Vom Recht zur Geschichte. Akten aus NS-Prozessen als Quellen der Zeitgeschichte, hg. v. Finger, Jürgen/Keller, Sven/Wirsching, Andreas. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2009. 299 S., Ill. Besprochen von Werner Schubert.

 

Der Band geht zurück auf die Arbeitstagung: „Juristische Aufarbeitung von NS-Verbrechen“ und die Verwendung von „Strafprozessakten als historische Quelle“ (S. 16). Er enthält Beiträge von Tagungsteilnehmern und weiterer Autoren zu grundsätzlichen Fragen der Benutzung von Prozessakten als Quellen der Zeitgeschichte. Die Beiträge in Teil 1 führen in die rechtlichen und institutionellen Grundlagen sowie in gesellschaftspolitische und erinnerungskulturelle Hintergründe der Strafverfolgung nationalsozialistischer Verbrechen ein (S. 27-94). Sehr informativ sind die allerdings oft sehr kurzen Überblicksartikel über die Strafverfolgung nationalsozialistischer Täter durch die Alliierten, die westdeutsche und österreichische Justiz sowie durch die Justiz der Sowjetunion und der Sowjetischen Besatzungszone/DDR. Besondere Probleme warf die Strafverfolgung deutscher Besatzungs- und Kriegsverbrechen in Italien und die Aufarbeitung der eigenen faschistischen Vergangenheit auf (Beitrag Guerrazzis, S. 84ff.). Die Beiträge des Teils 2 befassen sich mit den methodischen und quellenkritischen Fragen bei der Auswertung von Ermittlungs- und Prozessakten (S. 97-216). Hingewiesen sei auf den Beitrag Pohls, der darauf hinweist, dass eine intensive Beschäftigung mit der Geschichte nationalsozialistischer Verbrechen in Osteuropa ohne die allerdings nicht unproblematische Auswertung der Justizakten kaum möglich erscheine (S. 140). In Teil 3 werden die archivrechtlichen Grundlagen der Benutzung von Akten aus NS-Prozessen, die Unterlagen der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltung zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen sowie die Dokumentation der zentralen österreichischen Forschungsstelle Nachkriegsjustiz beschrieben. Vier Beiträge weisen auf Datenbanken hin, u. a. auf die wohl umfangreichste Dokumentation über alle westdeutschen Strafverfahren wegen NS-Verbrechen im Institut für Zeitgeschichte in München-Berlin (S. 231ff.). Ab Mitte 2009 sollen – nach W. Form (S. 247f.) – alle im Bundesarchiv vorhandenen Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs für die Britische Zone, eine bisher wenig genutzte Quelle, mittels personenbezogener Findmittel im Forschungs- und Dokumentationszentrum Kriegsverbrecherprozesse an der Philipps-Universität Marburg zugänglich sein.

 

Der Band wird abgeschlossen mit einer Link-Liste und einem dreifachen Literaturverzeichnis: (Quelleneditionen, Dokumentationen, Prozessberichte, Normen - Justizielle Bewältigung der NS-Vergangenheit. Justizakten als historische Quelle - Weitere Literatur [S. 267-299]), das spezifischen Forschungsinteressen nicht ganz gerecht wird, zumal die annotierten Bibliographien am Ende der einzelnen Beiträge nicht immer hinreichend detailliert sind. Im Hinblick auf den Handbuchcharakter des Buches wäre auch ein Überblick über die wichtigsten Bestände der einschlägigen Archive und deren Findmittel nützlich gewesen. Insgesamt gibt der Band einen guten Einblick in Forschungs- und Dokumentationsschwerpunkte hinsichtlich der NS-Prozessakten insbesondere aus allgemeinhistorischer Sicht. Es ist zu wünschen, dass in diesem Zusammenhang auch in Zukunft die spezifisch rechtshistorischen Fragestellungen und Forschungsinteressen zur Geltung kommen.

 

Kiel

Werner Schubert