigenen Prinzipien fort. Die umfangreiche rechtspolitische Aktienrechtsdiskussion der Weimarer Zeit befasste sich mit dem amerikanischen Gesellschaftsrecht vornehmlich unter dem Gesichtspunkt der Finanzierungsmethoden. Das Aktiengesetz von 1937 übernahm aus der Weimarer Reformdiskussion einige Elemente des US-amerikanischen Gesellschaftsrechts, ohne dass dies nach außen hin thematisiert wurde (S. 169ff.). Für das Aktiengesetz von 1965 war trotz einer breiten, auch vom amerikanischen Recht beeinflussten Reformdiskussion dieses nur für Fragen der Bilanzfeststellung, Gewinnverteilung und Publizität maßgebend. Das Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG) von 1998 brachte für die externe Corporate Governance eine größere Annäherung an das amerikanische Recht, während die Unternehmensverfassung nur immanent verbessert wurde. Das Stückaktiengesetz von 1998 erleichterte die Ausgabe von unechten nennwertlosen Aktien. Für die Folgezeit spricht v. Hein von einem „massiven Einfluss US-amerikanischen Verregelungsvorbilder“ (S. 282) auf das deutsche Aktienrecht und auf den Deutschen Corporate-Governance-Kodex, ohne dass nationale Besonderheiten wie das dualistische Verwaltungssystem aufgehoben wurden. Insgesamt wäre zum besseren Verständnis des historischen Teils des Werkes und auch der folgenden Abschnitte ein detaillierterer Abriss der Grundlagen und Geschichte des US-amerikanischen Aktienrechts für den nicht unmittelbar mit der Rechtsmaterie vertrauten Leser nützlich gewesen.
Im Anschluss an die historische Bestandsaufnahme befasst sich v. Hein zunächst mit den Ursachen der Rezeption des US-amerikanischen Gesellschaftsrechts unter folgenden Gesichtspunkten: Prestige, Macht, autonome juristische Faktoren und ökonomische Erklärungen (S. 287-396). Es folgt ein Abschnitt über evtl. verfassungsrechtliche und methodische Bedenken gegen die Rezeption US-amerikanischer Institute und Regelungsmaterien, die nach v. Hein nur in Ausnahmefällen durchgreifen. Der nächste Abschnitt handelt von den Regelungsebenen zwischen den Einzelstaaten und zentralen Regelungen aus Washington (S. 465-616). Die Frage eines vertikalen und horizontalen Wettbewerbs stellt sich insbesondere seit der Centros-Entscheidung auch für das europäische Aktienrecht und das EU-Recht. Hierbei geht es vor allem um die Frage, ob die Besonderheiten des deutschen Rechts (dualistisches System, extensive Mitbestimmung, vage Unabhängigkeitsmaßstäbe für Aufsichtsratsmitglieder) auf die Dauer aufrechterhalten werden können (S. 965). In § 7 seines Werkes (S. 617-772) arbeitet v. Hein heraus, dass die Idealvorstellung eines deregulierten US-amerikanischen Gesellschaftsrechts nicht mehr mit der Realität übereinstimme und dieses in wichtigen Bereichen „keine geringere, sondern eine deutlich höhere Regelungsdichte als das deutsche Recht“ aufweise (S. 771). In diesem Zusammenhang geht es vor allem um die Bewertung durch den mit der Sarbanes-Oxley-Act (2002) in Gang gesetzten Reformen. Von allgemeinem rechtshistorischen Interesse ist der Abschnitt über die Bedingungen erfolgreicher Rezeption im Allgemeinen und im Gesellschaftsrecht (S. 773-936). Rezeptionshürden können nach v. Hein sich in rechtskultureller, politischer oder Institutionen-ökonomischer Hinsicht ergeben. Wichtig ist in diesem Zusammenhang die Beobachtung, dass sich im Aktien- und Kapitalmarktrecht die Rechtskreise des Common und des Civil law erheblich einander angenähert haben. Das Schlusskapitel ist der Auslegung und Anwendung rezipierten Gesellschaftsrechts gewidmet, wozu v. Hein einige Beispiele bringt (u. a. Auslegung des § 84 Abs. 2 S. 2 AktG).
Insgesamt erschließt das sehr breit geschriebene Werk von v. Hein dem Rechtshistoriker insbesondere die neuesten Entwicklungen des deutschen, vom US-amerikanischen Recht beeinflussten Aktienrechts und weist ihn damit auf künftige Arbeitsgebiete hin, nämlich auf die vielfältigen Rezeptionen ausländischen Rechts, welche für die deutsche Gesetzgebung und Rechtspraxis verstärkt seit den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts und des beginnenden 21. Jahrhunderts kennzeichnend sind. In gleicher Weise sind die Abschnitte zum Rezeptionsbegriff und zu den Ursachen sowie den Bedingungen erfolgreicher Rezeptionen für den Rechtshistoriker von großem Interesse.
Kiel |
Werner Schubert |