Zbinden, Martin, Der Assoziationsversuch der Schweiz mit der EWG 1961-1963. Ein Lehrstück schweizerischer Europapolitik. Haupt, Bern 2006. 436 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Das westliche Ende Eurasiens ist von der Natur kleinräumig gestaltet. Dem hat sich der Mensch in der Zeit politisch angeschlossen, indem er zahlreiche örtlich beschränkte Herrschaften errichtet hat, die im Zuge des technischen Fortschritts sich zahllose gewaltsame Auseinandersetzungen geliefert haben. Angesichts der verheerenden Folgen der schließlich dadurch verursachten Weltkriege wuchs die Einsicht in Frieden durch gegenseitige Kontrolle der einen durch die anderen in Europa und damit vielleicht auch anderwärts.

 

Der Beginn wurde dabei mit der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl 1951/1952 gemacht. Beteiligt waren im Verhältnis vier zu zwei Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg und die Niederlande. Damit waren Mitteleuropa, Westeuropa und Südeuropa erfasst, wenn auch nicht das ganze Mitteleuropa, das ganze Westeuropa und das ganze Südeuropa.

 

Auch in den folgenden Erweiterungen blieb im Herzen Europas die Schweiz ausgespart. Dafür sprach ihre Neutralität, die vor Kriegen bewahren konnte. Dafür sprach auch das Bankgeheimnis, das fremdes, oft schmutziges Geld zur Anlage zuführte.

 

Damit waren aber auch Nachteile verbunden. Deswegen suchte die kleine Schweiz auch nach Möglichkeiten, unter Wahrung der Vorteile die Nachteile zu minimieren, was umso dringlicher geriet, je größer die europäischen Gemeinschaften wurden. Deswegen erklärte im Gefolge des - im Anhang abgedruckten - Schweizer Assoziationsgesuchs an die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft vom 15. Dezember 1961 im September 1962 Friedrich Traugott Wahlen vor dem Ministerrat der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft in Brüssel, der Bundesrat der Schweiz erachte eine Assoziation als das beste Mittel für die Schweiz, um am - wirtschaftlich interessanten - Gemeinsamen Markt teilzunehmen.

 

Den seinerzeitigen, inzwischen weitgehend vergessenen Versuch behandelt der Verfasser sorgfältig und detailliert in seiner von Philippe Burrin betreuten, zwischen 1992 und 1999 am Institut universitaire de hautes études internationales in Genf entstandenen Dissertation. Sie gliedert sich in zwei Teile. Zunächst untersucht der Verfasser den außenpolitischen Kontext, danach den innenpolitischen Kontext.

 

Dementsprechend beginnt er mit der schweizerischen Politik gegenüber der europäischen Integration bis 1960, in deren Rahmen die europäische Freihandelszone EFTA gegründet wird, und betrachtet danach die Entstehung des Assoziationsprojekts, die Behandlung des Assoziationsprojekts durch die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, die EFTA-Zusammenarbeit und die Schweiz sowie die Rolle der Schweiz bei der Zusammenarbeit der Neutralen. Innenpolitisch bearbeitet er den Rahmen der Schweizer Vorbereitungsarbeiten, die Vorbereitungsarbeiten zu Zollharmonisierung, Personenfreizügigkeit, Wettbewerbspolitik, Landwirtschaftspolitik, Dienstleistungen, Kapitalfreizügigkeit, Konjunkturpolitik, Sozialpolitik, Transportpolitik, EGKS und Euratom sowie fiskalische Fragen, die Vorbereitungen zu institutionellen Fragen (Integrationsbüro) und schließlich die Aufgabe des Assoziationsprojekts nach dem Veto Charles de Gaulles und die Reorientierung der Schweizer Integrationspolitik mit dem Beitritt zum GATT und zum Europarat. Am Ende fragt er, ob die schweizerische Verbandsdemokratie das Hindernis für eine aktive Integrationspolitik ist und gelangt zu dem Ergebnis, dass viele Probleme der Schweizer Europapolitik sich damals in ähnlicher Form stellten wie heute.

 

Insgesamt muss es Europa wohl bedauern, dass ihm die Schweiz trotz verschiedener Abkommen bis heute fehlt. Zum Ganzen gehören gerade auch die Kernstücke. Von daher kann der Europäer auf der Grundlage des anregenden Werkes nur hoffen, dass auch und vor allem die Schweiz Österreich und vielen anderen doch bald folgen und unter Aufgabe elitärer Vorteile gleichberechtigtes und gleichverpflichtetes Mitglied einer alle Staaten Europas umfassenden, Konflikte ausgleichenden Europäischen Union mögen werde.

 

Innsbruck                                                                   Gerhard Köbler