Die Goldene
Bulle. Politik - Wahrnehmung - Rezeption, hg. v. Hohensee, Ulrike/Lawo,
Mathias/Lindner, Michael u. a., 2 Bände (= Berichte und Abhandlungen,
Sonderband 12). Akademie Verlag, Berlin 2009. 1-550, 551-1249 S., Abb.
Besprochen von Karsten Ruppert.
Die
zu besprechenden 2 Bände sind das Ergebnis einer internationalen Tagung über die Goldene Bulle von 1356, die
im Herbst 2006 von der Arbeitsstelle der Monumenta Germaniae Historica an der
Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften ausgerichtet wurde. 24 der
abgedruckten Beiträge sind damals vorgetragen worden, 10 und eine
Zusammenfassung wurden nachgereicht. Anlass für diese wissenschaftliche
Großveranstaltung war sowohl das Faktum, dass sich die Proklamation der
Goldenen Bulle zum 650. Mal jährte, als auch der Abschluss der Reihe „Constitutiones
et acta publica imperatorum et regum“ der Leges-Abteilung der MGH. Die
Herausgeber / Veranstalter betonen aber darüber hinaus, dass sie auch ein seit
Jahrzehnten schwaches Interesse der Forschung an dem Gegenstand angetrieben
habe. Das gilt für das Verfassungswerk bedingt, für die Epoche, die in diesen
Bänden ebenfalls breit behandelt wird, kaum. Hier wird vieles wiederholt, was
seit dem 600. Todestag von Karl IV. im Jahre 1978 vorgelegt worden ist. Die
Wucht der so zustande gekommen 1200 Seiten, die opulente Ausstattung und die
zahlreichen Abbildungen unterstreichen den Anspruch eines Standardwerks. Der
Gegenstand, die „Goldene Bulle“, ist dem würdig;
war sie doch eines der sogenannten „Grundgesetze“ des Alten Reiches, das 450
Jahre, wenn auch teils geändert und in wechselnder Handhabung in Geltung war.
Die
Beiträge sind in vier Abteilungen zusammengefasst. Die erste erfüllt die durch
die Überschrift „Kaiser und Reich im 14. Jahrhundert“ geweckten Erwartungen nur
begrenzt. Denn ihr Schwergewicht liegt auf den Einflüssen auf und den
Voraussetzungen für die Goldene Bulle. Dabei werden die gesetzgeberischen
Vorarbeiten Ludwigs des Bayern vor allem deswegen nachdrücklich
herausgestrichen, weil sie durch dessen Konflikt mit dem Papst und das Bemühen
Karls, die Leistungen seines verhassten Vorgängers zu vertuschen, auch in der
Forschung noch zu wenig gewürdigt werden. Mehr beachtet wurde hingegen der
Einfluss des römischen Rechts, doch ist der Hinweis Dietmar Willoweits
erhellend, dass aus diesem vor allem solche Prinzipien übernommen wurden, die
sich in das zeitgenössische Rechtssystem gut einfügten. Einig sind sich die
Autoren darin, dass das Gesetzeswerk als ein komplexer Kompromiss zwischen
Kaiser und Fürsten, entstanden aus aktuellen Problemlagen, verstanden werden
muss - dass er dennoch so lange stabilisierende Wirkung zeitigte, ist ein
Faszinosum, vom dem einige Aufsätze erfasst sind. Dass der Ausgleich mit den Fürsten
für Karl nicht das einzige Motiv war, wird ebenfalls klar. Ihm ging es auch
noch darum, seine Souveränität gegenüber dem Papst zu behaupten und sich mit
der Aura des Gesetzgebers und Friedensstifters zu umgeben.
Die Studien zu „Inszenierung und Repräsentation“
enthalten im Vergleich mit den vorhergehenden sowohl in Gegenstand als auch
Methode ein größeres innovatives Potenzial. Sie sind nicht nur einem neu
erwachten kulturgeschichtlichen Interesse zu verdanken, sondern finden ihre
Rechtfertigung in der Goldenen Bulle selbst, die ja breite Passagen zum
Zeremoniell enthält, und im Selbstverständnis einer ständisch geprägten Zeit.
Doch beschäftigen sich die wenigsten Beiträge direkt mit der Inszenierung der
Königswahl und wenn, dann werden die Überlegungen durch transkulturelle
Vergleiche vertieft. Vielmehr wird das ganze Tableau der Formen von
Herrscherrepräsentation abgeschritten: von den bildlichen Darstellungen über
die Grablege bis hin zur Literatur. Selbstverständlich befasst sich ein Beitrag
auch mit dem seit je mit Karl IV. verbundenen Reliquienkult. Dabei ist die
Unterscheidung zwischen dem Verhältnis des Individuums Karl zu dieser Art von
Heiligenverehrung und dem, was der Kaiser als Staatskult inszenierte,
sicherlich weiterführend. Die numismatische Frage nach dem Herrscherwillen des
jeweiligen Münzherren fördert das interessante Ergebnis zutage, dass die
Kurfürsten ihre besondere Rolle für das
Reich erstaunlich lange auf den Münzen nicht hervorhoben. Die diplomatische Untersuchung
der lateinischen, deutschen und tschechischen Urkundensprache in Deutschland
und Böhmen fügt sich in diesen Komplex allerdings nur schwer ein. Einige Texte dieses Abschnittes wie auch der anderen
entfernen sich überhaupt recht weit vom zentralen Thema. Insofern entgeht auch
dieser Sammelband nicht der Problematik solcher Unternehmungen, dass nämlich
die Beiträger eher das präsentieren, was gerade in der Schublade parat liegt
und wenig zur Erhellung der aufgeworfenen Fragen beiträgt.
Diesen Eindruck vermitteln nicht zuletzt
die Untersuchungen der dritten Abteilung über „Das Reich und seine Nachbarn“.
Hier kann man manche Aufsätze nur dann noch zum Thema zählen, wenn die Goldene
Bulle als repräsentativ für das Reich Karls IV. genommen wird. Zweifellos ist
die Einbettung eines Problems in einen breiten Zusammenhang erhellend, zumal
hier öfters umfangreiche eigene Forschungen prägnant zusammengefasst werden,
doch lässt sich das Empfinden einer Diskrepanz zwischen dem Umfang dieser
Abteilung und dem verfassungsgeschichtlichen Erkenntnisertrag nicht ganz
verdrängen. Statt dessen erfährt man viel über das außenpolitische Geflecht, in
dem Karl agierte, wie über das diplomatische Personal und die Mittel
(Herrschertreffen, Heiratspolitik, Bündnisse), deren er sich bediente - und wiederum
manches über das damit verbundene Zeremoniell. Die Reichsrepräsentanz in
Italien wie Karls Gesetzgebung in Böhmen finden ebenfalls Berücksichtigung.
Näher an das Thema kommen Überlegungen zur Rolle der Goldenen Bulle im Rahmen
vergleichbarer europäischer Fundamentalordnungen und die Blicke auf das Erb- und Wahlrecht im Ausland. Der bisher kaum beachteten
Frage, warum das Gesetzeswerk in Metz promulgiert wurde, wird eingehend
nachgegangen.
Die
vom Umfang her schmalste Abteilung „Rezeption
und Wirkung“ ist dennoch ertragreich. Der Aufsatz Claudia
Garniers, der sich der Wahrnehmung der Goldenen Bulle durch die Zeitgenossen in
der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts widmet, hätte besser hierher gehört,
zumal dann Eberhard Holtz mit seiner Untersuchung, wie der Habsburger Friedrich
III. und die Kurfürsten in den Konflikten seiner langen Regierungszeit mit dem
Gesetz umgegangen sind, unmittelbar hätte daran anschließen können. Tiefer
hätte er dringen können, wenn er die Fälle, in denen man ihm folgte und die, in
denen man es umging, mehr aus dem zeitgenössischen Rechtsdenken interpretiert
hätte. Arno Buschmann gelingt es zu zeigen, dass die Kommentare, welche
die Reichspublizistik der folgenden Jahrhunderte hervorgebracht hat, immer noch
mit Gewinn herangezogen werden können. Eine in einem solchen Sammelband gar
nicht zu erwartende wissenschaftliche Grundlagenforschung bieten Marie-Luise Heckmann und Mathias
Lawo durch eine Typologisierung der Verbreitungsformen der Goldenen Bulle,
durch eine Übersicht über das Verbreitungsgebiet wie die Phasen von deren
Rezeption. Dem folgt eine Liste von Abschriften des Textes in Latein und in den verschiedenen europäischen
Volkssprachen. Nach so viel Positivismus entspannt man sich gerne mit einem
Essai über Goethes Wahrnehmung des Gesetzestextes.
Die Summe eines so
umfangreichen und komplexen Werkes zu ziehen, ist nicht leicht. Zumal die
Zusammenfassung Johannes Helmraths dabei keine Hilfe ist. Sie löst die durch
ihren Titel „Das Reich 962 - 1356 - 1806“ geweckte Erwartung, die Goldene Bulle
in der Verfassung des Alten Reiches zu verorten, noch nicht einmal im
Ansatz ein; sie ist nicht mehr als eine Sammlung wenig systematisierter
Impressionen. Die beiden Prachtbände haben die Forschung des 20. Jahrhunderts
zur Goldenen Bulle alles in allem nicht überholt, dafür aber deutlich
erweitert. Hinsichtlich der thematischen Breite, der Fragestellungen und vor
allem der Methoden ist der Gegenstand wohl noch nie so vielfältig in
kulturell-politischem Kontext und europäischer Perspektive behandelt worden.
Eine neue Dimension eröffnen vor allem die kulturgeschichtlichen Beiträge.
Freilich geht diese Breite, vielleicht mehr als nötig, auf Kosten der inneren
Kohärenz. Gerade weil man sich um Vielfalt und Breite bemüht, fällt auf, dass
eine zentrale Forschungsfrage, nämlich die, wie und warum einige Fürsten
Kurfürsten wurden, andere aber nicht, überhaupt nicht gestellt wird. Weiterhin
ist es schon erstaunlich, in welchem Umfang die klassische Verfassungs- und
Rechtsgeschichte dem „cultural turn“ des Faches zum Opfer gefallen ist.
Eichstätt Karsten
Ruppert