Grundlagen für ein neues Europa. Das Magdeburger und Lübecker Recht in Spätmittelalter und früher Neuzeit, hg. v. Lück, Heiner/Puhle, Matthias/Ranft, Andreas (= Quellen und Forschungen zur Geschichte Sachsen-Anhalts 6). Böhlau, Köln 2009. 322 S., Abb. Besprochen von Hiram Kümper.
Die in dem hier
anzuzeigenden Band versammelten Beiträge gehen auf eine international besetzte
Magdeburger Tagung vom November 2005 zurück. Sie steht in einer Reihe von mehreren
Bemühungen, hauptsächlich des Mitherausgebers Heiner Lück und der von
ihm initiierten Verbundprojekte, das sächsisch-magdeburgische Recht des
Spätmittelalters und der frühen Neuzeit in seinen europäischen Dimensionen zu
erfassen. Insofern macht man sich ein wenig selbst Konkurrenz, ist doch beinah
zeitgleich auch die Publikation einer bereits zwei Jahre zuvor veranstalteten Leipziger
Akademietagung erschienen (Rechts- und Sprachtransfer in Mittel- und Osteuropa.
Sachsenspiegel und Magdeburger Recht, hg. v. Ernst Eichler und Heiner
Lück, 2008), die im Übrigen ebenfalls in diesem Band besprochen wird. In
der Tat treffen wir manche Kolleginnen und Kollegen in beiden Bänden: Jolanta
Karpavičienė etwa ergänzt ihren dort abgedruckten Beitrag über
Stand und Perspektiven der Erforschung des sächsisch-magdeburgischen Rechts in
Litauen hier durch eine weniger wissenschafts- und dafür mehr rechtshistorische
Perspektive – ohne dass sich allerdings gewisse Überschneidungen zwischen
beiden Beiträgen vermeiden lassen. Gegenüber diesem Akademietagungsband müssen
freilich (zwei mehr oder minder konsequent umgesetzte) Unterschiede im
Zuschnitt des hier zu besprechendes Buches festgehalten werden: zum einen die
Verbindung mit dem lübischen Recht, obschon dem sächsisch-magdeburgischen
spürbar mehr Beachtung geschenkt wird, zum anderen die explizit europäische,
über spezifisch rechtshistorische Probleme hinausgehende Perspektive, die vom
Obertitel angekündigt wird. Eine Einleitung, die solche Frage etwas ausdrücklicher
hätte adressieren können, fehlt; allerdings gehen gleich mehrere Beiträge das
Problem von einem weitwinkligen Standpunkt aus an. Zu solchen in ihrem Frage-
und Deutungshorizont übergreifenderen Beiträgen zählen Eva-Maria Distlers
Interpretation von „Stadtkommune und Städtebund als Grundlage einer gemeinsamen
kulturellen Identität des europäischen Bürgertums“ (S. 15-36) oder Peter
Landaus „Rechts als Grundlage für die Lebensrealität des Mittelalters“ (S.
141-161). Diesen nur mittelbar auf die sächsisch-magdeburgisch-lübische
Rechtsgeschichte bezogenen Beiträgen wird man auch Matthias Springers
„Fragen um das altsächsische Recht“ (S. 283-304) zurechnen müssen, obwohl sich
der Verfasser ausgiebig mit der Idee der Rechtssetzung in Sachsen durch Karl den
Großen auseinandersetzt. Es werden aber nur hier und da, eher im Vorbeigehen,
die spätestens seit den Arbeiten Kroeschells und Theuerkaufs bekannten Bezüge zum
Sachsenspiegel (via Eintrittsrecht der Enkel, Lex Thuringorum etc.) hergestellt.
Auf der anderen Seite des Spektrums stehen betont forschungspragmatische Beiträge,
die zur zukünftigen Erforschung des sächsisch-magdeburgischen (nicht so sehr
des lübischen) Rechts beitragen wollen. So handelt etwa Marion Perrin
über „Fotokopierte und transliterierte Magdeburger Schöffensprüche“ (S.
223-237) im Magdeburger Stadtarchiv, die aus einem nach dem Weltkrieg nicht
mehr aufgenommenen Projekt der NS-Zeit, des von Fritz Markmann gegründeten
„Instituts zur Erforschung des Magdeburger Rechts“, auf uns gekommen sind. Da man
die originale Handschriftenüberlieferung vieler der damals gesammelten
Schöffensprüche zu den Kriegs- und Nachkriegsverlusten zählen muss, sind das
wichtige Hinweise für kommende Forschungen. Zu diesen hilfreichen Bestandsaufnahmen
zählt auch der Beitrag Alexander Rogatschweskis zu
sächsisch-magdeburgischen Rechtsdenkmälern in St. Petersburger Handschriften
(S.), der eine willkommene Ergänzung zu seinem Überblicksbeitrag in dem oben
genannten Sammelband (Rechts- und Sprachtransfer in Mittel- und Osteuropa,
2008, S. 207-287) darstellt. Zwischen diesen beiden Polen – ganz allgemein auf der
einen Seite, ganz pragmatisch auf der anderen – stehen eine Reihe gediegener
Beiträge zur Geschichte der betrachteten Rechtskreise; etwa von Heiner Lück
zur „Gerichtsverfassung in den Mutterstädten des Magdeburger und Lübecker
Rechts“ (S. 163-181) oder Volker Henn zum „Lübische[n] Recht in den
Auslandsniederlassungen der Hanse“ (S. 49-65). Davon ist vieles mehr Synthese
als originelle Neuerkenntnis. Das torpediert freilich in keiner Weise die
Qualität des Bandes, der einen lesenswerten Querschnitt durch die Thematik
bietet. Was man ihm aber gewünscht hätte, wäre eine gründliche Einleitung, die
dem im Obertitel aufgeworfenen Anspruch etwas mehr Fleisch auf die Rippen gegeben
hätte. Denn so bleiben es einzelne Schlaglichter, die nur bedingt einen
Eindruck von der ja tatsächlich pan-europäischen Bedeutung des
sächsisch-magdeburgisch-lübischen Rechts vermitteln.
Bielefeld Hiram Kümper