Biedermann, Yvonne, Karl Braun (1807-1868). Leben und Werk - Jurist und liberaler Politiker sowie erster bürgerlicher ,Ministerpräsident’ des Königreichs Sachsen 1848 (= Rechtsgeschichtliche Studien 28). Kovač, Hamburg 2009. LIII, 275 S. Besprochen von Werner Schubert.
Karl Braun – nicht zu verwechseln mit dem nassauisch-preußischen Juristen und Politiker Karl Braun (1822-1893) – ist über seine Heimat Sachsen hinaus bekannt geworden durch sein Eintreten für einen öffentlich-mündlichen Strafprozess mit Staatsanwaltschaft nach französischem Muster in den Jahren 1842-1845. In ihrer Leipziger Dissertation befasst sich Biedermann mit diesem in Plauen 1807 als Sohn eines Rechtsanwalts und Patrimonialgerichtsdirektors geborenen sächsischen Juristen. Nach dem Studium an der Universität Leipzig ließ sich Braun 1829 als Advokat in Plauen nieder; gleichzeitig war er von 1837 bis 1848 auch als Patrimonialrichter tätig. Schon Anfang der 1830er Jahre schloss sich Braun der liberalen Opposition in Sachsen an und war mit einigen Unterbrechungen von 1839 bis 1862 Mitglied der 2. Kammer des sächsischen Landtags, in der er zum Kreis der gemäßigt Liberalen (später der sog. Altliberalen) gehörte. Von März 1848 bis Februar 1849 war er Vorsitzender des sächsischen Gesamtministeriums und Justizminister. Im Landtag 1842/43 war er Berichterstatter über den von der 2. Kammer abgelehnten Regierungsentwurf zur Reform des Kriminalprozesses, der weitgehend am überkommenen Inquisitionsprozess festhielt. In seinem Deputationsbericht, der mit 67 gegen 8 Stimmen von der Kammer angenommen wurde, forderte er die Einführung der Staatsanwaltschaft und des mündlich-öffentlichen Anklageprozesses. Die 2. Kammer ermöglichte ihm 1844 eine Studienreise nach Frankreich, Belgien, den Niederlanden und dem Westen Deutschlands, um sich über den französischen bzw. französischrechtlich orientierten Strafprozess zu unterrichten. 1845 übergab er der Öffentlichkeit einen abgewogenen, nicht unkritischen Bericht über das französische und niederländische Strafverfahren. Das Schwurgericht, für dessen Einführung Sachsen seiner Ansicht nach noch nicht reif war, verkörperte für ihn das „Repräsentativsystem der Rechtspflege“ und war der „Ausdruck der Beteiligung des Volkes bei der letztern“ (S. 243). In diesem Zusammenhang fehlt ein detaillierter Ausblick auf die weitere, von v. Schwarze beeinflusste Entwicklung der sächsischen Straf- und Strafprozessgesetzgebung (hierzu Achim Lacher, Friedrich Oskar von Schwarze [1816-1886]. Leben und Werk des ersten sächsischen Generalstaatsanwalts unter besonderer Berücksichtigung seiner Arbeiten über das Schwur- und Schöffengericht, Diss. iur. Würzburg 2008).
1845/46 war Braun Präsident der 2. Kammer des Landtags, in der er sich für ein allgemeines bürgerliches Gesetzbuch auf germanistischer Grundlage und für eine auf den Grundsätzen der Öffentlichkeit und der Mündlichkeit beruhende Zivilprozessordnung einsetzte (S. 88ff.). An der Ausarbeitung des sächsischen Bürgerlichen Gesetzbuchs von 1863/65 und an dem Revidierten Strafgesetzbuch sowie der Strafprozessordnung von 1855 war er nicht mehr beteiligt. Biedermann geht im Einzelnen auf die parlamentarischen Beiträge Brauns insbesondere zur Deutschen Frage und einige Reformgesetze ein (u. a. auf Brauns Initiative zur Einführung von Friedensrichtern, S. 81f.). Brauns Tätigkeit als Justizminister in der Revolution wird angesichts der im letzten Weltkrieg vernichteten archivalischen Quellen nur knapp behandelt. Gleichwohl wäre es nützlich gewesen, wenn Biedermann ausführlicher einige auch von Braun wohl mitgestaltete Gesetze des Landtags von 1848 betrachtet hätte (u. a. a. das Gesetz über die Vereins- und Versammlungsfreiheit, das Pressegesetz und das Gesetz über das Verfahren bei politischen Vergehen [S. 138f.]). Nach 1850 ist Braun in der 2. Kammer kaum mehr hervorgetreten. 1867 gehörte er dem konstituierenden Reichstag des Norddeutschen Bundes an. Von 1850 bis zu seinem Tod 1868 war er Amtshauptmann in Plauen. Im letzten Teil des Werkes beschreibt Biedermann die zum Teil rechtspolitisch ausgerichteten Aufsätze Brauns sowie dessen strafprozessuales Werk von 1845 (S. 213-254).
Mit ihrem sorgfältig recherchierten Werk (Heranziehung auch der archivalischen Überlieferung) hat Biedermann einen wichtigen Teil der sächsischen Rechtsgeschichte des 19. Jahrhunderts erschlossen, für die hinsichtlich des Straf- und Strafprozessrechts und dessen Einflusses auf die Reichsjustizgesetze eine Gesamtdarstellung noch immer fehlt.
Kiel |
Werner Schubert |