Franke, Bernd, Sklaverei und Unfreiheit im Naturrecht des 17. Jahrhunderts (= Sklaverei Knechtschaft Zwangsarbeit 5). Olms, Hildesheim 2009. XII, 337 S. Besprochen von Gunter Wesener.
In seiner Trierer rechtswissenschaftlichen Dissertation untersucht der Verfasser die Frage, wie die geistigen Väter der Aufklärung die Freiheit, damit aber auch die Sklaverei als stärkste Form der Unfreiheit, verstanden haben (S. 10f.). Er prüft die Ansichten von fünf Naturrechtsphilosophen, Francisco Suárez, Hugo Grotius, Thomas Hobbes, Samuel von Pufendorf und John Locke. Für die Auswahl war dabei entscheidend, ob und in welchem Maße das Problem der Sklaverei und Unfreiheit behandelt wurde. Es geht hierbei „um theoretische Rechtfertigungsmodelle der Sklaverei auf einer naturrechtlichen Ebene“ (S. 11).
Bei jedem der fünf Juristen gibt der Verfasser zunächst einen Überblick über Leben und Werk sowie eine Darstellung der Rechtslehre desselben. Erst dann geht er auf ihre Einstellung zur Unfreiheit und Sklaverei ein.
Francisco Suárez (1548-1617) als letzter großer Vertreter der spanischen Spätscholastik steht in jener Tradition rechtsphilosophischen Denkens, deren Wurzeln bei Augustinus und Thomas von Aquin liegen. Die Annahme einer „natürlichen Sklaverei“, wie sie von Aristoteles vertreten wurde, lehnt er entschieden ab. Er zieht allerdings nicht den Schluss, die Unfreiheit als naturrechtswidrig zu bewerten bzw. in ihr ein ethisches Übel zu erblicken (S. 63). Die Sklaverei verstoße nicht gegen die Grundsätze des Naturrechts. Es müsse allerdings ein Rechtfertigungsgrund, ein „gerechter Rechtstitel“, vorliegen (S.50ff., 63). Als solcher komme neben der freiwilligen Unterwerfung die Kriegsgefangenschaftsversklavung in Frage, die freilich nur dann als rechtmäßig gilt, wenn auch der Krieg als gerecht anzusehen ist (S. 54ff.). Suárez äußerte sich auch zu der im Rahmen der spanischen Kolonialisierung erfolgenden Versklavung südamerikanischer Indios (S. 58ff.). Weder Ungläubigkeit noch Götzendienst können seiner Ansicht nach einen Herrscher zum Einschreiten berechtigen (S. 60).
Der niederländische Jurist Hugo Grotius (1583-1645)[1], Begründer des neueren Naturrechts und Völkerrechts, folgt in seiner Lehre von der naturrechtlichen Zulässigkeit der Sklaverei weitgehend der Rechtsideologie von Suárez (S. 93f.). Er verlangt einen spezifischen Rechtstitel; als solcher kommt in Frage die freiwillige Unterwerfung (S. 95ff.), eine unerlaubte Handlung und schließlich Begründung durch Zeugung und Geburt. Die größte praktische Bedeutung kommt nach Grotius der unerlaubten Handlung zu. Im innerstaatlichen Bereich erlaubt ein entsprechendes Gerichtsurteil die Versklavung. Der einen Krieg gerecht führende Staat darf die Gefangenen in die Sklaverei führen. Privatrechtlich entspricht die Stellung der Sklaven noch durchaus dem römischen Recht (S. 122f.), doch zeigt sich eine gewisse Humanisierung. Interessant ist der Vergleich der Sklaven mit dauernden Lohnarbeitern (S. 123).
Der englische Staatstheoretiker Thomas Hobbes (1588-1679) fordert die Abkehr von der aristotelischen Philosophie und die Übertragung einer naturwissenschaftlich-methodischen Vorgehensweise auf die Bereiche der Staats- und Moralphilosophie (S. 137). Er geht davon aus, dass eine legitime Ungleichheit unter den Menschen im Urzustand völlig unbekannt war. Wie schon Suárez lehnt er die Lehre des Aristoteles, dass es Sklaven von Natur gebe, ab. Herrschaft und Unterwerfung werden von Hobbes zu typisch gesellschaftlichen Errungenschaften erklärt, die erst mit bzw. nach der Gründung des Staatswesens entstehen (S. 162). Die rechtmäßigen Gründe für die Entstehung von Herrschaft und Sklaverei entsprechen weitgehend denen von Grotius angeführten: ein Unterwerfungsvertrag (freiwillige Selbstunterwerfung), Kriegsgefangenensklaverei und Herrschaft durch Zeugung Schwach ausgebildet sind bei Hobbes die Rechte des Sklaven. Der Verfasser vertritt den Standpunkt (S. 191), dass die humanitären Errungenschaften eines Grotius bei Hobbes „zugunsten des Primats der gesellschaftlichen Stabilität“ weitgehend wieder verloren gingen.
Das Naturrecht Samuel von Pufendorfs (1632-1694) kennzeichnet der
Verfasser (S. 220) mit den Worten „Rationalismus, Säkularisierung und
Individualisierung“. Die rationale Erkenntnis der eigenen angeborenen imbecillitas, des menschlichen
Unvermögens, allein zu überleben, zwinge den Menschen zu einem geselligen
Leben. Der Mensch sei von Natur aus
ein soziales Wesen. Aus der naturrechtlichen Gleichheit folge die naturrechtliche
Freiheit aller Menschen. Da die Natur alle Menschen gleich geschaffen habe,
müssen auch alle als von Natur frei angesehen werden. Rechtmäßige
Herrschaftsverhältnisse können auf Grund freier, vertragsmäßiger Unterwerfung
begründet werden (S. 230f.). Pufendorf anerkennt aber auch die Bedeutung der
Kriegsgefangenensklaverei (S. 231ff.). Differenziert ist Pufendorfs Stellung
zur Frage der Sklavenkinder (S. 235ff.). Pufendorf betrachtet Sklaven, so wie
Grotius, als immerwährende Tagelöhner. Mit Pufendorf erlangt die Sklaverei
wieder eine humanere Ausrichtung. Der Verfasser (S. 247) sieht Pufendorfs Bild
vom Naturrecht als eine Synthese der Konzeptionen Grotius’ und Hobbes’.
Der englische Aufklärungsphilosoph John Locke
(1632-1704) gilt als Begründer des modernen freiheitlichen Rechts- und
Verfassungsdenkens. Sklaverei und Herrschaftsverhältnisse nehmen in Lockes’
naturrechtlichem und staatsrechtlichem Denken einen überaus wichtigen
Stellenwert ein (S. 288). Locke vertritt die natürliche Freiheit und Gleichheit
aller Menschen (S. 289). Er tritt entschieden gegen die freiwillige
Selbstunterwerfung, die Selbstversklavung auf (S. 291ff.). Wohl aber anerkennt
er in eng begrenzten Fällen eine „Sklaverei durch Verwirkung“, in Fällen, in
denen sie als gerechte Sanktion einen Ersatz für die Todesstrafe darstellt (S.
295f.). Ob ein Kriegsgefangener versklavt werden darf, hängt davon ab, ob ihm
ein Anteil am Unrecht des Krieges nachgewiesen werden kann (S. 298). Die
Zulässigkeit der Sklaverei ist Locke zufolge auf wenige Fälle beschränkt.
Eine instruktive Gesamtzusammenfassung beschließt die Arbeit (S. 309ff.). Der Verfasser konnte zeigen, dass zwar im 17. Jahrhundert die Ansicht Aristoteles’, die Natur kenne den „geborenen“ Sklaven, abgelehnt wurde, dass aber die Sklaverei vom Naturrecht in bestimmten, eng begrenzten Fällen legitimiert wurde. Der Verfasser hat mit seiner Untersuchung das Verhältnis des Naturrechts zur Sklaverei anhand der Analyse der Rechtslehren von fünf bedeutenden Juristen bzw. Naturrechtsphilosophen in entscheidender Weise geklärt.
Graz Gunter Wesener
[1] Vgl. nun auch B. Straumann, Hugo Grotius und die Antike. Römisches Recht und römische Ethik im frühneuzeitlichen Naturrecht (Baden-Baden 2007).