Ziegler, Karl-Heinz, Fata iuris gentium. Kleine Schriften zur Geschichte des europäischen Völkerrechts (= Studien zur Geschichte des Völkerrechts 15). Nomos, Baden-Baden 2008. XIV, 372 S. Besprochen von Arno Buschmann.
Fata iuris gentium nennt Karl-Heinz Ziegler die Sammlung seiner Studien zur Geschichte des Völkerrechts und möchte damit die wechselvollen Schicksale bezeichnen, die das ius gentium des römischen Rechts im Verlauf der europäischen Geschichte erfahren hat, bis aus ihm, wie allgemein angenommen, das moderne Völkerrecht entstanden ist. Dementsprechend ist das Gros der Abhandlungen den römischen Elementen des Völkerrechts gewidmet, nur ein kleiner Teil behandelt dessen Entwicklung in der Neuzeit bzw. der neuesten Zeit und nur eine Abhandlung hat die christlichen Elemente des Völkerrechts zum Gegenstand, die man nicht unterschätzen darf (was Ziegler übrigens nicht tut), vor allem wenn man an die Anfänge des neuzeitlichen Völkerrechts denkt.
Den Reigen der Abhandlungen eröffnet eine Untersuchung der römischen Grundlagen des europäischen Völkerrechts, bei der Ziegler zutreffend davon ausgeht, dass die gesamte Entwicklung des modernen Völkerrechts eingebettet ist in die, wie er es ausdrückt, maßgeblich vom römischen Recht bestimmte europäische Rechtsgeschichte, ohne die sie nicht verstanden werden könne. Tatsächlich ist die Geschichte des modernen Völkerrechts untrennbar mit der europäischen Rechtsgeschichte in ihrer Gesamtheit verbunden und kann nicht isoliert als eine eigene Geschichte betrachtet werden. Und das römische Recht spielt bei der Entwicklung des Völkerrechts wie bei der Entwicklung der einzelnen völkerrechtlichen Rechtsinstitute eine wichtige, gelegentlich sogar eine entscheidende Rolle, auch wenn es nur eine unter den vielen Quellen des Völkerrechts ist. Im Mittelpunkt der Untersuchung über die Bedeutung der christlichen Tradition - sie enthält den erweiterten Wortlaut der Abschiedsvorlesung des Verfassers aus dem Jahre 1999 -, steht vor allem die Behandlung der Frage nach dem „bellum iustum“ sowohl in den biblischen Quellen wie in der mittelalterlichen Theologie, bei den Humanisten wie schließlich bei Grotius. Zu Recht konstatiert Ziegler, dass die Berufung auf biblische Quellen mit fortschreitender Entwicklung der naturrechtlichen Lehren immer spärlicher wird und schließlich fast ganz verschwindet, ohne dass freilich deren Substanz verloren gegangen wäre.
Von den übrigen Abhandlungen, die sich mit den römischen Elementen des Völkerrechts beschäftigen, sei hier namentlich die Untersuchung über das ius gentium als Völkerrecht in der Spätantike hervorgehoben, in der wiederum die Frage nach dem gerechten Krieg neben der nach der Unverletzlichkeit der Gesandten und der Vertragstreue im Krieg im Vordergrund steht. Ziegler versucht in ihr den Nachweis, dass die Bewahrung des ius gentium in der justinianischen Gesetzgebung kein bloß formaler Klassizismus, sondern für den Bereich des Völkerrechts auch sachlich begründet gewesen sei. Einem im Lichte der jüngsten europäischen Geschichte aktuellen Thema ist die Abhandlung über das Verhältnis von Siegern und Besiegten im römischen Recht gewidmet, in der erschreckende Zeugnisse römischer Brutalität in der Behandlung besiegter Kriegsgegner zur Sprache gebracht werden, die durchaus mit den mörderischen Inhumanitäten der jüngsten Vergangenheit und leider auch noch der Gegenwart verglichen werden könnten.
Den Abschluss der Sammlung - nach einigen Arbeiten über den Einfluss des römischen Rechts auf mittelalterliche Friedensverträge, über die kriegsrechtliche Literatur im Mittelalter, über die völkerrechtlichen Aspekte der Eroberung Lateinamerikas u. a. - bilden Untersuchungen über die Entwicklung des Völkerrechts in der Neuzeit, von denen hier die Studien über Grotius, über den Westfälischen Frieden und über die Einwirkung des Völkerrechts auf das Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten besonders erwähnt werden sollen. Bei der Studie über Grotius bemüht sich Ziegler um den Nachweis, dass Grotius entgegen neuerdings geäußerten Zweifeln zu Recht als Begründer des modernen Völkerrechts und der modernen Völkerrechtswissenschaft anzusehen ist, was freilich m. E. nicht bedeuten kann, dass er als der alleinige Schöpfer dieses Rechtsgebiets und dieser rechtswissenschaftlichen Disziplin reklamiert werden darf. Die Verdienste der spanischen Spätscholastik um die Grundlegung des modernen Völkerrechts sind inzwischen ebenso unbestritten wie die Tatsache, dass Grotius mit seinem Hauptwerk „De iure belli ac pacis libri tres“, wie Ziegler zutreffend feststellt, die Zusammenfassung und Ergänzung jener auf die Spanier zurückgehenden Lehren geliefert hat, aus denen dann das spätere Völkerrecht als eigene juristische Disziplin erwachsen ist. Ähnliches gilt für den Westfälischen Frieden, mit dessen Bedeutung für die Entwicklung des modernen Völkerrechts sich Ziegler ebenfalls eingehend auseinandersetzt und von dem er zu Recht feststellt, dass dieser nicht nur eines der wichtigsten Reichsgrundgesetze des Heiligen Römischen Reiches war, sondern zugleich zu den bedeutendsten Regelungswerken des „Ius publicum Europaeum“ gehört und in der Folgezeit als Vorbild und Muster vor allem für die Befriedung des konfessionell gespaltenen Europas gedient habe. Was schließlich die Einwirkung des Völkerrechts auf das Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten angeht, so wird hier von Ziegler eindrucksvoll belegt, dass Kernsätze des europäischen Völkerrechts unmittelbar in die Kasuistik des Allgemeinen Landrecht eingegangen und dort entsprechend der methodischen Grundkonzeption des Gesetzeswerks detailliert ausgestaltet worden sind – einmal mehr ein Zeugnis für die Weisheit der an der preußischen Gesetzgebung beteiligten Rechtsgelehrten.
Insgesamt dokumentieren die in der vorliegenden Sammlung enthaltenen Studien einerseits die vielfältige Verwendung des römischen ius gentium im Verlauf der europäischen Geschichte, anderseits seine Rolle als Ausgangspunkt des modernen Völkerrechts. Freilich darf man nicht vergessen, dass das römische ius gentium bereits in der Antike manchem Bedeutungswandel ausgesetzt war, der sich im Mittelalter und in der Neuzeit fortsetzte, bis aus der römischen Erscheinung das neuzeitliche Völkerrecht Europas und der gesamten Welt entstand, das mit dem ius gentium des römischen Rechts in seiner ursprünglichen Bedeutung als „Peregrinenrecht“ kaum noch etwas gemein hat. Das moderne Völkerrecht ist, sieht man einmal von den Menschenrechten ab, die erst ab der Französischen Revolution zu einem elementaren völkerrechtlichen Bestandteil geworden sind, längst zu einem Staatenrecht mutiert, das die Rechtsverhältnisse der Staaten untereinander regelt, und nicht mehr ein Völkerrecht in dem Sinne ist, dass in ihm die Prinzipien des Rechts aller Menschen außerhalb des ius civile enthalten sind, wie dies beim römischen ius gentium das Fall war.
Salzburg Arno Buschmann