Begert, Alexander, Die Entstehung und Entwicklung des Kurkollegs. Von den Anfängen bis zum frühen 15. Jahrhundert (= Schriften zur Verfassungsgeschichte 81). Duncker & Humblot, Berlin 2010. 229 S. Besprochen von Christof Paulus.

 

Als einen schmerzenden „Pfahl im Fleisch“ der mittelalterlichen Verfassungsgeschichte bezeichnete Wolfgang Giese 1984 das Fehlen einer allgemein anerkannten Theorie zur Entstehung des Kurfürstentums, also zur Ausbildung des Kollegiums von ursprünglich sieben Königswählern im Reich. Stattdessen gibt es eine Vielzahl von Interpretationsansätzen, die mehr oder weniger auf Ablehnung gestoßen sind. Umso größere Aufmerksamkeit kann eine Arbeit beanspruchen, die es sich zum Ziel gemacht hat, eine neue Antwort auf dieses alte ungelöste rechtsgeschichtliche Rätsel zu geben. Den Weg, den Alexander Begert hierbei beschreitet, ist gleichermaßen der Versuch der bisherigen Theorienversöhnung, wobei der Autor in seiner Darstellung unter der Prämisse der Polykausalität des zu erklärenden Phänomens eine Vielzahl unterschiedlicher Methoden verbindet.

 

Der zeitliche Untersuchungsschwerpunkt liegt im 12., 13. und 14. Jahrhundert, doch greift der Autor in den Schlussabschnitten zum Teil weit aus, bis in die Zeit Napoleons hinein. Aus einem bereits im 12. Jahrhundert etablierten Wahlausschuss hätten sich bei einer paritätisch geistlich-weltlichen Zusammensetzung ursprünglich vier Hauptwähler herauskristallisiert, eine Zahl, die sich, um Spannungen während des staufisch-welfischen Thronstreits einzuebnen, auf sechs erhöht habe und ihre Etablierung wohl auf dem Würzburger Hoftag des Jahres 1209 fand. Über die Position des Ersatzwählers sei dann der böhmische König, bedingt durch die historische Macht Ottokars II., zum Elektorat gekommen, was zudem mit dem Erzschenkenamt verbunden worden sei.

 

Im Laufe des 13. Jahrhunderts habe sich das Wahlrecht nun zunehmend verfestigt, in der Regierungszeit Wilhelm von Hollands, wohl zu Braunschweig 1252 bei Anwesenheit eines päpstlichen Legaten, sei dann die Wählerschaft auf sieben festgelegt worden: die eigentliche Geburtsstunde des Kurfürstentums. Dort hätten sich nämlich die weltlichen Reichsfürsten gegenüber einer starken Geistlichkeit eine königlich geförderte Fundamentierung ihrer Macht erstritten. Unter der Regierungszeit König Rudolfs I. habe sich nach einer Phase, die der Klärung der genauen Wähler etwa bei Samtherrschaft sowie deren Vertretbarkeit (etwa Königswahl 1273) gegolten habe, das corpus electionis endgültig herausgebildet (Wahldekret von 1308).

 

Doch habe das Kurkollegium, seit seinen Anfängen auch stets von der Frage des Mehrheitsprinzips begleitet, in den folgenden Jahrzehnten bis zum weitgehenden Abschluss des Entwicklungsprozesses weitere Intensitätsstadien durchlaufen. Als wichtige treibende Faktoren benennt Begert hierbei das nahezu reichsrechtliche Prinzip der concordia sowie Doppelwahlen (bzw. die Ängste vor diesen). Drei Exkurse zum Kirchenbann (der in der Regel die Kur kostete, zuweilen jedoch ignoriert wurde), zur so genannten zweiten Wahl Karls IV. 1349 (für Begert ein Forschungskonstrukt ohne historische Grundlage) und zur Translation von Kurwürden in der Neuzeit (vor allem zur bayerischen Kur ab dem 17. Jahrhundert) beschließen den Band.

 

Erzämter- und Reichsgesetztheorie werden vom Autor gekonnt mit erbrechtlich-genealogischen oder konsensualen Aspekten mittelalterlicher Verfassungswirklichkeit verbunden. Vielfach muss Begert den Versuch unternehmen, den von ihm gezeichneten logischen, aus vielen Wurzeln gespeisten Stufenprozess mangels Quellenbelegen aus den historischen Umständen heraus zu erklären. Dieses Dilemma nun macht seine Darstellung notgedrungen ebenso angreifbar wie alle vorherigen. Ferner könnte der vom Autor gesetzte staufisch-welfische sowie geistlich-weltliche Dualismus ebenso in Zweifel gezogen werden wie die Behauptung Begerts, dem Pfalzgraf sei seine historische Bedeutung mehr oder minder durch Zufall zugewachsen.

 

Auch ist fraglich, ob der Untersuchung nicht ein zu statisches „Amtsverständnis“ zugrunde liegt. Nicht immer ist die einschlägige Literatur (Stand 2008) eingearbeitet. Auf einige kleinere Ungenauigkeiten sei nur kurz verwiesen. So heißt es in den „Annales Erphordenses“ excepto duce Bawarie, nicht exepto duce Bawarie (S. 46, 92), in dem Papstbrief der Wähler Ottos IV., nicht der des Staufers Philipp elegi et subscripsi (nicht elegi et subscripi, S. 67). Es muss unanimiter et concorditer elegerunt statt unamiter et concorditer elegerunt (S. 81) lauten, in seinen, nicht in seiner „Chronica Maiora“ (S. 68) oder das Dekretale und nicht die Dekretale (S. 53).

 

Neben den geläufigen Vorbemerkungen zur doppelten Bedingtheit des historischen Blicks hemmen die nicht wenigen Fußnotenduelle, die der Autor zum Teil recht tischwischend vor allem mit Armin Wolf oder Martin Kaufhold führt, sowie der erhebliche rhetorische Aufwand, den Begert zur imperativisch vorgetragenen Stützung seiner Theorie unternimmt, die Lektürefreude und trüben die zahlreichen interessanten Beobachtungen und Bemerkungen der Arbeit etwas ein; ist diese doch der umsichtige und spannende Versuch, in einem großen zusammenfassenden Zug, den eingangs erwähnten „Pfahl“ herauszuziehen. Doch bleiben auch nach dieser wertvollen Darstellung zumindest noch einige Splitter zurück.

 

Seehausen am Staffelsee                                                                                   Christof Paulus