„… eifrigster Diener und Schützer des Rechts,
des nationalsozialistischen Rechts …“ - Nationalsozialistische
Sondergerichtsbarkeit. Ein Tagungsband, hg. v. Justizministerium des Landes
Nordrhein-Westfalen, red. v. Daubach, Helia-Verena, (= Juristische
Zeitgeschichte Nordrhein-Westfalen 15). Justizministerium des Landes
Nordrhein-Westfalen, (Düsseldorf 2007). 217 S. Besprochen von Karsten Ruppert.
Die Dokumentations- und
Forschungsstelle „Justiz und Nationalsozialismus“ des Landes
Nordrhein-Westfalen setzt mit dem hier vorgelegten Tagungsband über die nationalsozialistische
Sondergerichtsbarkeit ihre verdienstvolle Arbeit fort. Freilich kann ein
solcher Band nur Aspekte zu dem sachlich komplexen und auch quantitativ
erheblichen (11.000 Todesurteile; 60.000 Fälle) Problem der nationalsozialistischen
Sondergerichtsbarkeit beitragen. Dass aber diese durchaus instruktiv sein
können, belegt dieser Band, an dem allein die allzu vielen sinnentstellenden
Druckfehler zu tadeln sind. Ursprünglich als Spezialstrafkammern in jedem
Oberlandesgerichtsbezirk im Zuge der Machtergreifung für Verstöße gegen die
„Reichstagsbrandverordnung“ und das „Heimtückegesetz“ errichtet, erweiterte
sich die Zuständigkeit der Sondergerichte schon vor 1939 und wurden sie im
Krieg zum einem wichtigen Instrument zur Aufrechterhaltung der inneren Zwangsgemeinschaft.
Am Straftatbestand der
„Heimtücke“ untersucht Bernward Dörner die Praxis der Sondergerichte bei
politischen Delikten. Dieser eignet sich dafür besonders, da das
„Heimtücke-Gesetz“ eine umfassende Möglichkeit bot, jede unerwünschte Äußerung
zu verfolgen. Dass aber die wenigsten überhaupt verfolgt werden konnten, lag an
den begrenzten Mitteln und dass es ein weiter Weg von einer solchen Äußerung
bis zur Verurteilung war. Daher konzentrierten sich Staatsanwaltschaft und
Gestapo darauf, dieses Gesetz vor allem gegen die aus der Volksgemeinschaft sowieso
Ausgeschlossenen zur Anwendung zu bringen: von den politischen Gegnern über
„Asoziale“ bis hin zu den „rassisch Minderwertigen“. Ein zusätzlicher Gewinn der
Untersuchung liegt darin, dass diese Verfahren unter zahlreichen Aspekten statistisch
aufgeschlüsselt werden.
Eine Zusammenfassung seiner
größeren Untersuchung über die Verfolgung des Hörens von „Feindsendern“ legt
Michael P. Hensle am Beispiel des Sondergerichts Freiburg vor. Er weist nach,
dass die Ausweitung der Verfolgung nach dem Kriegsausbruch auch auf kriegsbedingte
Kriminalität (Wirtschaft; Rundfunk) zurückzuführen ist und dass die Bandbreite
der Strafen groß war. Die interessanteste Erkenntnis ist aber wohl, dass der
Nutzen für das Regime nicht in der Ahndung von „Rundfunkverbrechen“ selbst lag,
sondern in der davon ausgehenden Furcht davor in der Bevölkerung, die Umfang
und Härte der Verfolgung erkennbar überschätzte!
Ähnlich geht Hans-Ulrich
Ludewig vor, der ebenfalls einen Auszug aus einer Monografie, nämlich der über
das Sondergericht Braunschweig, präsentiert. Dieses hat drei Viertel seiner
Fälle in der Kriegszeit erledigt, von denen wiederum fast die Hälfte aller
Anklagen auf dem Höhepunkt des Krieges Wirtschaftsstraftaten waren. Wenn es
sich dabei wiederum meist um weniger gravierende wie das Fälschen von
Lebensmittelkarten und das verbotene Schlachten von Hausvieh handelte, so zeigt
doch gerade dies wie sehr auch die wirtschaftliche Not den Zusammenhalt der
Kriegsgesellschaft aushöhlte. Mit einem Überblick über Aktenlage und ersten,
vor allem statistisch präsentierten Ergebnissen über das Sondergericht Köln,
eines der größten überhaupt, schließt Stephanie Bremer den Überblick über
einzelne Sondergerichte ab. Die damit avisierte Studie ist bis heute leider
nicht erschienen.
Maik Wogersien geht die Rechtsprechung
der Sondergerichte noch einmal grundsätzlicher an, indem er nach Gründen in
Normen und Verfahren sucht, die Ausweitung und zunehmende Härte der Urteile im
Krieg erklären können. Überzeugend verweist er dafür auf drei Ursachen: Erstens
führte die Verbindung der verschärfenden Kriegsnormen mit den herkömmlichen
Straftatbeständen zu einer Verlagerung der Verfahren an die Sondergerichte. Die
schwammigen Tatbestandsbeschreibungen bei zwingenden, engen Sanktionskatalogen
hatten zweitens schärfere Strafen zur Folge. Damit einher ging drittens eine
„Ideologisierung“ der Verfahren, indem die Angeklagten immer mehr in vom Regime
definierte Tätertypen eingeteilt wurden.
Es ist durchaus der
Erwähnung wert, dass in einem vom Justizministerium des Landes
Nordrhein-Westfalen herausgegebenen Sammelband zwei Aufsätze die Aufarbeitung
ihrer Sondergerichtsvergangenheit durch die bundesdeutsche Justiz
thematisieren. Freilich hat dies deswegen einen faden Beigeschmack, weil sich
Justiz und Öffentlichkeit mit Nachdruck dem Problem erst annahmen, als es für
die Praxis kaum mehr Auswirkungen hatte: der Mut billig und die Empörung
folgenlos war. Der beste Beleg dafür ist, dass der Bundesgerichtshof erst 1995
das Versagen der Justiz bei der strafrechtlichen Aufarbeitung sozusagen „höchstrichterlich“
festgestellt hat. Warum von den mehr als 1.000 Richtern an Sondergerichten nach
1945 kein einziger sich vor Gericht verantworten musste, sondern die Anklagen
bereits von den Staatsanwaltschaften niedergeschlagen wurden, dem geht der ehemalige
OLG-Richter Helmut Kramer nach. Die von ihm unter anderem geschilderten
Einzelfälle veranschaulichen zwar Grausamkeit und Unrecht, sind aber wenig in
den Gang der Argumentation integriert. Nach Kramer hat sich rasch ein gesellschaftlicher
Konsens des Beschweigens der jüngsten Vergangenheit in der frühen
Bundesrepublik gebildet, der durch die Überlagerung des Nationalsozialismus durch
das kommunistische Feindbild im kalten Krieg noch verstärkt wurde. Wie dies zu
mehr als einer laschen Handhabung bei der Entnazifizierung des Justizpersonals
beitrug, dessen konsequente politische Säuberung den Zusammenbruch der
Rechtspflege zur Folge gehabt hätte, zeigt Klaus-Detlev Godau-Schüttke,
ebenfalls ein ehemaliger Richter. Den entscheidenden Vorteil der nachsichtigen
Einstufung in die Belastungskategorien zogen die NS-Richter dann aus dem
sogenannten „131er-Gesetz“ vom Mai 1951, das fast allen die Rückkehr in den
Dienst oder eine komfortable Pensionierung brachte.
Damit waren die
NS-Richter zwar noch nicht vor weiteren Verfahren sicher, doch dass sich auch
diese zu einem justizpolitischen Skandal ausweiteten, dafür führt Kramer vor
allem drei Ursachen an. Zunächst die Pressepolitik der Staatsanwaltschaften,
die sich ganz anders als bei sonstigen Kapitalverbrechen große Mühe gaben, dass
von Anklagen gegen Sonderrichter nichts nach draußen drang; Kumpanei also auf
allen Ebenen. Die eigens für die Verfahren gegen NS-Richter von den höchsten
Gerichten konstruierten Rechtsfiguren liefen zweitens alle auf Exkulpation
hinaus: Die Fiktion eines von der jeweiligen Form unabhängigen überzeitlichen
Staates und dessen Recht auf Selbstbehauptung und der Verweis auf den damals
herrschenden Rechtspositivismus, der den Richter unabhängig vom moralischen Gehalt
des Gesetzes an dessen Vollzug band. Doch überzeugend führt Kramer dagegen an,
dass auch die NS-Gesetze den Richtern im Strafmaß Spielräume ließen, den die
Mehrheit aber nur nutzte, um ihre Regimetreue zu beweisen. Der Gipfel des
Zynismus wurde dann durch die Feststellung des Bundesgerichtshofs erreicht, der
drittens in den sechziger Jahren eine Verurteilung von NS-Richtern nur noch für
möglich hielt, wenn diesen vorsätzliche Rechtsbeugung nachgewiesen werden
könne. Damit kein Zweifel an der damit verfolgten Absicht aufkommen könne,
fügte er noch hinzu, dass „diese Frage zu entscheiden“ die „Grenzen irdischer
Rechtsfindung“ übersteige. Freilich hatten der Bundesgerichtshof und die ihm nachgeordneten
Gerichte dennoch damit bei ehemaligen Richtern der Deutschen Demokratischen
Republik keine Probleme. Schamloser kann man das Recht nicht mehr politisch
instrumentalisieren.
Mehrere Autoren dieses
Bandes fragen sich, welche Konsequenzen aus der Erfahrung mit der
NS-Rechtsprechung und dem Versagen der bundesdeutschen Justiz bei deren
Aufarbeitung zu ziehen sind. Konsens besteht darin, dass bei der
Juristenausbildung anzusetzen sei. Vor allem die ihr zugrunde liegende
Vorstellung, dass Rechtsfindung nichts anderes sei als die technokratische
Anwendung von Normen auf den Einzelfall müsse ergänzt werden durch die selbstkritische
Analyse außerjuristsicher Einflüsse auf die Rechtsprechung und die Vermittlung
moralischer wie ethischer Grundlagen des Rechts. Doch auch hier eine
betrübliche Bilanz. Nicht einmal im Ansatz hat sich die Juristenausbildung in
diese Richtung bewegt. Und so ist diesem Band zu wünschen, dass ihn auch möglichst
viele Landesjustizminister zur Kenntnis nehmen, damit dieses unselige Kapitel
deutscher Justizgeschichte wenigstens einmal zu etwa Gutem führt.
Eichstätt Karsten
Ruppert