Friedrich, Wolfgang, Territorialfürst und Reichsjustiz. Recht und Politik im Kontext der hessischen Reformationsprozesse am Reichskammergericht (= Ius ecclesiasticum 83). Mohr (Siebeck), Tübingen 2008. XV, 417 S. Besprochen von Bernd Schildt.

 

Die vorliegende Arbeit hat der juristischen Fakultät der Eberhard-Karls-Universität Tübingen im Winter 2005 als Dissertation vorgelegen. Die Arbeit behandelt in sechs Teilen den Territorialisierungsprozess in der Landgrafschaft Hessen vor dem Hintergrund der Säkularisierung des Kirchenguts im Rahmen der Reformation des 16. Jahrhunderts. Konkret geht es um eine Reihe von Prozessen geistlicher Institutionen gegen den Landesherrn – Landgraf Philipp, einer zentralen Persönlichkeit der Reformationsbewegung – vor dem Reichskammergericht. Die wenigen an das Gericht in Speyer gelangten Prozesse stammten aus den mit besonderen Privilegien ausgestatteten Klöstern Haina und Kaufungen.

 

Die beiden ersten Teile – Reformbestrebungen in Hessen im 15. und frühen 16. Jahrhundert sowie die Einführung der Reformation in Hessen – haben nicht nur einleitenden Charakter, sondern bereiten den Boden für die folgenden Kapitel, in denen der Verfasser sich – eingebettet in den zeit- und landesgeschichtlichen Kontext – den hessischen Reformationsprozessen zuwendet. Wolfgang Friedrich macht dabei deutlich, dass der sich in den Reformationsprozessen äußerlich niederschlagende Kampf um die Kirchenhoheit vor dem Hintergrund der seit dem Spätmittelalter nachweisbaren Auseinandersetzungen zwischen Hessen und Kurmainz um die territoriale Vorherrschaft in der Region zu sehen ist. Unterschieden werden drei Phasen: 1. die Neuordnung des Kirchenwesens bis zum Augsburger Reichstag von 1530, 2. die Verteidigung im „rechtlichen Krieg“ gegen die Tätigkeit des Reichskammergerichts bis zu den Jahren 1540/41 und 3. schließlich die Bemühungen um die formale Anerkennung der Ergebnisse der Reformation und damit letztlich die Legitimation der hessischen Kirchengüterpolitik.

 

Der Verfasser erkennt im Reichsabschied von 1530 die Grundlage für den „rechtlichen Krieg“. Sicher wird man ihm insoweit folgen können, als er in der konfessionell geprägten Inanspruchnahme des Reichskammergerichts eine Instrumentalisierung des Gerichts in der Religionsfrage sieht. Gleichwohl scheint es fraglich, ob die daraus gezogene Schlussfolgerung, dass damit das Gericht seine friedenswahrende Funktion verloren habe, in dieser apodiktischen Konsequenz wirklich zutreffend ist (S. 346). Fraglich scheint auch, ob man davon sprechen kann, dass „über die Vollstreckung der Urteile“ des höchsten Reichsgerichts wirklich eine Legitimation des Religionskrieges „auf der Basis des Landfriedensrechts“ erfolgte. Zu bedenken ist in diesem Zusammenhang immerhin, dass Reichsverfassung und Reichsjustiz seit Jahrhunderten von der Glaubenseinheit innerhalb des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation ausgingen, die mit der von mächtigen Landesfürsten gestützten lutherischen Reformation nunmehr aber in ihren Grundfesten erschüttert worden war. Das personell katholisch dominierte Reichskammergericht urteilte aber geradezu zwangsläufig (zunächst noch) auf der Basis der alten, überkommenen Rechtsordnung; insoweit musste letztlich der Versuch scheitern, theologische Differenzen rechtsförmig vor dem höchsten Reichsgericht klären lassen zu wollen. Daran änderte auch der Umstand nichts, dass die Protestanten grundsätzlich die Gültigkeit des kanonischen Rechts nicht in Zweifel zogen, da die unterschiedlichen konfessionellen Sichtweisen zwangsläufig zu unterschiedlichen Interpretationen des Kirchenrechts führen mussten.

 

Der Verfasser macht deutlich, dass der Versuch der katholischen Partei, den Schutz der Kirche vor Säkularisierung und Verlust ihrer Kirchenhoheit mittels des weltlichen Instruments des Landfriedens zu sichern, zum Scheitern verurteilt war. Maßgeblich dafür war weniger eine mangelhafte rechtsdogmatische Untermauerung katholischer Positionen als vielmehr eine Reihe gravierender Mängel bei der Durchsetzung der Entscheidungen des Reichskammergerichts.

 

Deutlich wird ferner, dass trotz der Niederlage der protestantischen Partei im Schmalkaldischen Krieg die katholische Partei insgesamt wenig Nutzen aus dieser Niederlage ziehen konnte. Die Ergebnisse des Augsburger Religionsfriedens haben auch und gerade in Hessen zu einer endgültigen Absicherung des reformatorischen Territorialisierungsprozesses geführt. Der „rechtliche Krieg“ war gescheitert – Ausbau der Landesherrschaft und Verbreitung des evangelischen Glaubens konnten von nun an (nicht nur in Hessen) nicht mehr mit Mitteln des Reichsrechts und der Reichsjustiz bekämpft werden. Der Verfasser betont allerdings zu Recht, dass der „rechtliche Krieg“ insoweit Langzeitwirkung entfaltet hatte, als er nicht nur radikale Brüche verhinderte, sondern zugleich legitimierend auf die künftige konfessionelle Territorialverfassung hinwirkte.

 

Wolfgang Friedrich hat mit der vorliegenden Druckfassung seiner Dissertation einen überaus kenntnisreichen und überzeugenden Beitrag zur Analyse des historischen Spannungsfeldes zwischen der sich seit dem Spätmittelalter herausbildenden Territorialstaatlichkeit und der sich parallel dazu formierenden Reichsjustiz vorgelegt.

 

Bochum                                                                                  Bernd Schildt