Czech, Philip, Der Kaiser ist ein Lump und Spitzbube.
Majestätsbeleidigung unter Kaiser Franz Joseph. Böhlau, Wien 2010. 392 S.
Besprochen von Martin Moll.
Die hier vorzustellende
Druckfassung einer Salzburger geisteswissenschaftlichen Dissertation, betreut
von Gerhard Ammerer und Hanns Haas, verortet sich selbst an der Schnittstelle
zwischen Rechtsgeschichte und allgemeiner Geschichte. Die Arbeit ist den
Methoden und Theorien der modernen Kriminalitätsforschung verpflichtet, in
deren Fahrwasser sie jede Form von Kriminalität, zumal die hier in den Blick
genommene, vordergründig politische Kriminalität, als Spiegel zu einer
bestimmten Zeit herrschender sozialer, gesellschaftlicher und politischer
Verhältnisse versteht. Für die sich daraus ergebenden vielfältigen
Fragestellungen liefert, mit Blick auf das in Österreich 1918 beendete
monarchische Zeitalter, das zeittypische Delikt der Majestätsbeleidigung einen
vielversprechenden Ausgangspunkt.
Was sich schon aus
theoretischen Überlegungen ergibt, wurde hier konkretisiert durch die – wie
Czech es nennt – „Zufälligkeiten der archivalischen Überlieferung“ (S. 5),
bewahrt doch das Salzburger Landesarchiv einen großen, wenngleich nicht
kompletten Bestand einschlägiger Verfahrensakten aus der Regierungszeit Kaiser
Franz Josephs (1848-1916), dessen Regentschaft cum grano salis den
zeitlichen Rahmen der Studie absteckt. Allerdings haben sich aus der Periode
vor Inkrafttreten des dann bis 1918 gültigen Strafgesetzbuches (StGB) von 1852
keine Akten erhalten und auch auf die Jahre des Ersten Weltkrieges geht der
Verfasser so gut wie nicht ein. Vor allem die zweitgenannte Lücke ist
bedauerlich, haben doch die – von Czech nicht wahrgenommenen – Studien des
Rezensenten für das Salzburg benachbarte Kronland Steiermark eindeutig eine
singuläre Hochkonjunktur politischer Strafverfahren für die Jahre 1914/15
belegt. Aufgrund der Konzentration Czechs auf Salzburger Akten und Salzburger
Verhältnisse ergeben sich leider keine vergleichenden Fragestellungen.
Der Verfasser schildert
zunächst relativ weitschweifig die Entwicklung der Majestätsbeleidigung und
verwandter Delikte, wobei er in der Römischen Republik des 3. Jahrhunderts v.
Chr. beginnt, um schließlich die Staatsschutzdelikte des Srafgesetzbuchs 1852
(Hochverrat, Majestätsbeleidigung, Beleidigung der Mitglieder des kaiserlichen
Hauses, Störung der öffentlichen Ruhe) sowie das korrespondierende Prozessrecht
abzuhandeln. Czech widmet sich ferner den intensiven zeitgenössischen Debatten
über eine Reform des politischen Strafrechts, die zwar keine greifbaren
Resultate zeitigten, jedoch das bereits vor 1918 vielfach artikulierte
Unbehagen über nicht mehr zeitgemäße Aspekte des politischen Strafrechts zum
Ausdruck bringen. Angesichts einer Strafdrohung von bis zu fünf Jahren Kerker
für Majestätsbeleidigung kann man dieses Unbehagen, insbesondere während des
konstitutionellen Zeitalters ab 1867, gut verstehen, entsprach das 1852
normierte Staatsschutzrecht doch der für die 1850er Jahre typischen,
neoabsolutistischen Staatsauffassung (S. 52).
Nach diesen für die gesamte
Monarchie bzw. für ganz Cisleithanien geltenden Darlegungen bringt der nicht
ganz zwei Drittel umfassende Hauptteil eine ebenso minutiöse wie einfühlsame
Auswertung der Salzburger Verfahrensakten, soweit sie die Delikte der
Majestätsbeleidigung und der Beleidigung von Mitgliedern des kaiserlichen
Hauses betreffen (§§ 63, 64 StGB 1852). Erhalten sind Akten zu 112
einschlägigen Verfahren, wobei es in 65 Fällen zu Schuldsprüchen kam. Die
Kriminalstatistiken weisen für dieselbe Zeitspanne für Salzburg 142
Verurteilungen auf (S. 19). Obwohl damit weniger als die Hälfte der Prozesse
aktenmäßig rekonstruierbar ist, erlauben die Quellen eine qualitative und quantitative
Analyse insbesondere hinsichtlich der persönlichen Verhältnisse der
Delinquenten.
Die wichtigsten Resultate
dieser Quellenauswertung lauten zusammengefasst: Die Täter waren überwiegend
männlich, unter 40 Jahre alt, gehörten der Unterschicht an, begingen ihre
Straftat in etwa der Hälfte der Fälle – unter mehr oder minder starkem
Alkoholeinfluss – im Wirtshaus und konnten im Fall einer Verurteilung mit
erstaunlicher Milde rechnen, blieb doch das durchschnittliche Strafmaß von acht
Monaten sogar unter der gesetzlichen Mindeststrafe von einem Jahr. Mehr als die
Hälfte der Fälle wurde von – im weitesten Wortsinn – Vertretern der Obrigkeit
bzw. des Staates angezeigt; Denunziationen durch Privatpersonen blieben mit
rund einem Viertel deutlich in der Minderheit. Motiviert waren letztere selten
durch Treue zur Dynastie als vielmehr durch persönliche Motive wie etwa Rache –
kein Wunder, dass der Anteil an Freisprüchen und Verfahrenseinstellungen bei
derlei Anzeigen besonders hoch ausfiel (S. 202-205).
Den aktenkundigen, oft nur
als Verbalinjurien zu klassifizierenden Unmutsäußerungen lag in der Regel kein
anti-dynastisches Denken zu Grunde, sondern eine mehr oder minder situativ
bedingte Fruststimmung der Täter, die sich über irgendeinen, sie betreffenden Akt
staatlichen Handelns ärgerten und ihre Wut auf den Monarchen projizierten. Es
verwundert vor diesem Hintergrund nicht, dass ökonomisch-monetäre Staatskrisen
und außenpolitische Misserfolge wie die Kriege von 1859 und 1866 zu einem
steilen Anstieg der Strafverfahren wegen Majestätsbeleidigung führten. Hingegen
ging es den Delinquenten so gut wie nie um die Person des Kaisers, an dessen
Lebensführung es wenig auszusetzen gab – im Gegensatz zu den Mitgliedern seiner
Familie, die mit ihren Skandalen und Eskapaden reichlich Stoff für Gespräche
lieferten, die mitunter ihren Weg vor das Strafgericht fanden.
Ein eigener Abschnitt
beschäftigt sich mit der Deliktsbegehung in Druckwerken, wobei Czech auch hier
weit ausholt und das vor einigen Jahren von Thomas Olechowski erschöpfend
behandelte Preßrecht ausführlich rekapituliert. Selbstredend kritisierte die
Presse – wenn überhaupt – den Monarchen und seine Familie in höchst subtiler
Weise und keineswegs in der für den Stammtisch typischen, unflätigen Diktion.
Interessant ist dennoch Czechs Befund, wie empfindlich die Zensur- und
Strafinstanzen selbst auf leiseste Kritik reagierten und wie systematisch die
§§ 63, 64 StG bis 1918 zur Unterdrückung vor allem der sozialdemokratischen
Presse eingesetzt, wenn nicht instrumentalisiert wurden.
Die Arbeit weist neben
vielen Vorzügen auch einige Mängel auf, unter denen das missglückte Buchcover
noch der geringste ist, zeigt dieses doch ein zeitgenössisches Gemälde mit
einem Messerattentat auf den Kaiser, während es in der Arbeit ausschließlich um
Verbaldelikte geht. Seltsam mutet an, dass die beiden einschlägigen
Dissertationen von Drda und Fleissner nicht ausgewertet, sondern nur en passant
erwähnt werden, wobei dem Verfasser die Wiener Arbeit von Fleissner überhaupt
nicht zur Verfügung stand (S. 26). Ebenso sporadisch berücksichtigt ist die
einschlägige Gerichtsberichterstattung der Tagespresse.
Drittens und am
gewichtigsten: Bei aller Subtilität seiner Analysen neigt Czech dazu, deren
Aussagekraft weit zu überschätzen. Immer wieder teilt er dem Leser mit, die
aktenkundigen Unmutsäußerungen spiegelten die allgemeine Stimmung der
Bevölkerung und deren Konjunkturen während der langen Regierungszeit Franz
Josephs. Nimmt man Czechs eigene Zahlen als Basis, so gab es zwischen 1852 und
1918 im Kronland Salzburg durchschnittlich etwa zwei Verurteilungen wegen
Majestätsbeleidung und verwandter Delikte jährlich; betroffen war somit – bei
zeitlichen Schwankungen im Promille-Bereich – einer von 100.000 Salzburgern pro
Jahr. Allein dieser Befund hätte mehr Zurückhaltung bei Schlüssen auf die
„Einstellung der Untertanen“ (S. 143) oder die „Meinung des Volkes“ (S. 184)
angezeigt sein lassen. Wo die Monarchen-Kritik wirklich politisch wurde und
etwa Napoleon III. oder der ungarische Revolutionsführer Lajos Kossuth positiv
mit Franz Joseph kontrastiert wurden, stammten die Täter bezeichnenderweise
nicht aus Salzburg, weshalb ihre Ansichten kaum als repräsentativ für die
eingesessene Bevölkerung gelten können. Nicht zuletzt konterkariert der Verfasser
mit derlei Generalisierungen seine eigene These von den meist durch konkrete
Lebensumstände der Täter und deren konfliktreiche Begegnung mit Vertretern der
Staatsautorität motivierten bzw. ausgelösten Monarchenbeleidigungen.
Ungeachtet dieser Einwände
liest man die flüssig und auf hohem sprachlichem Niveau geschriebene Studie mit
großem Gewinn, bietet sie doch eine seltene Synthese von generellen
rechtsgeschichtlichen Darlegungen mit der lebendigen Materie konkreter
Fallbeispiele, bei deren Analyse und Einbettung in den Zeitkontext der
Verfasser fast immer richtig liegt; lediglich bei der Verallgemeinerung seiner
Befunde schießt er ein wenig über das Ziel hinaus.
Graz Martin
Moll