Becker, Maren, Max von Seydel und die Bundesstaatstheorie des Kaiserreichs (= Studien zur europäischen Rechtsgeschichte 244). Klostermann, Frankfurt am Main 2009. X, 319 S. Besprochen von Gerhard Köbler.
Die Arbeit ist die von Michael Stolleis geförderte und unterstützte, im Wintersemester 2007/2008 dem Fachbereich Rechtswissenschaften der Universität Frankfurt am Main vorliegende Dissertation der ihre ersten Begegnungen mit der Rechtsgeschichte Gerhard Dilcher als studentische Hilfskraft an seinem Lehrstuhl verdankenden Verfasserin. Sie stellt in ihrem kurzen, unter das Motto nihil est ab omni parte beatum gestellten Vorwort selbst die Frage: Wen interessiert das eigentlich? und antwortet sich selbst: kaum jemanden. Gleichwohl hat sie sich eine Gedankenwelt eröffnet, die sie interessant fand, weil sie sich dafür interessierte.
Max (von) Seydel, den Michael Stolleis’ Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland in zwei Bänden erfasst, wurde am 7. September 1846 in Germersheim als Sohn eines Festungsbaudirektors geboren. Zur Militärlaufbahn wegen Veranlagung zur Schwerhörigkeit untauglich, studierte er Rechtswissenschaft in München, Würzburg (Felix Dahn) und München, promovierte in Würzburg 1869 mit summa cum laude über die gemeinrechtliche Lehre vom macedonianischen Senatsbeschluss, trat in den Staatsdienst Bayerns, wurde 1873 Professor an der Kriegsakademie, 1880 Regierungsrat und 1881 ordentlicher Professor an der Universität München. Verhältnismäßig früh verstarb er in München nach Schlaganfällen in den Jahren 1894 und 1898 gelähmt am 23. April 1901 im Alter 54 Jahren.
Die Verfasserin gliedert ihre Untersuchung nach Einleitung und Biographie in zwei Teile. Der erste Teil betrifft Grundlegung und erste Konsolidierung in den Jahren 1872/1873, in denen Seydels Werk über den Bundesstaatsbegriff und der Kommentar zur Verfassungsurkunde für das deutsche Reich veröffentlicht wurden, die Theorie der Staatenbünde, das Deutsche Reich als Staatenbund und die Ablehnung der juristischen Person des Staates in der Form des Staates als Herrschaftsobjekt. Der zweite Teil befasst sich mit dem Umfeld, den Reaktionen Albert Hänels und Paul Labands auf Seydels Lehren und in Ausblick und Fazit mit der Bundesstaatstheorie zwischen 1877 und 1901.
Dabei erkennt die Verfasserin einerseits Gedanken, die sie in nicht geringem Maße an Überlegungen zur Rechtsnatur der Europäischen Union der Gegenwart erinnern. Andererseits kann sie zeigen, dass zu Seydels Zeiten staatsrechtliche Fragen in ungewöhnlicher Tiefe erörtert wurden. Insgesamt leistet sie so eine ansprechende Vertiefung der Geschichte des öffentlichen Rechts in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, auch wenn Seydel nur in einem schmalen Zeitfenster einigen Einfluss auf die Bundesstaatsdebatte nehmen konnte.
Innsbruck Gerhard Köbler