Görtemaker, Heike B., Eva Braun - Leben mit Hitler. Beck, München 2010. 366 S., 39 Abb. Besprochen von Werner Augustinovic.

 

Mit dem biografischen Interesse an den nahezu ausschließlich männlichen Proponenten der nationalsozialistischen Führungselite sind im Rahmen der Untersuchung ihres privaten sozialen Umfeldes Zug um Zug auch ihre Ehefrauen und Lebensgefährtinnen in den Fokus der Forschung geraten. Die Fragen, ob und wenn, dann in welchem Ausmaß, sie die männlichen Verantwortungs- und Entscheidungsträger beeinflusst, unterstützt oder gar manipuliert haben und wie groß ihr eigener Freiraum und die Möglichkeiten einer individuellen, selbstbestimmten und von den Aktivitäten des Partners abgekoppelten Gestaltung des eigenen Lebens jeweils gewesen sein mögen, schließlich, ob sie selbst Täter oder Opfer waren, stehen im Mittelpunkt dieser Betrachtungen. Wie groß das allgemeine Bedürfnis nach Wissen auch in diesem Randbereich des Politischen sein kann, zeigen insbesondere die drei „Die Frauen der Nazis“ (1998-2002) betitelten, populär geschriebenen Bände der niederösterreichischen Historikerin Anna Maria Sigmund, die ein breites Lesepublikum erreichen konnten. In der Reihe der von Sigmund Porträtierten durfte Eva Braun-Hitler, langjährige Lebensgefährtin und späte Ehegattin des Diktators, nicht fehlen.

 

Nachdem sie sich, anknüpfend an ihre Promotionsschrift, zunächst an einer Darstellung des Lebens der Journalistin Margret Boveri (2005) versucht hat, hat Heike B. Görtemaker, Historikerin in Berlin, nun Leben und Wirken der Frau an Hitlers Seite einer näheren wissenschaftlichen Betrachtung unterzogen. Ungeachtet der dünnen Quellenbasis – relevante authentische Äußerungen liegen kaum vor, selbst über ein „in alter deutscher Schrift abgefasstes 22seitiges Tagebuch-Fragment aus dem Nachlass Eva Brauns“ muss die Verfasserin sagen, es sei „bis heute […] umstritten, ob es tatsächlich von ihr selbst geschrieben wurde“ (S. 103) – erzählt sie deren Leben von der ersten Begegnung mit Hitler, vermutlich im Oktober 1929 im „Photohaus Hoffmann“, bis zum gemeinsamen Suizid durch Blausäure im Bunker der Reichskanzlei am Nachmittag des 30. April 1945 und bis zur endgültigen Verbrennung und Entsorgung der sterblichen Überreste beider am 5. April 1970 bei Magdeburg durch den KGB. Aussagekraft gewinnt die Darstellung durch die Einbettung dieser Beziehung in Panoramen ganz unterschiedlicher Art: in das Wirtschaftsunternehmen Heinrich Hoffmann, die Familie Braun, in das Thema Frauen im Nationalsozialismus, in den inneren Kreis um Hitler oder in das Leben auf dem Obersalzberg. Darüber hinaus werden auch Aspekte wie das politische Milieu Münchens nach dem Ersten Weltkrieg oder der Einfluss des Attentats vom 20. Juli 1944 berücksichtigt.

 

Aus dieser Konstellation ergibt sich aber auch, dass die vorliegende Arbeit mit keinen wesentlichen neuen Erkenntnissen zur Biografie Eva Brauns aufwarten kann. Viele Seiten des Buches werden, bedingt durch die schlechte Quellenlage, notgedrungen mit Beiwerk, also zwar nützlichen, aber nicht zwingend der Protagonistin dieser Publikation zuzuschreibenden Informationen gefüllt. Ebenso bleibt die zentrale Frage, von welcher Qualität die Beziehung im Hinblick auf das bis heute völlig ungeklärte und demnach Gerüchte und Vermutungen aller Art nährende Sexualleben des „Führers“ gewesen ist, weiter ungeklärt; den Quellen, die belegen wollen, dass „Eva Braun zu Beginn des Jahres 1932 die Geliebte Hitlers geworden sei“ (S. 51), mangelt es an der nötigen Beweiskraft. So bleiben die Antworten auch hier - wie vieles andere in dem Buch – auf das Stadium von Vermutung und Spekulation beschränkt. Die Feststellung hingegen, dass Eva Braun „von Hitlers Weltanschauung, seiner nur schwer erklärbaren Anziehungskraft auf die Massen und der Fülle seiner Macht mindestens ebenso sehr geprägt (war) wie alle anderen ihn umgebenden Personen“ (S. 287), kann weder überraschen, noch steht sie in einem Widerspruch zu dem von Heike Görtemaker in Frage gestellten Bild des naiven, oberflächlichen, auf eine Nebenrolle beschränkten jungen Mädchens, mag doch gerade diese Disposition es fördern, solchem Charisma leichter zu erliegen. Das schließt durchaus auch die Möglichkeit ein, „gefangen zwischen Macht und Ohnmacht“ zum Zweck wie auch immer gearteter persönlicher Vorteile bisweilen „entschieden handelnd“ aufzutreten und auch „eitel und keineswegs ein Opfer“ zu sein (S. 290).

 

In dem Abschnitt über die Berghof-Gesellschaft verbirgt sich dann ein für den Rechtshistoriker interessanter Fall zum nationalsozialistischen Eherecht der Jahre 1938/39, der wieder einmal ein bezeichnendes Licht auf den Zustand der Rechtspflege jener Zeit wirft.  So gelang es dem Altparteigenossen und Hitler-Intimus Hermann Esser, der sich des langjährigen Ehebruchs schuldig gemacht hatte und die Scheidung begehrte, die ihm seine Ehefrau Therese konsequent verweigerte, für diese private Angelegenheit die Unterstützung des „Führers“ zu erwirken. In dessen Auftrag wurden über den Chef der Reichskanzlei, den noch im Kaiserrreich ausgebildeten und schon während der Weimarer Republik ins Innenministerium aufgestiegenen Juristen Hans Heinrich Lammers, Justizminister Gürtner und das Landgericht Berlin so unter Druck gesetzt, dass es im Sinne Hermann Essers entschied und der in der Tat schuldlosen Ehefrau in seinem Urteil bescheinigte, es fehle ihr „an der wahren ehelichen Gesinnung“ und am „ernstlichen Willen nach Aufrechterhaltung einer wahren Ehe“ (S. 189); selbstverständlich wurde auch ihre Berufung verworfen.

 

Ausgestattet ist der Band mit mehreren über den Text verteilten Abbildungen samt Nachweis, einem Personenregister und einem sechsseitigen Quellen- und Literaturverzeichnis. Die Anmerkungen sind als Endnotenapparat im Anhang erfasst.

 

Kapfenberg                                                                Werner Augustinovic