Wirtschaftsgeschichte der mittelalterlichen Juden. Fragen und Einschätzungen, hg. v. Toch, Michael unter Mitarbeit v. Müller-Luckner, Elisabeth (= Schriften des historischen Kollegs 71). Oldenbourg, München 2008. VIII, 218 S., 1 Abb. Besprochen von Hans-Peter Benöhr.
I. Recht und Wirtschaft sind auf einander angewiesen.
Ebenso sind die Geschichte des Rechts und die Geschichte der Wirtschaft
aufeinander angewiesen. Das gilt auch für das Zusammenleben der Juden mit den
Christen im Mittelmeerraum und im Reich während des Mittelalters. Für diesen
Bereich erhält der Rechtshistoriker mit den vorliegenden Aufsätzen wichtiges
Tatsachenmaterial - vor allem zu den Fragen der Effektivität der Rechtssätze, zum
Umfang der gewährten Darlehen, zur tatsächlichen Höhe der Zinsen und zu den vielfältigen
Arten und Problemen der Kreditsicherheiten. Gelegentlich trifft man auf
gleichartige Probleme und sogar übereinstimmende Lösungen in den jüdischen und
den christlichen Rechts- und Wirtschaftsordnungen – so zu den
Fürsorgemaßnahmen, zum Wucherverbot und zur Buchführung. Die Beiträge zum
Mittelmeerraum berufen sich gern auf die in Kairo aufgefunden jüdischen
Dokumente (Genizah). Die Beiträge zum Raum des Heiligen römischen Reichs
basieren häufig auf jüdischen Urkunden und Responsa, die nur zu einem kleinen
Teil (namentlich von von Mutius) übersetzt sind. Zu diesen Quellen und
Realien haben viele Rechtshistoriker mangels Wirtschafts- oder Sprachkenntnissen
keinen direkten Zugang.
Die Geschichte bekommt durch die hier mitgeteilten Casestudies
und die Berichte über Einzelschicksale Farbe. Die drei Aufsätze zum
Mittelmeerraum und vor allem der große Aufsatz des Herausgebers Michael Toch
zu den Wirtschaftsaktivitäten deutscher Juden geben Übersichten zu den
Verhältnissen in größeren Gebieten und Zeitsabschnitten. Besonders Toch
ist kritisch gegenüber allen überkommenen Behauptungen, indem er die bekannten,
meist nicht jüdischen Quellen neu sichtet, neue jüdische Quellen auswertet und
beim gänzlichen Fehlen von Quellen die gängigen Annahmen überprüft.
Erwartungsgemäß setzen die Studien an die Stelle eines
einheitlichen, geschlossenen Bildes sehr differenzierte Ansichten. Mit der
Veränderung der Verhältnisse im Laufe der Jahrhunderte hätte man schon ohne
Weiteres rechnen müssen. Überraschend sind aber die großen Unterschiede der
jüdischen Verhältnisse in derselben Epoche, so die Höhe der Zinsen zu derselben
Zeit in den verschiedenen Teilen des Reichs und in Europa, die Teilnahme am
Luxusgütergeschäft im Mittelmeerraum oder die Verhältnisse der Juden zu
derselben Zeit in verschiedenen venezianischen Gebieten.
In bestimmten Perioden wurden jüdische Händler oder
Handwerker oder Geldverleiher
herbeigerufen, um die Wirtschaft zu fördern. Dann wieder wurden sie
vertrieben, manchmal von der Obrigkeit gegen den Willen der Bevölkerung, oder
sie wurden ermordet, oft entgegen den Gesetzen der Obrigkeit. Die
erfolgreichste Periode gemeinsamen jüdisch-christlichen Wirtschaftens im Reich
dürfte das 13. und 14. Jahrhundert gewesen sein. Mehrere Autoren rechnen mit
der Begrenztheit oder Erschöpfung der jüdischen Kapitalien gegen Ende des 14.
Jahrhunderts. Abgesehen von den Darlehensregelungen deuten die Verfasser die antijüdischen
Maßnahmen am Ende des 14. Jahrhunderts nur an: die Einführung des Gülden
Pfennig (und damit der Beginn des Leibzolls) 1342 durch Ludwig den Bayern und
die Einziehung jüdischer Kapitalien, beginnend 1375 in Österreich. Die weitaus
größte Judenverfolgung, der Hunderttausende zum Opfer fielen, wälzte sich 1348/1349
zur Zeit der Großen Pest durch Europa. Danach verlagerte sich das jüdische
Kapital in das Ausland, vor allem nach Norditalien.
II. Der Band enthält die
folgenden Beiträge: Giacomo Todeschini (Triest), Christian Perceptions
of Jewish Economic Activity in the Middle Ages (1-16); Hans-Georg von Mutius
(München), Taking Interest from Non-Jews – Main Problems in Traditional Jewish
Law (17-24); David Jacoby (Jerusalem), The Jews in Byzantium and the Eastern
Mediterranean: Economic Activities from the Thirteenth to the Mid-Fifteenth
Century (25-48); David Abulafia (Cambridge), The Jews of Sicily and
Southern Italy: Economic Activity (49-62); Reinhold C. Mueller (Venedig),
The Status and Economic Activity of Jews in the Venetian Dominions during the
Fifteenth Century (63-92); Joseph Shatzmiller (Durham, USA), Church
Articles: Pawns in the Hands of Jewish Moneylenders (93-102); Annegret
Holtmann (Griesheim), Medieval „Pigeonholes“. The Jewish Account Books
from Vesoul and Medieval Bookkeeping Practices (103-120); Markus J.
Wenninger (Klagenfurt), Juden als Münzmeister, Zollpächter und fürstliche
Finanzbeamte im mittelalterlichen Aschkenas (121-138); Rainer Barzen
(Trier), „Was der Arme benötigt, bist Du verpflichtet zu geben“.
Forschungsansätze zur Armenfürsorge in Aschkenas im hohen und späten
Mittelalter (139-152); Martha Keil (St. Pölten), Mobilität und
Sittsamkeit: Jüdische Frauen im Wirtschaftsleben des spätmittelalterlichen
Aschkenas (153-180); Michael Toch (Jerusalem), Economic Activities of
German Jews in the Middle Ages (181-210). Praktischerweise werden auch die
E-Mail-Adressen der Autoren mitgeteilt.
III. Die ersten beiden Beiträge betreffen das
Wucherverbot auf der Grundlage gelehrter Quellen: Giacomo Todeschini,
Christian Perceptions of Jewish Economic Activity in the Middle Ages (1-16). Die
christlichen Schriftsteller des 4. bis 11. Jahrhunderts verdammen die dispersio rerum ecclesiarum. Sie folgern
daraus die Verurteilung der Simonie und vergleichen den simoniacus mit Judas, der Christus für Geld verraten hat. Der
Reichtum der Juden sei illegal, weil er aus der Gemeinschaft mit christlichen
Simonisten gewonnen sei. Deswegen erlaubte 1146 Petrus Venerabilis, Abt von
Cluny, Ludwig VII. die Enteignung der Juden, um den Kreuzzug zu finanzieren. Der
Weg bis zu Gratian ist charakterisiert durch das Verbot von usurae und durch
die Offenheit der Definition amplius
requiritur quam datur.
Hans-Georg
von Mutius, Taking Interest from Non-Jews –
Main Problems in Traditional Jewish Law (17-24). Seit der Spätantike war das richtige Verständnis der
entscheidenden Bibel-Stelle Deut. 23, 21, kontrovers: „muss“ oder „darf“ der
Jude von einem Nichtjuden Zinsen verlangen? Während Maimonides die erste
Auffassung vertrat, erklärten sich Jacob Ben Ascher aus Toledo (14.
Jahrhundert) und Josef Caro in dem maßgebenden Schulchan Aruch (16.
Jahrhundert) für die zweite Alternative.
Es folgen, auf dokumentarischer Grundlage, drei fakten-
und zahlengesättigte Beiträge zu den Wirtschaftstätigkeiten im Mittelmeerraum,
zuerst: David Jacoby, The Jews in Byzantium and the Eastern
Mediterranean: Economic Activities from the Thirteenth to the Mid-Fifteenth
Century (25-48). Die jüdischen Kaufleute
versorgten zunächst ihre eigene Gemeinschaft mit Käse, Wein und anderen
koscheren Waren.
In dem weiteren Bereich des Austauschs mit
nicht-jüdischen Handelsleuten waren ihnen besondere Aktivitäten von Rechts
wegen weder vorbehalten noch verschlossen. Jedoch war der Handel in Luxusgütern
durch die venezianische und genuesische Oberschicht monopolisiert, und die
Juden hielten sich von der Investition in Schiffe fern. In den venezianischen
Kolonien litten sie seit dem 14. Jahrhundert unter der zunehmenden Steuerlast.
Außerdem beschränkten die Verbote des Landerwerbs den Kreditverkehr.
David
Abulafia, The Jews of
Reinhold
C. Mueller, The Status and Economic Activity of
Jews in the Venetian Dominions during the Fifteenth Century (63-92). Mueller liefert präzise Beobachtungen
über „Steuern“ und „Zwangsanleihen“. Die Fähigkeit, jährliche Steuern an die
Zentralregierung (hier: Venedig) zu zahlen, stand unter den Bedingungen, dass
die Juden nicht außerdem örtliche Steuern zu bezahlen hatten, dass ihnen genügend
Kapital zur Befriedigung des lokalen Kreditbedarf verblieb, und dass ihnen die
gesetzlich bewilligten Zinshöchstsätze (zwischen 14 und 25 %) ein genügendes
Einkommen sicherten. Die Signoria brauchte die Gelder für die Kriegsführung. Desgleichen
nahmen condottieri Steuern und verzinste Zwangsanleihen auf, um ihre Heere zu
bezahlen. Schuldner waren auch Juristen, die etwa ihren „Degesto vechio“ zum
Pfand gaben. Kleine Schuldner liehen sich nicht selten Geld, um die Steuern zu bezahlen.
Die wenigen Juden auf dem Festland treten vor allem als Bankiers, nicht zuletzt
als Pfandleiher und als Händler mit den verfallenen Pfändern, hervor. Ihre
prekäre Aufenthaltssituation ist verbunden mit erheblicher Mobilität und weiten
Netzwerken. Auffällig ist die aktive ökonomische Rolle aschkenasischer Frauen
aus Deutschland.
In den venezianischen Besitzungen, im Stato da Mar,
besonders auf Kreta und Korfu, mit zehnmal größeren jüdischen Gemeinden, waren
die Rechte der Juden weniger beschränkt, der Geldverleih trat zurück, sie übten
ungehindert auch alle anderen kaufmännischen und handwerklichen Tätigkeiten
aus, mussten aber - seit etwa 1325 - in bestimmten Teilen der Städte, ebraiké,
judaiche oder giudecche, leben.
Die folgenden sechs Artikel betreffen verschiedene
Einzelaspekte, beginnend mit: Joseph Shatzmiller, Church Articles: Pawns
in the Hands of Jewish Moneylenders (93-102). Bis in die Zeit Karls des Großen verkauften
Kleriker Messgeräte, Reliquien und andere kirchliche Sachen an Juden. Im 12.
Jahrhundert beanstandete es Petrus Venerabilis, dass geheiligte Gegenstände an
Juden verpfändet worden waren. Regionalsynoden verboten im 13. Jahrhundert Christen
wie Juden derartige Geschäfte. Trotzdem verpfändeten die Kommunen Assisi (1385)
und Bologna (1435) für größere Darlehen Kelche, Marienstatuen, Textilien mit
Goldfäden oder Perlen, Messbücher und andere kirchliche Sachen an jüdische
Gläubiger.
Die Juden selbst waren sich der Unruhe bewusst, die
der Besitz kirchlicher Gegenstände in ihren Händen hervorrief. Eine
Rabbinersynode um die Mitte des 12. Jahrhunderts und jüdische Autoritäten
warnten vor der Hereinnahme derartiger Sachen „wegen der Gefahr“. Andere
jüdische Autoritäten hingegen gestatteten Pfandnahme, Kauf und Verkauf kirchlicher
Gegenstände mit gewissen Ausnahmen, zu denen immer Weihrauchgefäße und meistens
auch Statuen und Bilder gehörten.
Annegret
Holtmann, Medieval „Pigeonholes“. The Jewish
Account Books from Vesoul and Medieval Bookkeeping Practices (103-120). A. Holtmann macht eine Quellenedition
des 19. Jahrhunderts für neue Forschungen fruchtbar. Es handelt sich um zwei
jüdische Rechnungsbücher aus dem Anfang des 14. Jahrhunderts aus der Franche
Comté. Der Vergleich mit den zahlreicher erhaltenen Rechnungsbüchern
christlicher Kaufleute und Gesellschaften, etwa der Familie Holzschuher, zeigt
die weitgehende Übereinstimmung der Buchführungsmethode.
Die Kredite gingen an Kunden aus allen
Bevölkerungsschichten, 70 % der Kredite lagen unter 1 Pfund, der Kreditzeitraum
betrug nur wenige Wochen, war aber verlängerbar. Bei Geschäften mit dem Adel
ging es meistens um höhere Summen. Die Sicherheit bestand in Bürgschaften, in
der Verpfändung der künftigen Weinernte oder der Belastung der Weingärten (113).
Markus J. Wenninger, Juden als Münzmeister, Zollpächter und fürstliche
Finanzbeamte im mittelalterlichen Aschkenas (121-138). Trotz dem Ämterverbot
des IV. Laterankonzils verpachteten die Fürsten noch hundert Jahre später Zölle
und Münzstätten an Juden, die sogar Münzen mit hebräischen Schriftzeichen und Symbolen
ausgaben.
Rainer Barzen, „Was der Arme benötigt, bist Du verpflichtet zu
geben“. Forschungsansätze zur Armenfürsorge in Aschkenas im hohen und späten
Mittelalter (139-152). Die Armenkassen wurden vornehmlich aus Spenden, Geldstrafen
und dem Zehnten gespeist. Am Ende des 11. Jahrhunderts verfügten die großen
jüdischen Zentren am Rhein über eine organisierte Fürsorge, die sich auch der
Armen von außerhalb annahm. Armenhäuser und Refugien für Leprakranke sind seit
etwa 1200 nachgewiesen.
Martha Keil, Mobilität und Sittsamkeit: Jüdische Frauen im
Wirtschaftsleben des spätmittelalterlichen Aschkenas (153-180). Die Frauen bewältigten
ein Viertel des jüdischen Darlehensgeschäfts, vor allem nach dem Tod ihres Ehemannes.
Ihre Geschäfte unterschieden sich in nichts von denen in männlicher Hand. Durch
große Unternehmungen kamen auch sie zu hohem Ansehen. Nicht anders als die
Männer waren auch die Frauen unbegründeter Haft und anderer Erpressungen sowie
Vermögensverlusten durch sogenannte Schuldentilgungen ausgesetzt. Wer reich
war, lebte gefährlich: mehrere Geschäftsfrauen wurden in ihren eigenen Häusern ermordet.
Farbe enthält der Vortrag durch Kurzporträts der wichtigsten aschkenasischen
Geldverleiherinnen des 13. bis 15. Jahrhunderts (Die bekannte Glückel aus
Hameln lebte erst in einer späteren Epoche, 1646 bis 1724. Neu: A.
Brummer-Brebeck u. a., Jüdische Frauen in Mitteleuropa, Frankfurt am Main
2008).
Geschäfte und Wallfahrten an die Gräber von Vorfahren,
Rabbinern oder Märtyrern oder sogar nach Jerusalem veranlassten Reisen, zu Fuß, im Reisewagen oder zu Pferde. Die damit
verknüpften Gefahren für die weibliche Sittsamkeit beschäftigten wiederholt die
Rabbiner. Aber tatsächlich drohten den Frauen Diebstahl, Abgabenerpressung,
Vergewaltigung und Mord. Allgemeine Landfrieden und individuelle Geleitbriefe boten
nur geringen Schutz. Weiterer Schutz wurde in Verkleidungen – von den Gelehrten
entgegen der Tora erlaubt - und im Zusammenschluss zu Gruppen mit bewaffneter
Begleitung gesucht.
Den Höhepunkt und Abschluss dieser Vortragssammlung bildet
der Beitrag des Herausgebers selbst: Michael Toch, Economic Activities
of German Jews in the Middle Ages (181-210). Zuerst kamen die Juden als
Kaufleute nach Deutschland, wie Gershom ben Jehudah, „Licht des Exils“, um 1000
n. Chr. konstatierte. Seit dem 11. Jahrhundert geben hierüber Responsa aus
Mainz und Worms Auskunft. Die Juden handelten vor allem mit Wein, Getreide,
Salzfisch, Vieh, Häuten, Fellen, Textilien, Metallgefäßen und anderen
Massengütern, weniger mit Sklaven. Die meisten Waren wurden im Inland, vor
allem auf der Kölner Messe, gekauft und hauptsächlich auf dem Rhein
transportiert. Weitere Verkehrsrouten wurden im 12. Jahrhundert nach Westen und
Osten erschlossen. An diesen Straßen etablierten sich jüdische Niederlassungen.
Auslandsreisen waren aber die Ausnahme. Man könne die Juden nicht als die Wegbereiter
für Handel und Wirtschaft im mittelalterlichen Deutschland ansehen. Im 11.
Jahrhundert begannen die Italiener den Fernhandel zu dominieren. Die
Darlehensgewährung spielte anfangs nicht die Hauptrolle, machte aber schon früh
die Geldbeschaffung unter Juden trotz bestehendem biblischem Zinsverbot
notwendig und führte auch zur Geldaufnahme bei wohlhabenden Christen.
Das Hochmittelalter des späten 11. bis zum Ende des
13. Jahrhunderts brachte für Christen und Juden eine Wirtschaftsrevolution mit
Bevölkerungsschub und Urbanisierung. Die Juden waren hiervon noch nicht durch
die christlichen Kaufmannsgilden ausgeschlossen - wie vielfach behauptet -,
sondern sie waren nach Zahl und Kapitalkraft den neuen Anforderungen für
Produktion und Handel nicht mehr gewachsen.
Im 12. Jahrhundert gewinnt das jüdische Zinsdarlehen an
Bedeutung, zuerst vor allem an Schuldner aus der Oberklasse. Im 14. Jahrhundert
bilden Bauern und Landhandwerker die zahlenmäßig größte Schuldnergruppe, dass
diese jedoch in dieser Zeit aus barer Not Schulden machten, lässt sich nicht
beweisen. In einigen Gebieten traten neben die Juden als berufsmäßige
Geldverleiher die sogenannten Lombarden und Cahorsen. Es kam auch zum
Zusammenwirken christlicher und jüdischer Financiers. Die erforderlichen
Garantien waren vielfältig. Dazu ergingen die besonderen Regeln einerseits zur
Anerkennung der Pfänder dubioser Herkunft in jüdischen Händen (sogenanntes
Judenprivileg), andererseits zum Verbot bestimmter Pfandsachen. Nach der kaiserlichen Steuerliste von 1241 erbrachten
die Juden - ohne die Einbeziehung der wichtigsten Gemeinden zu Köln, Mainz,
Würzburg und Regensburg - 13 % aller Steuern. Ausgehend von dem wachsenden
Finanzbedarf der Obrigkeiten lassen diese und andere Beobachtungen auf den hohen
Gewinn und Umsatz an Zinsdarlehen, auf den entsprechenden Bedarf der Schuldner
und schließlich auf die entsprechende Förderung durch die Obrigkeiten mittels
Gesetz, Gericht und bewaffneten Arm schließen.
Zu Beginn des 14. Jahrhunderts wurde der Geldverleih
zur Haupteinnahmequelle der Juden. Eine Zeit lang gewährten die Städte und
Territorialherren nur noch jüdischen Geldverleihern und Ärzten die
Aufenthaltserlaubnis. Die Obrigkeiten waren auf ihre Steuern und Darlehen
angewiesen, desgleichen nahmen immer mehr Einzelpersonen Darlehen in Anspruch. Der
Höhepunkt der jüdischen Wirtschaftsaktivitäten wird um 1350 gelegen haben.
Im 15. Jahrhundert gingen die Darlehen an Städte und
Fürsten zurück. Stattdessen nahmen einzelne Bürger und Bauern, zunehmend aus
der unteren Mittelschicht oder gar aus der Unterschicht, jüdisches Geld in
Anspruch. 1427 waren von den etwa 2500 Einwohnern in Bingen am Rhein 142 Frauen
und Männer bei Juden, meistens mit kleinen Summen unter 10 Gulden, verschuldet.
Es wurde nicht immer Geld verliehen, sondern oft auch Getreide, Mehl oder Wein.
Noch öfter wurde Rückzahlung in Naturalien oder Leistungen, z. B. Transport von
Wein von Bingen nach Mainz oder von Bier nach Köln vereinbart, und diese
Naturalien wurden wiederum von den Juden veräußert. Gleichzeitig schwand der
obrigkeitliche Schutz, der die jüdischen Gläubiger früher gedeckt hatte.
Die vielen Gesetze über Höchstzinsen legten meistens
niedrigere Sätze für die Einheimischen und höhere oder gar unbegrenzte für
Auswärtige fest. Aber in der Praxis mussten die Schuldner ein Drittel mehr an
Zinsen entrichten als erlaubt. Dabei zahlten - aus verschiedenen Gründen - wohlhabende
Kredtinehmer oder gar Obrigkeiten erheblich geringere Zinsen als arme Leute.
Tatsächlich betrugen die Zinsen im Spätmittelalter zwischen 24% bis zu 91% pro
Jahr. Im Detail informiert Toch auch über die diversen Kreditsicherheiten und
die diese betreffenden obrigkeitlichen Maßnahmen. Vom 13. bis 15. Jahrhundert wandte
sich die öffentliche Meinung zunehmend gegen die angebliche, damals sogenannte „Zinsknechtschaft“
(vielleicht das Spiegelbild zu der den Juden auferlegten „Kammerknechtschaft“?),
und vor allem gegen den Zinseszins und sonstigen Missbrauch.
Mit dem 15. Jahrhundert widmeten sich die übrig
gebliebenen Juden wieder stärker dem Handel, nicht zuletzt als Nebenprodukt des
Pfandleihgeschäftes, und dem Weinhandel. Jetzt aber hatten sie gegenüber den
mächtigen christlichen Kaufmannsgilden nur noch geringe Chancen.
Beschäftigungen außerhalb von Handel und Geldverleih
sind im Wesentlichen nur noch von Ärzten nachgewiesen. Ein Drittel der
jüdischen Bevölkerung wird im Dienst für die Gemeinde oder für andere Juden
tätig gewesen sein (205).
IV. Anna Gutgarts (Jerusalem) hat
erfreulicherweise einen sehr sorgfältigen Index zur Erschließung des in diesem
Band enthaltenen Schatzes erstellt (211 – 218). Ein weiterer Schatz liegt in
den neuesten Forschungsergebnissen, auf die in den Anmerkungen in reichem Maße
verwiesen wird.
Während die Geschichte der Neuzeit besser erschlossen
ist und ihre Erforschung durch das Projekt der Policeyordnungen des
Max-Planck-Instituts in Frankfurt a. M. weiter erleichtert wird, bedurfte das
Mitelalter der Erleuchtung. Hierfür war der Herausgeber, Michael Toch, als
Professor für mittelalterliche Geschichte an der Hebräischen Universität
Jerusalem und als Forschungsstipendiat des Historischen Kollegs in München im
Jahr 2004-2005, besonders prädestiniert. Ihm sei Dank für die Organisation der
Vorträge, die hier als Aufsätze erscheinen.
Berlin Hans-Peter
Benöhr
Anmerkung für den Drucksatz: Es wäre mir lieb, wenn
zwischen den Mitteilungen über die einzelnen Autoren und ihrem Aufsatz jeweils
eine „richtige“ Leerzeile gelassen werden könnte, im Unterschied zu dem bloßen
Neuanfang einer Zeile, evtl.mit „kleiner“ Leerzeile zwischen den sonstigen
Absätzen.