Fleischhauer, Markus, Der NS-Gau Thüringen 1939-1945. Eine Struktur- und Funktionsgeschichte (= Veröffentlichungen der historischen Kommission für Thüringen, Kleine Reihe 28). Böhlau, Köln 2009. 403 S. Besprochen von Gerhard Köbler.
Die Arbeit ist die von Jürgen John betreute, 2009 von der philosophischen Fakultät der Universität Jena angenommene Dissertation des Verfassers. Sie geht davon aus, dass für die vom Nationalsozialismus geprägte Zeit des Deutschen Reiches lange besondere regionale Entwicklungen vernachlässigt und zudem die regionalen Gliederungen hauptsächlich als Parteiherrschaften erfasst wurden. Dem will er mit seiner Studie abhelfen.
Zu diesem Zweck gliedert er seine im Wesentlichen chronologisch geordnete Untersuchung in fünf Teile. Dabei beginnt er im Rahmen der gesamten Einteilung des Reiches in Gaue mit dem Gau Thüringen bis 1939. Danach konzentriert er sich auf Thüringen als Evakuierungs- und Verlagerungsgau, auf den Gau Thüringen von 1939 bis 1942, den Gau Thüringen von 1942 bis 1945 und die kriegswirtschaftlichen Mobilisierungsstrategien der Rüstungsdienststellen in Thüringen.
Im Ergebnis erweist er, dass mit dem in Hassfurt am 27. Oktober 1894 als einziger Sohn eines Postbeamten und einer Näherin geborenen, mit 15 Jahren das Gymnasium ohne Abschluss verlassenden, nach dem ersten Weltkrieg sich antisemitisch orientierenden, ärmlich lebenden, 1923 der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei beitretenden, 1925 zum Gaugeschäftsführer, 1927 zum Gauleiter, am 26. August 1932 zum Staatsminister des Inneren und am 5. 5. 1933 zum Reichstatthalter in Thüringen aufsteigenden, sich selbst nur als pflichtbewusst und niemals grausam einschätzenden, gleichwohl 1946 jedoch als Kriegsverbrecher hingerichteten Fritz Sauckel ein besonders durchsetzungsfähiger und organisatorisch geschickter Mann die Leitung des Gaues innehatte. Ihm gelang es, ein Gauführungskorps aus Staate und Partei, Wirtschaft und Wehrmacht einzurichten, das sowohl konfliktfähig wie auch leistungsfähig war. Sauckels ideologische Überzeugung, machtorientierte Durchsetzungsfähigkeit und zielorientierte Kooperationsfähigkeit bewirkten letztlich eine weitgehende Verselbständigung des Gaues.
Dementsprechend bildeten Nationalsozialismus und thüringische Gesellschaft keine Gegensätze. Vielmehr erreichte der Nationalsozialismus eine tiefe Verankerung in der Gesellschaft, wobei der Verfasser die Frage nach der diesbezüglichen Verantwortung als noch nicht zureichend beantwortet sieht. Insgesamt bietet der Verfasser überzeugend eine umfassende, neueren Ansätzen verpflichtete Funktionsgeschichte seines besonderen Forschungsgegenstands.
Innsbruck Gerhard Köbler