Auffenberg, Ulrich,
Friedrich Esaias von Pufendorfs Entwurf eines hannoverschen Gesetzbuches mit
Edition. Diss. jur. Frankfurt am Main. 2007. V, 193 S. Besprochen von Steffen
Schlinker.
Auf dem Gebiet der Gesetzgebung sind die
welfischen Territorien, abgesehen vom Zivilprozessrecht im 19. Jahrhundert,
nicht besonders hervorgetreten. In Helmut Coings Handbuch zum Europäischen
Privatrecht findet jedoch neben den großen bayerischen, preußischen und
österreichischen Gesetzbüchern des 18. und frühen 19. Jahrhunderts immer wieder der Entwurf eines
hannoverschen Landrechts Erwähnung. Bereits 1970 hat Wilhelm Ebel ein
Manuskript der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen
unter dem Titel „Friedrich Esajas Pufendorfs Entwurf eines hannoverschen
Landrechts (vom Jahre 1772)“ publiziert. Ulrich Auffenberg äußert allerdings
nunmehr berechtigte Zweifel, ob die undatierte Göttinger Handschrift
tatsächlich der Entwurf für den Codex Georgianus ist, den der Vizepräsident des
Oberappellationsgerichts Celle, Friedrich Esaias von Pufendorf, für König Georg
III. als Kurfürst von Hannover erarbeitet hat.
Auffenberg beginnt nach einer kurzen Einleitung
mit der Lebensgeschichte Pufendorfs und zieht dazu dessen Autobiographie heran
(S. 2-7). Dabei kann er auf einige Ungereimtheiten der bisherigen Forschung
hinweisen. Im Mittelpunkt von Auffenbergs Arbeit steht allerdings die Edition
eines handschriftlichen Entwurfs zu einem hannoverschen Gesetzbuch im Familien-
und Gutsarchiv der Familie von Lenthe unweit von Hannover (S. 17-158). Dieser
Gesetzentwurf aus dem Obergut Lenthe, den Auffenberg sorgfältig transkribiert
hat, kann anhand weiterer dort vorhandener, mit Datumsangaben versehener Briefe
auf das Jahr 1769 datiert werden. Die Briefe gehören zu einer umfangreichen
Korrespondenz zwischen Friedrich Esaias von Pufendorf und Albrecht Friedrich
von Lenthe aus der Zeit vom November 1768 bis zum Juni 1769 (Edition S.
161-172). Bilder Pufendorfs und Lenthes werden im Anhang wiedergegeben.
Die Briefe thematisieren ein Gesetzbuch für die
hannoverschen Kurlande, zu dessen Abfassung sich Pufendorf mit Brief vom 20. 11.
1768 erboten hatte (Anlage V, S. 161). Den königlichen Auftrag leitete Albrecht
Friedrich von Lenthe, der in den Jahren 1768 bis 1769 den Minister in der
Deutschen Kanzlei am Londoner Hof vertrat, mit Brief vom 30. 11. 1768 an
Pufendorf weiter (Anlage VI, S. 162). Damit kann Auffenberg Ebels Ansicht
korrigieren, der Geheime Rat von Behr hätte Pufendorf den Auftrag übermittelt.
Den raschen Fortgang der Arbeit am Entwurf im Frühjahr 1769 bezeugen die
folgenden Briefe, deren Abdruck sich ebenfalls als Anlage findet. Sie lassen
auch eine fachliche Diskussion zwischen Lenthe und Pufendorf, die sich schon lange von ihrer Arbeit am
Oberlandesgericht Celle kannten, erkennen. Die Briefe machen zudem deutlich,
wie sehr Pufendorf an der Gestaltung des Rechts im Interesse des gemeinen
Besten gelegen war. Ausdrücklich würdigt Auffenberg daher den Einsatz
Pufendorfs für das Kreditwesen (S. 13-16), das dieser in einem Brief vom 13. 4.
1769 (Anhang XII, S. 168) als den wichtigsten Titul des ganzen Werks
bezeichnete.
Auffenberg unterzieht die Annahme Ebels einer
gut begründeten Kritik, das Göttinger Manuskript sei in den Jahren 1770 bis
1772 entstanden (S. 9f.). Die Tatsache, dass der vierte Band von Pufendorfs
Observationes im Jahre 1770 erschien, besagt tatsächlich gar nichts, denn
wörtliche Übereinstimmungen zwischen dem Entwurf und den Observationen sind
nicht feststellbar. Darüber hinaus war der vierte Band der Observationes Ende
1768 bereits abgeschlossen (Brief Pufendorf vom 11. 12. 1768, Anhang VIII, S.
164).
Beide Entwürfe unterscheiden sich inhaltlich
beträchtlich. Der Entwurf von 1769 enthält 58 Titel, wovon die Titel 34 bis 51
im Manuskript des Oberguts Lenthe fehlen. Das von Ebel edierte Göttinger
Manuskript umfasst dagegen mehr als doppelt soviele Paragraphen. Es ist
unterteilt in 129 Titel, wobei Titel 41 fehlt. Im Entwurf von 1769 fehlen
gegenüber dem Göttinger Entwurf die Passagen zum Kirchenrecht, Lehnrecht,
Meierrecht und weitgehend auch zum Prozessrecht und Strafrecht. Beide Texte
enthalten keine systematische Kompilation, sondern streben eine nur partielle
Darstellung des tatsächlich praktizierten Rechts an, wie es sich insbesondere
durch die Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Celle fortentwickelt hatte. Die
reizvolle Frage, inwieweit das durch Blackstone vermittelte englische Vorbild
auf Pufendorf gewirkt haben mag, muss leider unbeantwortet bleiben (dazu:
Briefe vom 20. 11. 1768, 30. 11. 1768, 11. 12. 1768, Anlagen V, VI, VIII, S.
161ff.).
Offen bleibt letztlich auch die Frage, wann und
von wessen Hand das Göttinger Manuskript entstanden ist. Pufendorf selbst weist
in seiner Autobiographie nicht auf seine Arbeiten am Entwurf des Codex hin.
Auffenberg vermutet, die Ergänzungen
stammten von Pufendorfs Sohn (S. 16). Das mag sein, ebenso gut möglich ist es
aber, dass Pufendorf den Entwurf selbst nochmals umfangreich bearbeitet hat,
zumal er durch eine Operation im Jahre 1776 die Sehkraft wiedererlangte. Das
Schweigen Pufendorfs ließe sich damit erklären, dass er sich zum Stillschweigen
über das Projekt verpflichtet fühlte. So hatte er im Mai 1769 gegenüber Lenthe
versichert, niemand werde vom Inhalt seiner Arbeit erfahren (Anlage XIII, S.
169). Dass die Abfassung von Gesetzbüchern ein Politikum darstellte, ist auch
aus der Entstehungsgeschichte des ALR hinlänglich bekannt.
Eine tiefgehende Würdigung des Entwurfs im
Vergleich zu anderen Gesetzbüchern,
Gesetzgebungsprojekten oder zur Rechtswissenschaft der Zeit findet nicht
statt. Hervorhebung erfährt allerdings zu Recht das Kreditwesen. Jedoch sollten
die Mühen einer Edition nicht gering
geschätzt werden. Die vorliegende Arbeit zeigt einmal mehr, dass gerade die
Rechtsgeschichte auf Archivarbeit angewiesen ist und durch Archivfunde immer
wieder glücklich bereichert wird. Mit seiner Edition hat Ulrich Auffenberg der
Rechtswissenschaft die unentbehrliche Arbeitsgrundlage für weitere Forschungen
geschenkt. Ein Druck der Arbeit ist daher zu wünschen.
München/Würzburg Steffen
Schlinker