Gietinger, Klaus, Der Konterrevolutionär - Waldemar Pabst - eine deutsche Karriere. Nautilus, Hamburg 2009. 535 S., Ill. Besprochen von Irmtraut Götz von Olenhusen/Albrecht Götz von Olenhusen.
Politische Gewalt gehört zur Signatur der Bürgerkriegsphase nach dem Ende des Ersten Weltkriegs. Erscheinungsformen, Ursachen und Wirkungen sind vielfach bereits Gegenstand historischer Untersuchungen gewesen. Was von Emil Lederer schon 1921 in seiner Soziologie der Gewalt als Anachronismus bei der Neuverteilung der gesellschaftlichen Gewichte analysiert worden war,1 fungierte mit der extremen Rechten als dem entscheidenden Motor noch geraume Zeit. Die Forschung hat sich mit den Typologien und Strukturen politischer Gewalt bereits intensiv befasst, Ereignisse und Abläufe, Akteure und Gruppierungen eingehend untersucht und auch zunehmend profunde Einzelbiografien über Teilnehmer der „gebremsten Revolution“ (Heinrich August Winkler) und der fehlgeschlagenen Gegenrevolution vorgelegt.2 Der hintergründigen prototypischen Figur des Konterrevolutionärs Waldemar Papst (1880-1970) hat nun der Sozialwissenschaftler Klaus Gietinger eine voluminöse und detailfreudige, farbige und faktenreiche Biografie gewidmet. Wie so oft, wenn ein Außenseiter der historischen Zunft trotz seiner unbestreitbaren hohen Meriten um filmische und andere Aufdeckungen sich zeitgeschichtlicher Vorgänge annimmt, wird das Ergebnis zunächst oder vornehmlich an dem dabei zutage getretenen polemischen Furor und einer Nomenklatur gemessen, die mit dem Begriff „völkische SPD“ z. B. nicht mit der Linie und den Ergebnissen der heutigen historischen Forschung zur völkischen Bewegung übereinstimmt. Dabei kann dann in der kritischen Bewertung vorschnell der eigentliche geschichtliche und rechtsgeschichtliche Ertrag in den Hintergrund geraten. Er ist hier keineswegs gering zu schätzen. Gietinger, bekannt geworden als Drehbuchautor und Filmregisseur, aber auch durch seine filigrane Rekonstruktion des Mordes an Rosa Luxemburg (s. Gietinger in: IWK H.3, 1992, S.319-373), hat damit die unvollendet gebliebene Arbeit der Historikerin Doris Kachulle erfolgreich fortgesetzt.3
Pabst kann als eine wesentliche, wenn nicht gar als die zeitweilige Schlüsselfigur der deutschen Konterrevolution gesehen werden. Als Hauptmann ist der Erste Generalstabsoffizier der Garde-Kavallerie-Schützendivision verantwortlich für die Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht. Er wirkt maßgeblich am Kapp-Lüttwitz-Putsch von 1920 mit, avanciert nach seiner Flucht in Österreich zum Leiter der dortigen Heimwehren , engagiert sich für einen europäischen Faschismus und steigt trotz einer gewissen anfänglichen taktisch-strategischen Distanz zur NSDAP von rechts in der deutschen Rüstungsindustrie auf. Als Manager und Waffen- und Materiallieferant vermag er sich im 2. Weltkrieg rechtzeitig in die Schweiz abzusetzen, um nach einem zeitlichen Intervall im Deutschland der späteren fünfziger Jahre als erfolgreicher Lobbyist und Waffenhändler zu reussieren. Seine von Gietinger erstmals im Zusammenhang dicht erzählte Lebensgeschichte ist zugleich eine Geschichte der gerichtlich zu keinem Zeitpunkt aufgearbeiteten Ermordungen Liebknechts und Luxemburgs. Wolfram Wette hat in seiner brillanten und kritischen Biografie Noskes bereits den Vertuschungs- und Justizskandal ebenso minutiös analysiert wie die dubiosen, engen und unheiligen Verstrickungen des Reichswehrministers in die ebenso machtpolitisch raffinierten Machenschaften Pabsts. Der Mord und seine Nachgeschichte waren über den Kriminalfall hinaus eminent politische Ereignisse. Die Taten sind nicht zu sehen, wie das Sebastian Haffner formuliert hat, als „Kampfhandlung im Bürgerkrieg“, sondern symbolisch wurde vielmehr die Revolution erschlagen.4 Das skandalöse Feldkriegsgerichtsurteil der von Pabst befehligten Division wird von Noske nicht verworfen, sondern bestätigt, und es war im Abstand von 10 Jahren keine zufriedenstellende Kompensation, dass ein Berliner Schöffengericht 1929 dem mittlerweile zum Reichsanwalt emporgestiegenen Jorns bescheinigte, den Mördern 1919 im Ermittlungsverfahren Vorschub geleistet zu haben. In Gietingers Werk, das weder den ausgeprägten Sinn für bildhafte Szenen und noch für politisch passionierte Sprache verleugnet, sondern zum kritischen Nutzen des Kenners der bisherigen historischen Forschung weidlich auslebt, wird auch die Rolle Noskes und Pabsts bei der Niederschlagung der Bayerischen Räterepublik präzise beschrieben. Mit welchen Mitteln schließlich Pabst - obwohl einer der Rädelsführer des Kapp-Putsches – seine Amnestierung erreichte, liegt allerdings auf einer politischen Vertuschungs- oder Befriedungs-Linie, die dem Amnestiegesetz insgesamt zugrunde lag und von fast allen Reichstagsparteien befürwortet wurde. Dass der um Helfer und Sympathisanten selten verlegene, geflüchtete und nunmehrige militärische Kopf der Tiroler Heimwehr dann bald als bezahlter Informant für Stresemann zu fungieren vermochte, bevor er sich wiederum primär dem Projekt einer faschistischen Internationale verschrieb, gehört zu den weiteren erprobten opportunistischen Zickzacklinien eines profitablen Lebensweges, der ihn am Anfang der dreißiger Jahre ins Zentrum der deutschen Rüstungsindustrie, zu Rheinmetall, führte. Illegale staatliche Aufrüstung, Reichswehr und Rheinmetall profitierten ebenso wie der Putschist Pabst selbst von seinen politischen und geheimdienstlichen Kontakten.
Es ist das unbestreitbare Verdienst Gietingers, die in den verschiedensten historisch-politischen Konstellationen wirksame Programmatik und Organisationskraft Pabsts, die auf eine großangelegte „Weiße Internationale“ hinauslief, mit allen ihren personellen Netzwerken und ausgedehnten politischen Sympathisanten, Helfern und Verbündeten offen gelegt zu haben. Der Weg von der konterrevolutionären Soldateska zum Rüstungsmanager und Wehrwirtschaftsführer im Dritten Reich ist dem umtriebigen Organisator dank alter und neugeschaffener Beziehungen und trotz einer möglicherweise 1934 gefährdeten Position letztlich leicht gefallen. Sein Weg aus der Schweiz ins Nachkriegsdeutschland des Kalten Krieges führt zu Verbindungen, die, über die Grenzen der Rechtsstaatlichkeit weit hinausgehend, als geradezu unglaubwürdig oder bestenfalls als skurrile Fußnoten der Historie zu bezeichnen wären, würden sie hier nicht zweifelsfrei belegt. Die Rolle Pabsts als politisch nützlicher Informant Nollaus im Jahre 1959, damals Leiter des Bundesamts für Verfassungsschutz, zählt dazu und ebenso sein rechtlich nie verfolgtes Geständnis, man habe „Luxemburg und Liebknecht dasjenige Ende finden lassen, mit dem jeder Führer einer Revolution im Verlauf von Straßenkämpfen zu rechnen hat“, ein normaler Rechtsweg sei nicht durchzuführen gewesen, „zu einem sofortigen Entschluss“ sei man gezwungen worden.
Von rechtshistorischen Belang für schwierige Erinnerungskultur und die Grenzen der „Bewältigung von Vergangenheit“ erwies sich das Verfahren um das Fernsehspiel des Süddeutschen Rundfunks von 1969 zum Jahrestag der Ermordung. Hermann W. Souchons, der nach allen historischen Erkenntnissen auf Befehl Pabsts Rosa Luxemburg 1919 erschoss. Pabst verlangte 50 Jahre danach gerichtlich vom SDR in Stuttgart die Unterlassung, ihn als mitschuldigen Mörder zu benennen. Der Autor Dieter Ertel und der SDR mussten in der „Tagessschau“ das widerrufen, was sich trotz einer Fülle von Beweisen nach Ansicht des Landgerichts Stuttgart im Jahre 1970 angeblich nicht beweisen ließ: das Mordkomplott unter der Führung Pabsts und mit Souchon als dem willfährigen Handlanger.5 Justiz und Geschichte haben nicht zum ersten Male in ihrem Urteil unbegreifliche Widersprüche offenbart.
Gietinger nennt Pabst nicht zu Unrecht eine Figur mit einer „ungeheuerlichen Biografie“. In diesem scharf umrissenen Kontext ist für ihn Noske ein williger Befehlshaber, und gilt die Ermordung der Revolutionsführer als „Geburtsstunde des deutschen Faschismus“. Pabst wird letztlich für den Misserfolg des Kapp-Putsches verantwortlich gemacht. Gietinger charakterisiert ihn trotz dieses Moments der Schwäche insgesamt als glänzenden Stabsoffizier, Geheimdienstler, begabten Netzwerker und minutiösen Planer, als Nutznießer und Akteur der NS-Aufrüstung, dessen ideologisch unveränderte Rechnung nach 1945 im internationalen Waffenhandel nun allerdings nur noch finanziell und nicht mehr politisch aufging. Das archivalisch auf breitester Basis belegte Werk zeigt in ähnlicher Weise wie Susanne Meinls bedeutende Studie über Entstehung und Entwicklung des Verschwörerkreises aus dem „old-boy-network“ früherer Freikorpskämpfer um Friedrich Wilhelm Heinz6, die gleichfalls in der Weimarer Zeit als Terroristen, im NS-Regime als Parteigänger und in der scheinbar unübersichtlichen Nachkriegszeit noch Karriere machten, dass in diesem teilweise unbeackerten, jedenfalls aber verminten historiographischen Niemandsland es möglich sein kann, scheinbar ungelöste oder immer wieder neu zu stellende historische Fragen mit bohrendem Interesse und unermüdlicher Leidenschaft, mit wichtigem neuem Material und veränderten Perspektiven zu beantworten.6
Düsseldorf/Freiburg Irmtraud Götz von Olenhusen/Dr. jur. Albrecht Götz von Olenhusen
1 Lederer, Emil, Soziologie der Gewalt. Ein Beitrag zur Theorie der gesellschaftsbildenden Kräfte, in: Soziologische Probleme der Gegenwart, hg. v. Lederer, Emil,. Berlin 1921, S. 16.
2 S. Heinrich August Winkler: Weimar 1918-1933. Die Geschichte der ersten deutschen Demokratie. München 1998;.
3 S.
Kachulle, Doris, Waldemar Pabst und die Gegenrevolution. Vorträge, Aufsätze aus
dem Nachlass. hg. v. Roth, Karl Heinz. Berlin 2007.
4 Wette, Wolfram, Gustav Noske. Eine politische
Biographie, Düsseldorf 1987, S. 308ff.
5 Dokumentation des SDR des Verfahrens Souchon / SDR , Bausch und Ertel 1969-1975.
6 Meinl, Susanne, Nationalsozialisten gegen Hitler. Die nationalrevolutionäre Opposition gegen Hitler, Berlin 2000.