Darnstädt, Thomas, Der globale Polizeistaat - Terrorangst, Sicherheitswahn und das Ende unserer Freiheiten. Deutsche Verlags-Anstalt/Spiegel-Buchverlag, Hamburg/München 2009. 346 S. Besprochen von Werner Augustinovic.

 

Unsere Freiheit ist in Gefahr. Und die, die ihr ans Leder gehen, tragen exotische Namen: „Schmittianer“ und „Bushies“.

 

Was sich wie die Promotion für einen Science-Fiction-Schocker liest, ist der Sukkus der Botschaft, die Thomas Darnstädt auf knapp 330 Textseiten nahebringen will. Doch was vermag solch ein Buch, mehr journalistisch denn streng wissenschaftlich im Auftritt, das sich mit Schwergewicht aktuellen und zukünftigen Entwicklungstendenzen unserer Gesellschaft widmet, für die Rechtsgeschichte zu leisten? Ein Blick in das Namensregister des Bandes deutet Antworten auf diese Frage an, denn neben Thomas Hobbes und Franz Kafka fällt vor allem Carl Schmitt durch mehrfache Erwähnung ins Auge, dessen umstrittene Staatsrechtslehre bis heute ungebrochen in zahlreichen Schriften rezipiert und interpretiert wird (erst unlängst, 2009, hat ihm Reinhard Mehring auch eine umfangreiche Biografie gewidmet) und den der Autor laufend in seine Beurteilung der gegenwärtigen Sicherheitslage einfließen lässt.

 

Sein Grundanliegen formuliert der promovierte Jurist und versierte Publizist des „Spiegel“ mit mehr als einem Vierteljahrhundert Redaktionserfahrung selbst folgendermaßen: In Widerlegung der weithin unwidersprochen gebliebenen Behauptung des deutschen Bundesinnenministers Wolfgang Schäuble, der Staat schütze die Freiheitsrechte der Bürger, wolle er in vier Abschnitten darlegen, „vor welche Herausforderungen die terroristische Bedrohung die Staatenwelt und ihre Rechtsordnungen stellt; wie Amerika (gemeint sind die Vereinigten Staaten; W. A.) und Deutschland bislang versucht haben, diesen Herausforderungen mit ihrem Recht zu begegnen; wie die Staaten versuchen, das Völkerrecht und insbesondere das Kriegsrecht für ein gemeinsames Vorgehen gegen Terroristen umzubauen; welche Konsequenzen und Möglichkeiten sich für ein geordnetes nationales und internationales Vorgehen gegen die terroristische Bedrohung abzeichnen.“ (S. 7f.)

 

Der erste Teil des Buches, „Der Feind“, erhebt die Frage: „Sprengt der Terrorismus die Grenzen des Rechts?“ Der Autor beschreibt die unzureichenden Möglichkeiten, globales terroristisches Handeln mit den Mitteln des innerstaatlichen Strafrechts, des durch die Aufgabe der Gefahrenabwehr konstituierten Polizeirechts und des Völkerrechts zu erfassen, weil sie Umstände und Indizien voraussetzten, die abzuwarten niemand mehr riskieren wolle. Da „der Krieg gegen den Terror … im Grundgesetz nicht vorgesehen“ sei (S. 24), konstatiert Darnstädt in Übereinstimmung mit dem Urteil des Rechtshistorikers Michael Stolleis eine höchst bedenkliche, verstärkt an der Lehre Carl Schmitts orientierte Neigung mancher Politiker und Juristen – erwähnt werden neben anderen Otto Depenheuer und Josef Isensee, vom Verfasser salopp „Schmittianer“ genannt - hin zum Ausnahmezustand und damit zur Demontage der Volkssouveränität zugunsten des sich zum Souverän aufschwingenden, autoritär agierenden Staates. Dem komme entgegen, dass der Terrorismus „die Unterscheidung zwischen dem nur Möglichen und dem Wahrscheinlichen“ außer Kraft gesetzt (S. 55) und damit einer Angsthysterie Tür und Tor geöffnet habe. Daraus entstünde aber eine rechtliche Zwickmühle: „Das, wovor wir Angst haben, meinen wir bekämpfen zu müssen, bevor es sich überprüfbar manifestiert. Das Recht – egal ob Völkerrecht oder Strafrecht – verlangt aber eine Manifestation. Carl Schmitt weist den scheinbaren Ausweg, der in der Entdeckung der Feindschaft liegt. Feindschaft entsteht nicht aufgrund überprüfbarer Ereignisse, sondern kraft politischer Dezision“ (S. 112). Eine solche Rechtsauffassung, die Menschen willkürlich zu Feinden erklärt, habe jedoch dem Holocaust ebenso den Weg geebnet, wie sie nun die internationale Ordnung um Jahrhunderte, in die Zeit vor dem Westfälischen Frieden, zurückwürfe.

 

In dem zweiten, „Das Recht“ betitelten Kapitel wird untersucht, wie sich der Staat gegen den Terrorismus wehren könne. Dem seinerzeitigen Präsidenten George W. Bush dem Jüngeren und seinen Parteigängern, den sogenannten „Bushies“, sei es, beraten von Juristen wie John Yoo, gelungen, konkrete Anlässe wie den Anschlag vom 11. September 2001 dazu zu nützen, das klassische System der „Checks and Balances“ der US-amerikanischen Verfassung rundweg auszuhebeln, „mit dem Import von Kriegsbefugnissen in die innere Rechtsordnung … die Gewaltenteilung“ und „mit der Erweiterung der polizeilichen Gefahrenabwehr auf die anlasslose Prävention … die Gesetzesbindung“ außer Kraft zu setzen und darüber hinaus „mit dem Export von Überwachung in die ganze westliche Welt … die Grenzen der Staatsgewalt über die Grenzen des Staates hinaus ins Unendliche“ zu erweitern (S. 130). Mit Programmen wie „Tangram“ (Ziel: „scheinbar normales“ von „normalem“ Verhalten unterscheiden können), „Hostile Intent“ (Analyse von Mikro-Mimik) und „Fast“ (Erkennung und Auswertung physiologischer Parameter auf Distanz) arbeite man konsequent weiter am „globalen Polizeistaat“. Die Bundesrepublik Deutschland folge bereitwillig mit der Einführung des Lauschangriffs, der Rasterfahndung, des Onlinezugriffs auf Computer, der Sechs-Monate-Vorratsdatenspeicherung der gesamten Telefon- und Mailverbindungen sämtlicher Einwohner, der Freischaltung einer den Geheimdiensten und der Polizei zugänglichen Antiterrordatei und mit den Wünschen nach der prophylaktischen „Internierung von Terrorverdächtigen, Internetverbot, Handyverbot für Gefährder, Tötung von Topterroristen“ (S. 158). Einen „Gefährder“ rechtlich eindeutig zu definieren sei aber nicht möglich, weshalb die genannten Zu- und Eingriffe letzten Endes willkürlich gegen jedermann einsetzbar seien. Die Europäische Union verschärfe diese Lage noch zusätzlich, indem die G-6-Runde der Innenminister vor allem auf britischen Druck hin ein „Einfallstor für Hardlinervorschläge ins europäische und auch ins nationale Recht“ (S. 198) geworden sei, schwarze Listen Verdächtiger mit massiven Konsequenzen für die Betroffenen angelegt würden, „die gegenseitige Anerkennung von Gerichtsentscheidungen, Haftbefehlen und Beweisbeschlüssen … zur Nivellierung der europäischen Rechtsstaatssysteme auf dem jeweils niedrigsten Niveau“ (S. 206) führe und sie sich vertraglich verpflichtet habe, sensible Daten ihrer Bürger ungefiltert an Dritte - wie an die Vereinigten Staaten - weiterzugeben.

 

Damit gerate – so der Verfasser im Untertitel seines dritten, „Der Krieg“ überschriebenen Abschnitts – „ im Kampf gegen den Terrorismus  … die Weltordnung aus den Fugen“. Die Frage, ob dieser Kampf als Kriegseinsatz oder als Polizeieinsatz geführt werde, sei von fundamentaler Bedeutung, „denn die Menschenrechte, die im Völkerrecht mittlerweile vielfältig verankert sind, gelten nur im Frieden, nicht im Krieg“ (S. 264). Darnstädt referiert die der Notwendigkeit, diesem der Quadratur des Kreises gleichenden Dilemma in adäquater Weise beizukommen,  entspringenden unterschiedlichen Bemühungen verschiedener Völkerrechtler. So verlangen Claus Kreß und Lars Mammen nach einer verstärkten Internationalisierung der Terrorismusbekämpfung, zum einen durch den Versuch, „Kriegsvölkerrecht in gebremster Form in Polizeivölkerrecht umzudenken“, zum anderen durch die Idee, „Terrorbanden oder sogar einzelne Terroristen als Völkerrechtssubjekte anzuerkennen“, um sie rechtlich „auf Augenhöhe“ mit den Staaten zu bringen und sie damit des Menschenrechtsschutzes zu entkleiden (S. 279). Die amerikanische Soziologin Saskia Sassen sieht in dieser Entwicklung – wohl nicht zu Unrecht - „den Übergang von einer zentrierten nationalstaatlichen Struktur zu einer wachsenden Anzahl spezialisierter, zentrifugaler Verknüpfungen“ gekommen, mit der Folge, dass „durch die zunehmende Selbstermächtigung einer an internationalen Handlungsnotwendigkeiten orientierten Exekutive die Persönlichkeitsrechte der Bürger erodieren“ und diese selbst letzten Endes „heimatlos“ würden (S. 285). Dazu Darnstädt: „Erst haben die Völkerrechtler die staatliche Souveränität immer weiter zurückgedrängt, um den Menschenrechten zum Durchbruch zu verhelfen. Am Ende stehen die Menschen im Dunkel des Mittelalters. Ohne Staat. Und ohne Rechte“ (S. 286).

 

In seinem Schlusskapitel stellt der Verfasser dennoch die Frage nach „Frieden?“ und nach „Schritte(n) zu einem zivilen Weltgewaltrecht“. Er geht dabei zurück in die Zeit Kaiser Maximilians I., als 1495 mit dem Ewigen Landfrieden und dem Reichskammergericht erstmalig eine klare Grenze zwischen Recht und Gewalt und zwischen Krieg und Frieden gezogen wurde. Nach diesem Vorbild müsse es auch heute um „Frieden durch Recht“ gehen, um ein „Recht der Gefahrenabwehr, das erlaubt, was nationales Polizeirecht und Strafrecht auch des mächtigsten Staates nicht können: unrechtmäßige Gewalt außerhalb des Einzugsbereichs begrenzter staatlicher Rechtsordnungen zu verhindern und zu verfolgen“; die Vollstrecker dieses Weltrechts sollten jenseits aller politischen Interessen die Inhaber eines rechtlich geregelten Gewaltmonopols für den „bislang ungeregelten Graubereich der Überschneidung von Regelungsräumen verschiedener Staaten“ werden, den Terroristen so geschickt für ihre Umtriebe zu nützen wissen (S. 326f.). Dass ein internationales Rechtsregime keine Utopie bleiben müsse, beweise die Gründung des unabhängigen Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag im Jahr 1998, und dementsprechend sei auch die Einrichtung eines subsidiären Weltpolizeirechts denkbar, allerdings mit der gravierenden Hürde, dass auch die Supermacht USA endlich uneingeschränkt bereit sein müsse, sich einer solchen Weltrechtsordnung zu unterwerfen.

 

Mit seiner umfassenden Kritik an den bedenklichen rechtlichen Interpretationen und Entwicklungen im Kontext der Terrorismusbekämpfung steht Thomas Darnstädt nicht alleine, sondern findet sich in guter Gesellschaft mit der Überzeugung namhafter, von ihm auch zitierter Rechtsgelehrter wie Erhard Denninger und Bernhard Schlink, ebenso wie mit den Ergebnissen aktueller Studien zum Terrorismus. Trotz seines gewöhnungsbedürftigen, bisweilen vielleicht zu lockeren Tons gelingt es dem Autor, mit juristischer Sachkenntnis und plakativen historischen Beispielen das grundsätzliche Problem der Kollision von Freiheit und Sicherheit ins Bewusstsein wohl auch einer breiteren Öffentlichkeit zu rücken und zugleich der Fachwelt Denkimpulse zu liefern, weshalb sich die Lektüre in jedem Fall lohnt. Wer darüber hinaus auch ein tieferes theoretisches Verständnis anstrebt, dem sei ergänzend zum Studium von Michel Foucaults „Geschichte der Gouvernementalität“ (2006) geraten.

 

Kapfenberg                                                                            Werner Augustinovic