Die beiden Bände beschäftigen sich mit dem zentralen Thema des Verfassungsstaates: der Freiheit. Band VII behandelt die Freiheitsrechte und unterteilt sich in die Privatsphäre, die räumliche Bewegungsfreiheit, Ehe und Familie, Religion und Kirche, Kommunikation, Wissenschaft und Kunst sowie in den Auffangtatbestand der allgemeinen Handlungsfreiheit. Die einzelnen Beiträge zu den Freiheitsrechten folgen nicht einer einheitlichen Gliederung, sondern sind vielmehr auf die Spezifika eines jeden Rechts angepasst. Dieses Vorgehen ist zweckmäßig, weil sich die Kategorien Schutzbereiche, Schutzdimensionen, Adressaten und Schrankenregelungen von Freiheitsrecht zu Freiheitsrecht zu sehr unterscheiden. Von den Darstellung sei jene von Matthias Cornils zu § 168, nämlich der allgemeinen Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG herausgegriffen. Die Lehre hatte sich mit diesem Recht stets schwer getan, weil es sich einer eindeutigen Definition versperrt und die Grundrechtsansprüche stets verdoppelt. Alles was grundrechtlich geschützt ist, das ist eigentlich auch durch dieses Recht garantiert. Der Beitrag von Cornils fasst die Rechtslage prägnant und klar zusammen. Von vorneherein sei herausgestellt, dass das Bundesverfassungsgericht „jede Form menschlichen Handelns ohne Rücksicht darauf, welches Gewicht der Betätigung für die Persönlichkeitsentfaltung zukommt“ (S. 1156) von der Garantie geschützt haben will. Die Kritik der Lehre kam dagegen nicht an. Cornils stellt zu Recht heraus, dass die Garantie weit davon entfernt ist, eine einzigartige Gewhrleistung zu sein, war sie doch schon in den früheren Verfassungen und vor allem in Art. 4 der Déclaration von 1789 enthalten. Auch in der politischen Ideengeschichte wurde sie stets behauptet. Der Preis einer so weiten Garantie ist freilich hoch, sie untersteht einem weitreichenden Schrankenvorbehalt. Vielleicht muss man heute zugeben, dass sie mit dem „in der spätkonstitutionellen Zeit entfalteten Prinzip“ einer „Freiheit vor gesetzwidrigem Zwang“ zusammenfällt, d. h. nichts anderes als eine Wiederholung des Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit darstellt. Der Autor geht freilich keineswegs soweit, das zu behaupten; diese Weimarer These hatte es geschichtlich zu einiger Unbeliebtheit gebracht, sodass sie heute nur mehr ungern gehört würde. Alles in allem legt der Beitrag von Cornils die vielfältigen Facetten dieses bemerkenswerten Rechts reich illustriert und belegt dar. Als Leser hat man kaum mehr Wünsche offen bzw. müsste dann in diesem Fall sich mit der zitierten Literatur und Rechtsprechung beschäftigen.
Der Band VIII legt mit die Freiheit der Wirtschaft, Verfahren und Gleichheit dar. Das deutsche Grundgesetz kennt zwar etwa im Unterschied zur Schweiz (Bundesverfassung von 1999, Art. 28) keine spezifische „Wirtschaftsfreiheit“. Das Grundgesetz schützt aber im Art. 12 in der Freiheit der Berufsausübung die wichtigsten persönlichkeitsrelevanten Aspekte der privatwirtschaftlichen Tätigkeit. Den Band VIII eröffnet der Mitherausgeber Paul Kirchhof mit einem grundlegenden Beitrag (§ 169: Erwerbsstreben und Maß des Rechts), der die zahlreichen Dimensionen exponiert. Schon die Disposition des Bandes und der Beiträge der §§ 169ff. macht deutlich, dass die wirtschaftliche Tätigkeit zur einem höchst regulierten Bereich geworden ist. Nach dem Grundrechtskatalog soll zwar der Idee nach auch hier Freiheit herrschen, freilich haben die Entwicklungen des letzten zwanzig Jahre, die Vorstellung von Freiheit scheinbar entbehrlich gemacht.
Paul Kirchhoffs Beitrag führt nicht etwa ein, sondern er analysiert in packenden Worten das Dilemma der gegenwärtigen Steuerdemokratie. Das Problem der Staatsverschuldung (S. 15f.) ist gegenwärtig in eine Phase gerückt, von der es bald kein Zurück mehr geben kann, sondern ein immer schnelleres Schreiten in den Abgrund erscheint als „die“ Lösung des Problems. Staaten wie etwa Griechenland oder Irland machen den Weg bereit. Der Steuerschuldner, so Kirchhof, wird zwar durch den Abgeordneten im Parlament repräsentiert. Allerdings wirkt sich das deshalb nicht ausgabemäßigend aus, weil die Abgeordneten entdeckt haben, dass sie immer neue Staatsleistungen versprechen können ohne die Steuern zu erhöhen. Sie sichern sich damit ihre Wiederwahl, aber weichen zur Finanzierung auf die Kreditaufnahme aus. Die Banken gewähren einem so soliden Schuldner wie dem Staat gerne Kredit. Es kommt zu einer Kreditspirale und zu einer augenfälligen Abhängigkeit des Staates von den Banken. Kirchhof stellt nüchtern fest: „Die innere Souveränität des Staates ist bedroht“. Man muss sich vor Augen halten, was hier nüchtern festgehalten wird – trotzdem fahren die demokratischen Politiker getrost mit ihrer Ausgabenpolitik fort. Denn „der letztverantwortliche Financier dieser Schulden und Bankrotte, der zukünftige Steuerzahler, ist an diesem (…) Versprechen nicht beteiligt, wird aber in einem fiktiven ‚Generationenvertrag’ als Kernschuldner in Pflicht genommen“ (S. 16 .).
Kirchhof zieht zu dem spanischen König Philipp II. einen historischen Vergleich: Dieser hatte viermal den Bankrott erklärt und jedes Mal wieder von neuem Geld erhalten. Eine anderer, von Kirchhof nicht erwähnter Vergleich fällt für den Schuldenmacher eher ungünstiger aus: die bourbonischen Könige, und zu letzt König Louis XVI, der im Januar 1793 enthauptet wurde. Frankreich führte im 18. Jahrhundert in Nordamerika Krieg gegen die Engländer. Es verschuldete sich schwer und die Könige (und nicht etwa irgendwelche „Revolutionäre“ und Aufklärer) legten die Grundlage für die französische Revolution. Denn die französischen Generalstände wurden 1788 (erstmals nach 1614) deshalb einberufen, um die Verschuldenskrise zu beheben. Anlässlich dieser Versammlung kam es zur Revolution und zur Übernahme der entscheidenden Macht durch den dritten Stand: Es war jener Stand, der die Rechnung bislang zu begleichen hatte. Der Vergleich zur Gegenwart trägt allerdings nicht sehr weit, wie Kirchhof an anderer Stelle deutlich macht: Es wird angesichts des süßen Geldsegens von Seiten des Staates nun gerade nicht zu einer Revolution von Seiten der Bürger kommen.
Der Bürger ist nämlich zwischenzeitlich den Verlockungen des Staates erlegen; er ist zwar noch immer der Freiheitsberechtigte, aber der Staat setzt ihn „individuell planmäßig Verlockungen aus. Der Bürger verliert sanft ein Stück seiner Freiheit“ (S. 29). Der Staat forme das Denken der Freiheitsberechtigten und damit ihre Bereitschaft mit dem Staat zusammenzuarbeiten. Vielleicht müsste man sagen, sie verlieren jegliche Eigeninitiative und können ohne den Staat gar nichts mehr riskieren und unternehmen. Die staatlichen Transferzahlungen wollen die persönliche Lebensführung der Bürger erleichtern; sie machen in Tat und Wahrheit die Menschen käuflich, denn sie „setzen auf (die) Bereitschaft, ein Stück (der) Freiheit gegen Entgelt aufzugeben“ (S. 30).
Der Staat scheine bei jeder Schwierigkeit in nahezu grenzenloser Leistungsfähigkeit als Problemlöser in Anspruch genommen zu werden. Kirchhof führt zahlreiche Beispiele an, drastisch waren die staatlichen Rettungsschirme für die notleidenden Banken und Versicherungen (S. 22ff.). Die staatlichen Unterstützungen verfestigen sich durch das Recht zu Rechtsansprüchen und werden auch mit Hilfe der Gerichte gegen den Staat durchgesetzt. Und an diesem Punkt setzt nach Kirchhof eine unheilvolle Entwicklung der Zivilgesellschaft ein: Die Parteien und Verbände sind ganz auf den Staat ausgerichtet. Sie flüstern ihrer Klientel ein, ihre Ansprüche könnten noch höher sein. „So empfangen die Menschen höhere Staatsleistungen und sind dennoch unzufrieden. Diese Überforderung des Staates entsolidarisiert.“ (S. 30). Diese Situation wird durch eine ausgesprochen unseriöse Finanzpolitik verschärft, denn diese behandelt etwa Erlöse aus Desinvestitionen als frei verfügbare Staatseinnahmen. Die deutsche Politik hat versucht über die doppelte Buchhaltung zu einer realistischen Betrachtungsweise zu gelangen, freilich hat sich das Verhalten nach Kirchhofs Auskunft bislang nicht geändert (S. 32).
Der Beitrag Kirchhofs ist nüchtern, realistisch und bodennah. Er stößt keine Kassandrarufe aus und warnt auch nicht vor den Folgen. Kirchhofs Text liest sich umso eingängiger und der Leser stellt sich von allein die bange Frage: Wo werden die westlichen Demokratien hingeführt?
Diese Analyse findet sich auch in Kirchhofs Beitrag zum allgemeinen Gleichheitssatz (§ 181); es ist geradezu selbstverständlich, dass der so verwaltete Staat bestrebt ist, Gleichheit zu schaffen, obwohl Gleichheit in dieser Welt nicht gegeben ist (Radbruch, zit. auf S. 699). Die Darlegung des Gleichheitsartikels folgt der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Kirchhof legt das Thema in einer eindrücklichen Sprache, nüchtern und konzis dar. Es handelt sich zwar um einen juristischen Fachtext, gleichwohl macht die Sprache und die Bodennähe der Darlegungen die Lektüre zu einem Erlebnis.
Die andern Beiträge in Band VIII beschäftigen sich ebenfalls mit Wirtschaft und Gleichheit; sie sind von hoher Qualität und informieren grundlegend über die Sachaspekte. Es kommt auch immer wieder zu historischen Darlegungen, was zeigt, dass die Autoren den Stoff eben von Grund auf kennen und durchdacht haben. So wird namentlich nicht etwa die aktuelle Literatur, d. h. jene der letzten fünf bis maximal zehn Jahre zitiert. Vielmehr kommt unabhängig von ihrem Alter die grundlegende Literatur zum Zug. Hans-Jürgen Papier bezieht sich in seinem § 176 zum Justizgewähranspruch etwa auf Fritz Baurs Beitrag zum rechtlichen Gehör aus dem Jahr 1954 (AcP 153 [1954], S. 393) oder selbstverständlich zitiert der Autor beim Rechtsstaatsprinzip Otto Bährs „Rechtsstaat“ (1864). So ist ein historisch fundierter Beitrag entstanden, der die Literatur überdauern wird. Freilich steht dem entgegen, dass es sich bereits um die 3. Auflage des grundlegenden Handbuchs handelt; d. h. die Herausgeber selber haben ihre Vorauflagen als erneuerungsbedürftig angesehen.
Beide Bände enthalten ein ausführliches Gesamtverzeichnis über das gesamte Werk, Konkordanztabellen zu den Vorauflagen sowie umfangreiche Gesetzes-, Entscheid und Sachregister. Es handelt sich um wirkliche Handbücher, die sich dem suchenden Leser leicht und rasch erschließen.
Zürich Andreas Kley