Zwangsarbeit im Nationalsozialismus und die Rolle der Justiz. Täterschaft, Nachkriegsprozesse und die Auseinandersetzung um Entschädigungsleistungen, hg. v. Kramer, Helmut/ Uhl, Karsten/Wagner, Jens-Christian (= Nordhäuser Hochschultexte, Allgemeine Schriftenreihe Band 1). KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora, Nordhausen 2008. 211 S. Besprochen von David von Mayenburg.

 

Was im angelsächsischen Sprachraum schlicht slavery, Sklaverei genannt wird, nämlich der rücksichtslose Einsatz von Menschenleben für die Kriegswirtschaft des Dritten Reichs, trägt in Deutschland den viel neutraleren Titel „Zwangsarbeit“. Ganz so, als handele es sich hier im juristischen Sinne um ein ganz normales Arbeitsverhältnis, wenn auch um eines, das nicht auf Konsens, sondern auf Zwang gegründet ist. Im Jahr 2007 entschied das deutsche Bundesverwaltungsgericht, „dass ein Verstoß gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit nicht bereits in der Beschäftigung von Zwangsarbeitern, Kriegs- und Strafgefangenen als solcher gesehen werden [könne]. Ein solcher Verstoß [liege] erst dann vor, wenn sie im Unternehmen menschenunwürdigen Arbeits- und Lebensbedingungen unterworfen waren.“ (BVerwGE 128, 155). War also der Einsatz von Zwangsarbeitern nur ein zwar unschöner, letztlich aber doch menschlicher und rechtsstaatlicher Vorgang?

 

Der zu besprechende Sammelband enthält Beiträge von Juristen, Historikern und Politologen. Er ist aus einer Tagung hervorgegangen, die im März 2006 vom Forum Justizgeschichte in Zusammenarbeit mit der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora veranstaltet wurde. Das Buch zeigt eindrucksvoll, dass die juristische Spitzfindigkeit des Bundesverwaltungsgerichts nicht nur geradezu naiv die historische Realität der massenhaften Versklavung von Menschen im Nationalsozialismus außer Acht lässt, sondern dass diese Form des juristischen Umgangs mit dem Phänomen Zwangsarbeit in der Bundesrepublik ihrerseits in einer jahrzehntelangen Tradition steht.

 

Drei Artikel beleuchten zunächst überblicksartig die Rolle der Juristen bei der Begründung, Organisation und Legitimation der Zwangsarbeit während des Dritten Reichs, sowie den Einsatz von Zwangsarbeitern im Kontext des Strafvollzugs und der Konzentrationslager. Mit acht Beiträgen liegt der Schwerpunkt des Bandes dann auf der Frage der juristischen Aufarbeitung der Zwangsarbeit in der Nachkriegszeit.

 

Der einleitende Aufsatz Helmut Kramers, eines pensionierten OLG-Richters, beleuchtet in engagierter Sprache die Rolle der Juristen bei der Organisation der Zwangsarbeit. Er verweist dabei auf das aktive, teilweise überobligatorische, Mitwirken von Richtern und Staatsanwälten, vor allem der Sondergerichte, bei den Hinrichtungen von Zwangsarbeitern aus teilweise nichtigsten Anlässen. Die Justiz habe damit den geheimen Terror von Gestapo und SS durch die abschreckende und nicht minder terrorisierende Form von öffentlicher Strafe ergänzt und den NS-Maßnahmenstaat gleichzeitig mit einem Anschein von Rechtsstaatlichkeit bemäntelt.

 

Nikolaus Wachsmann, Autor des gegenwärtig wichtigsten Buchs zum NS-Strafvollzug (Hitler’s prisons, deutsch: Gefangen unter Hitler, München 2006), erläutert in seinem Beitrag, wie durch die Erfordernisse der Kriegswirtschaft die eigentlichen Vollzugsziele Sicherung und Resozialisierung immer stärker vernachlässigt wurden. So nahm man beispielsweise eine steigende Fluchtrate in Kauf, als man Kriminelle gemeinsam mit anderen Häftlingsgruppen außerhalb der Gefängnisse bis zum Erschöpfungstod arbeiten ließ.

 

Wichtige quellenkritische Differenzierungen bringt der Beitrag Jens-Christian Wagners zum geläufigen Schlagwort der „Vernichtung durch Arbeit“. Als planmäßig betriebenes Konzept lasse sich diese Formulierung in den Quellen nur selten finden, so etwa bei einer Besprechung von Propagandaminister Goebbels und Justizminister Thierack im September 1942 zur Überstellung von Strafgefangenen in die Konzentrationslager (S. 64). Im übrigen sei der Begriff aber, so Wagner, nicht „als analytische, sondern nur als deskriptive Formel (…) hinsichtlich der fast überall mörderischen Arbeitsbedingungen in den Lagern zutreffend.“ (S. 65).

 

Die Beiträge zur westdeutschen Entschädigungspraxis nach dem Zweiten Weltkrieg machen vor allem eines deutlich: Nur sehr widerwillig und getrieben durch Druck von außen waren deutsche Parlamente, Behörden und Gerichte nach 1945 bereit, den Zwangsarbeitern des „Dritten Reichs“ juristische Wiedergutmachung zu leisten.

 

So zeigt Cornelius Pawlita, wie das nur durch alliierten Druck zustandegekommene Bundesentschädigungsgesetz durch seine enge Begrenzung des Kreises der Anspruchsberechtigten und eine überdies restriktive Auslegung durch die Gerichte große Opfergruppen von den ohnehin begrenzten Entschädigungszahlungen ausschloss.

 

Besonders wichtig ist der Aufsatz Joachim Rumpfs zur Frage der Entschädigung ausländischer Zwangsarbeiter. Rumpfs überzeugende Analyse der Entstehungsgeschichte des Art. 5 Abs. 2 des Londoner Schuldenabkommens von 1953 bringt einen erstaunlichen Befund: Diese Klausel, die nach der klaren Absicht ihrer Autoren zwar Reparationen anderer Staaten gegen die Bundesrepublik Deutschland, nicht aber zivilrechtliche Ansprüche einzelner Zwangsarbeiter gegen deutsche Unternehmen und Private bis zu einem künftigen Friedensvertrag ausschließen sollte, wurde von deutschen Gerichten und Behörden extrem restriktiv ausgelegt. Stets wurde argumentiert, da diese ausländischen Zwangsarbeiter letztlich „im Auftrag des Reiches“ beschäftigt worden seien, handelte es sich bei ihren Wiedergutmachungsforderungen eben doch um Reparationen, die durch Art. 5 Abs. 2 des Londoner Schuldenabkommens ausgeschlossen seien.

 

Am Beispiel des aus nichtigem Anlass in die Zwangsarbeit geratenen Juristen Edmund Bartl zeigt der Politologe Thomas Irmer, dass auch inländische Zwangsarbeiter Schwierigkeiten hatten, zivilrechtliche Ansprüche gegen ihre ehemaligen „Arbeitgeber“ geltend zu machen. Bartls Klage, die letztlich 1967 vom Bundesgerichtshof wegen Verjährung abgewiesen wurde (BGHZ 48, 125), macht zweierlei deutlich: Zum einen war die Industrie durch die erst- und zweitinstanzlichen Erfolge Bartls so alarmiert, dass sie ihre Verteidigungsstrategie in diesem und allen anderen vergleichbaren Fällen gezielt vereinheitlicht betrieb und finanzierte. Zum anderen legt Irmer Dokumente vor, aus denen hervorgeht, dass auch die Bundesregierung nichts so sehr fürchtete, wie einen Sieg Bartls und ihm daher sogar den Streit verkündete. Man hatte explizit die Sorge, dass ein Sieg Bartls auch die Verteidigung gegenüber Ansprüchen ausländischer Zwangsarbeiter ins Wanken bringen könnte.

 

Die strafrechtliche Aufarbeitung des Themas Zwangsarbeit führte mit zunehmendem Abstand zum Geschehen zu immer geringeren Strafhöhen. Der Historiker Michael Löffelsender zeigt in seinem überzeugenden Beitrag, wie die juristische Skepsis gegenüber dem im amerikanischen Recht geläufigen Konzept des „common design“ anlässlich des Dachauer Dora-Prozesses von 1947 die Oberhand gewann. Dieses Rechtsinstitut erlaubte die Verurteilung aufgrund eines gemeinsamen Tatplans, auch wenn der eigene Tatbeitrag minimal blieb. Letztlich legte man aber im Sinne eines rechtsstaatlichen Verfahrens zunehmend Wert darauf, den individuellen Tatbeitrag der beteiligten Industriellen, Wärter und Aufseher zu ermitteln und kam somit vor dem Hintergrund der komplexen arbeitsteiligen Struktur der Zwangsarbeit häufig nur zu geringen Strafen oder Freisprüchen.

 

Als nach 1990 das Moratorium des Londoner Schuldenabkommens endete, kam die Frage der Zwangsarbeiterentschädigung erneut auf die Tagesordnung. Wieder war es äußerer Druck, der, wie Anja Hense in ihrem Beitrag zeigt, zur Gründung der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ führte.

 

Eine wirklich großzügige Entschädigung aller betroffener Opfergruppen war damit aber auch nicht verbunden, wie Gabriele Hammermann am Beispiel des besonders komplizierten Problems der italienischen Militärinternierten erläutert. Der Aufsatz Jan Erik Schultes verdeutlicht überdies, dass die Frage des juristischen Umgangs mit der Zwangsarbeit nicht nur das deutsche Rechtssystem beschäftigt: In einem kanadischen Gesetz wurde noch 1987 teilweise das strafrechtliche Rückwirkungsverbot außer Kraft gesetzt, um nationalsozialistische Gewalttäter vor Gericht stellen zu können. Der abschließende Artikel Georg Wamhofs beleuchtet schließlich anhand der schillernden Person des von der DDR gesteuerten Rechtsanwalts Friedrich Karl Kaul, wie die Frage der Zwangsarbeiterentschädigung sogar für die innerdeutsche Propaganda des Kalten Krieges instrumentalisiert wurde.

 

Den Herausgebern ist großes Lob zu zollen für die klare Konzeption des Buches: Auswahl und Arrangement der einzelnen Themen sind so vorzüglich gelungen, dass sich der Sammelband wie eine Monographie liest. Sämtliche Beiträge lassen die langjährige Beschäftigung der Autoren mit der Thematik erkennen, was durch reichhaltige Belege auch der archivalischen Quellen unterstrichen wird. Darüber hinaus spiegeln die Aufsätze zwar durchaus die Perspektive des einzelnen Autors wider, weisen aber dennoch sprachlich und argumentativ die für eine wissenschaftliche Beschäftigung mit einem nach wie vor aktuellen Thema erforderliche Sachlichkeit auf. Gelegentliche Unsauberkeiten der nichtjuristischen Autoren beim Umgang mit der rechtlichen Terminologie sind dabei zu verschmerzen.

 

Sicherlich wäre es aus rechtshistorischer Sicht wünschenswert gewesen, wenn sich ein Beitrag systematisch mit den juristischen Problemen einer „Vergangenheitsbewältigung durch Recht“ auseinandergesetzt hätte. Ist das Recht überhaupt dafür geeignet, historische Verbrechen auszugleichen oder zu sühnen? Karl Bartl schreibt selbst in seiner Klageschrift, dass „dem bürgerlichen Recht die Institution der ‚Sklavenmiete’ unbekannt“ sei (S. 124) und beruft sich schließlich ausgerechnet auf die Lehre vom faktischen Vertrag der Nazi-Kronjuristen Dahm, Wieacker und Larenz und sogar auf „die überzeitlichen Normen des Naturrechts“. Und auch zur strafrechtlichen Problematik hätte, trotz der wichtigen Hinweise Löffelsenders in diese Richtung, noch stärker herausgearbeitet werden müssen, welche Schwierigkeiten eine juristische Zurechnung in hochkomplexen arbeitsteiligen Systemen des Staatsterrors bereitet.

 

So bleibt der Leser mit zwei Fragen zurück: Zum einen fragt er sich, warum die deutsche Nachkriegsgesellschaft, vertreten durch ihre Juristen, bis heute mit so viel Einsatz alles daran setzt, nicht einmal geringste Anteile ihrer Wirtschaftswundergewinne zur Entschädigung vergangenen Unrechts aufzubringen. Warum waren die Juristen nicht bereit, den Ausnahmecharakter des Geschehenen zu begreifen und ihr juristisches Geschick auf die Gerechtigkeit zu verwenden anstatt stur an gefestigter Rechtsprechung festzuhalten?

 

Zum anderen fragt sich aber auch, was die Alternativen einer juristischen Aufarbeitung gewesen wären: Wahrheitskommissionen nach südafrikanischem Vorbild? Symbolisches Handeln wie in Italien, wo man die Zwangsarbeiter mit Orden überschüttet hat und ihnen ein Denkmal widmen will (S. 150)? Die noch lebenden Betroffenen setzen jedenfalls nach wie vor auf den Rechtsweg – bis hin zur Strafanzeige gegen Richter des Bundesverfassungsgerichts vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag (S. 146).

 

Die Frage der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts durch Recht wird wohl nicht nur für Historiker (vgl. Hans Günter Hockerts/Christiane Kuller (Hg.), Nach der Verfolgung, Göttingen 2003), sondern auch für die Rechtsgeschichte in Zukunft ein wichtiges Betätigungsfeld bleiben. Dieses Buch liefert hierfür eine belastbare Grundlage. Der durch und durch gelungene Band sei daher nicht nur allen rechtshistorisch Interessierten, sondern auch jeder rechtshistorischen Bibliothek zur Anschaffung empfohlen!

 

Bonn                                                                          David von Mayenburg