Zrenner, Petra, Die konservativen Parteien und die Entstehung des Bürgerlichen Gesetzbuchs (= Rechtsgeschichte und Rechtsgeschehen 6). Lit, Berlin 2008. XIII, 403 S. Besprochen von Werner Schubert.
Über die Mitwirkung der
politischen Parteien am Zustandekommen des Bürgerlichen Gesetzbuchs liegen
bereits unter Berücksichtigung des vollständigen Quellenmaterials Arbeiten über
die Sozialdemokratie (Thomas Vormbaum) und das Zentrum (Michael
Damnitz und Michael Wolters; Nachweise bei Zrenner, S. 4)
vor. Petra Zrenner setzt diese Arbeiten mit einer detaillierten
Untersuchung über die Aktivitäten der konservativen Parteien in den Beratungen
über das BGB im Reichstagsplenum und in der BGB-Reichstagskommission im Jahre
1896 fort. Zunächst geht Zrenner der Entstehung und dem Werdegang der
konservativen Parteien nach (S. 8-46). Die Deutsch-Konservative Partei war 1876
aus den preußischen Altkonservativen hervorgegangen, von denen sich 1866/67 die
Freikonservative Partei (Reichspartei) abgespalten hatte. Erstere hatte ihren
Schwerpunkt im Militär und im ostelbischen Adel, während die Reichspartei von
Anfang an hinter Bismarck stand und ihre Wählerschaft außer im
landwirtschaftlichen auch im gewerblichen Bereich hatte. Damit nahm diese
Partei eine Zwischenstellung zwischen den Nationalliberalen und den
Hoch-(Deutsch-)Konservativen ein. Als dritte konservative Gruppierung stellt Zrenner
die Deutsche Reformpartei (sog. Antisemiten) heraus, die ihren Ausgangspunkt in
der von Stöcker 1878 gegründeten Christlich-sozialen Arbeiterpartei hatte (S.
32ff.). Die geschlossenste Struktur wies die Deutsch-Konservative Partei auf,
deren Tivoli-Programm (1892) bis 1918 das offizielle Programm blieb (wiedergegeben
S. 376f.). Von den für die BGB-Reichstagsverhandlungen dominierenden
Persönlichkeiten stellt Zrenner den Mecklenburger Gerhard von Buchka
(deutsch-konservativ) und den Freiherrn von Stumm-Halberg (freikonservativ)
heraus. Eng verbunden insbesondere mit den Deutsch-Konservativen war der 1893
begründete Bund der Landwirte, der sich allerdings als nicht parteipolitisch
gebundene Interessengruppierung der Landwirtschaft verstand. In dem für die
Verabschiedung des BGB maßgebenden Reichstag von 1895/1898 verfügten die
Deutsch-Nationalen über 58, die Reichspartei über 26 und die Reformpartei über
13 Sitze, die zusammen nicht ganz so stark wie das Zentrum mit 100 Sitzen
waren. Im dritten Kapitel (S. 47ff.) behandelt Zrenner die Beweggründe
und Grundtendenzen der konservativen Parteien bei den Beratungen des BGB. Im
Einzelnen stellt Zrenner die Interessenvertretung der Landwirtschaft,
die Wahrung von Besitzstand und Vermögen sowie das Streben nach Sicherung
traditioneller Wertvorstellungen bei der Eheschließung, der Ehescheidung sowie
beim Adelsrecht und beim Namensrecht heraus. Der Kampf gegen die
Sozialdemokratie und die Verteidigung der Rechte der herrschenden
Gesellschaftsklasse einte die Deutsch-Nationalen und Freikonservativen, während
die Reformpartei mit ihrer Ausrichtung auf den Mittelstand und den
Arbeiterstand sich oft außerhalb der Honoratiorenkreise der großen
konservativen Parteien bewegte.
Den Kern der Arbeit bildet
die Darstellung der einzelnen Themenbereiche (S. 68-311), die für die
konservativen Parteien von Wichtigkeit waren und zu Auseinandersetzungen
zwischen den unterschiedlichen politischen Kräften führten. Im Einzelnen werden
behandelt der Wildschadensersatz, die Tierhalterhaftung, familienrechtliche und
erbrechtliche Fragen (Eheschließung, Scheidungsgrund der Geisteskrankheit,
Ehemündigkeit, eheliches Güterrecht, eigenhändiges Testament und gesetzliches
Erbrecht der Ehegatten), das Gesinderecht, das Vereinsrecht, die
Vertragsfreiheit in Bezug auf die Regelungsmaterien der späteren §§ 134
und 138 BGB, das Grundpfandrecht und partikulare und feudalistische
Sonderinteressen (u. a. Fideikommisse, Pfandbriefe, Adelsrecht). Im Einzelnen
arbeitet Zrenner zu diesen Rechtsgebieten anhand der Quellen
(Plenarverhandlungen des Reichstags in 1., 2. und 3. Lesung; Verhandlungen der
BGB-Reichstagskommission) die Positionen der drei konservativen Parteien im
Vergleich zu den Stellungnahmen insbesondere des Zentrums und der
Sozialdemokraten heraus. Auf einem ureigenen Interessengebiet befanden sich die
Deutschkonservativen und Freikonservativen bei der Frage des
Wildschadensersatzes. Die Reichstagskommission hatte auf Antrag von Gröber
(Zentrum) den Anspruch auf Wildschadensersatz auch auf den durch Hasen und
Fasane angerichteten Schaden ausgedehnt (S. 77ff.). Ferner beschloss die
Kommission, bei Wildwechsel von Schwarzwild und Rotwild den Regress des
Jagdberechtigten gegen den Waldbesitzer zuzulassen, in dessen Revier das Wild
ursprünglich seinen Stand hatte. Diese Beschlüsse riefen den erbitterten
Widerstand der Deutsch-Konservativen hervor, die mit der Drohung, das BGB im
Ganzen scheitern zu lassen, das Zentrum auf ihre Seite zogen. In der 2. Lesung
im Plenum stimmten nur noch 69, in der 3. Lesung 85 Abgeordnete für die
Schadensersatzverpflichtung hinsichtlich des von Hasen angerichteten Schadens. Zrenner
arbeitet detailliert die Einstellung der Konservativen zur Jagd heraus
(Jagdrecht als Wirtschaftsfaktor, Statussymbol und Refugium, Jagd als Erholung
und Geselligkeit sowie Verbindung der Jagd mit der Politik). In diesem
Zusammenhang stellt sie fest, dass die Jagd für die konservative Elite ein
Vorrecht und ein Lebensgestaltungsprinzip gewesen sei. Demzufolge hätte das
Ansinnen, „dem ,kleinen Manne’ den durch die Hasen
verursachten Wildschaden ausgleichen zu müssen …, von den Konservativen als
schlechthin vernichtender Angriff auf ihre Standesehre erlebt werden“ müssen
(S. 88).
Hinsichtlich der
Tierhalterhaftung gelang es den Konservativen zunächst (S. 111ff.), die
verschuldensunabhängige Haftung des Halters für Berufstiere zu Fall zu bringen;
jedoch scheiterte dieses Vorhaben schließlich an einem Formfehler, so dass erst
1908 eine Einschränkung der Gefährdungshaftung für Berufstiere zustande kam.
Ferner trugen die konservativen Parteien mit dazu bei, dass das partikulare
Gesinderecht im Wesentlichen bestehen bleiben konnte (S. 217ff.). Für das
Eherecht traten die Deutsch-Konservativen für die fakultative Zivilehe, für die
Ehemündigkeit erst ab 25 Jahren und den Wegfall des Ehescheidungsgrundes der
Geisteskrankheit ein. Da sie jedoch nicht am Kompromiss zwischen der
Reichsregierung und den Nationalliberalen, dem Zentrum sowie den
Freikonservativen beteiligt waren, konnten sie ihre Vorstellungen auf diesem
Gebiet nicht durchsetzen. Gleiches gilt für das Vereinsrecht, das ebenfalls
Gegenstand des genannten Kompromisses war. Mit seinen Anträgen zur
Gleichberechtigung der Frau mit ihrem Ehemann in vermögensrechtlicher Hinsicht
agierte von Stumm-Halberg im Wesentlichen als Einzelkämpfer. Allerdings dürfte
von Stumm mit seinem Antrag, als gesetzlichen Güterstand die Gütertrennung
vorzusehen, lediglich eine Verbesserung der Position der Ehefrau unter „rein
pragmatisch-wirtschaftlichen Gesichtspunkten“ zum Zweck der Vermögenssicherung
der Familie, nicht eine wirkliche Gleichstellung der Frau bezweckt haben. Denn
Stumm galt im Übrigen als „Inbegriff von Autorität und Herrschsucht“ (S. 192),
die in einigen seiner Stellungnahmen zu den von konservativer Seite zur Sprache
gebrachten Rechtsfragen zum Ausdruck kamen. Sein Eintreten für das
holographische Testament, das die Deutsch-Konservativen ablehnten, beruhte auf
seinen guten Erfahrungen mit dem französischen Recht, das insoweit erlaube,
rasch auf Veränderungen der familiären und unternehmerischen Situation zu
reagieren (S. 202).
Während die
Deutsch-Konservativen vornehmlich als „Bewahrer des überkommenen –
hauptsächlich preußischen – Rechts und der altbekannten Traditionen“ (S. 310)
auftraten, reagierten die Freikonservativen flexibler und ließen sich auch von
gemäßigt-liberalen Erwägungen leiten. In der Schlussabstimmung stimmten von
Deutsch-Konservativen 35, von den Freikonservativen 17 Abgeordnete und von der
Reformpartei nur ein Abgeordneter für die Annahme des BGB; die anderen
Abgeordneten enthielten sich der Stimme oder blieben der Abstimmung fern. In
der „abschließenden Würdigung“ (S. 286-311) fasst Zrenner die
Standpunkte der drei konservativen Parteien präzise zusammen. Nach ihrer
Meinung konnten die Deutsch-Konservativen „im Ganzen genommen“ mit dem Ergebnis
der Gesetzgebungsarbeiten zufrieden sein. Sie hätten „ihre gewohnten
Privilegien, ihre althergebrachten Lebens- und Moralanschauungen und ihre
Führungsposition in das Gesetz hinüberretten und dort erneut verankern können“
(S. 310). Dies ist insoweit zutreffend, als es ihnen gelang, dass die
gesellschaftspolitisch relevanten Grundlagen der BGB-Vorlage nicht angetastet
wurden. Auf der anderen Seite ist es ihnen aber auch nicht gelungen, diese
Grundlagen zu verfestigen, während es auf der anderen Seite dem Zentrum gelang,
kleinere Veränderungen durchzusetzen. Das Werk wird abgeschlossen mit der
Wiedergabe von Quellen aus dem „Umfeld der konservativen Parteien“ (S.
315-384). Besonders aufschlussreich sind die Berichte von 1896 aus der
konservativen Tageszeitung: „Die Post“. Nützlich wäre ein Personen- und
Sachregister gewesen. Nicht primär Gegenstand der Untersuchungen waren die
Stellungnahmen der konservativen Parteien und der konservativen Presse zur lex
Lasker von 1873 und zum 1. BGB-Entwurf, eine Thematik, die primär von
parteiengeschichtlichem und politikgeschichtlichem Interesse ist (für das
Zentrum vgl. die nachträglich erschienene Arbeit Dorothea Steffens,
Bürgerliche Rechtseinheit und politischer Katholizismus, 2008). Nach Abschluss
der Arbeit Zrenners ist noch erschienen das für die Einordnung der
Anträge von Stumm-Halbergs nicht unwichtige Werk Pamela-Carina Riedels:
„Gleiches Recht für Mann und Frau. Die bürgerliche Frauenbewegung und die
Entstehung des BGB“ (Köln 2008). Insgesamt liegt mit dem Werk Zrenners
eine erschöpfende und zuverlässige Darstellung der Aktivitäten der
konservativen Parteien in der parlamentarischen Phase des BGB vor. Eine ähnlich
breite Darstellung der Position der liberalen Parteien zum BGB steht noch aus.
Kiel |
Werner
Schubert |